„Rave steht ganz oben auf der Out-Liste“

…und direkt darunter die Spice Girls?!?!?! Was war denn da bitte los im Schweden des Jahres 1998? Herrje, herrje… Die Liste ist zu sehen im mittelalten Klassiker des lesbischen Coming-of-Age-Films Fucking Åmål von Regisseur Lukas Moodysson. Dieser wird, fünfundzwanzig Jahre nach Entstehen, im Rahmen des Monats der lesbischen Sichtbarkeit vom Verleih Salzgeber via der Queerfilmnacht im April erneut auf die deutschen Leinwände gebracht.

Kleinstadtprobleme?

Ob einer der Gründe dieses 25-jährige Jubiläum ist? Immerhin sagt Olof Ahlberg (Ralph Carlsson) an einer Stelle zu seiner gerade sechzehn Jahre gewordenen Tochter Agnes (Rebecka Liljeberg), die sich unbeliebt, ungeliebt, ungesehen und ungewollt fühlt, dass er damals auch eher Außenseiter gewesen sei und vor einiger Zeit auf dem 25-Jahre-Treffen seiner Klasse festgestellt habe, dass all die Hot Shots nichts aus sich gemacht hätten. Nun, dennoch: Was wisse sie schon, was in weit entfernten 25 Jahren sei?! Sie wolle jetzt glücklich sein, erwidert Agnes. 

Jonah (Mathias Rust) und Elins Schwester Jessica (Erica Carlson) // © Salzgeber

Diese ist nach dem Umzug nach Åmål nie so recht angekommen, in der Schule eine Außenseiterin, als mehr oder weniger heimliche Lesbe auf „dem Land“ sowieso und dazu noch unglücklich verliebt in die zwei Jahre jüngere Elin (Alexandra Dahlström), deren nicht allzu helle Schwester Jessica (Erica Carlson) glaubt, dass lesbische Mädchen vom Küssen AIDS bekämen. 1998 und Teenager halt…

…damit folgen wir in Raus aus Åmål, wie der Film zum Start in Deutschland hieß, vorrangig Agnes und Elin, wie sie versuchen mit pubertären Schwüngen und Schwingungen in ihrer Kleinstadt, den Sorgen vor einem Versacken in der Provinz und einer möglicherweise aufkeimenden Liebe sowie eines Coming-Outs klarzukommen. Dass das alles im Umfeld diverser halbstarker Vollspacken so einfach nicht ist, kann mensch sich denken. 

Echtgefühl!

Dennoch ertappten wir uns, als wir den Debütfilm von Moodysson nun sahen (der Autor dieser Zeilen nach zwanzig Jahren erneut), dabei, uns zu fragen: Sind diese Teenager nicht doch sehr hysterisch und laut und ungeplant für um die sechzehn? Es muss ja nicht immer gleich abgeklärte Mir-Gehört-Die-Welt-Élite-Attitude sein, aber ganz so aufgescheucht erinnere ich meine Schulzeit dann doch nicht. 

Boys will be Boys?! Markus (Stefan Hörberg) und Johan (Mathias Rust) // © Salzgeber

Andererseits geht es im zauberhaft persönlichen Fucking Åmål nicht darum das Leben von Beinahe-Erwachsenen dokumentarisch abzubilden. Eher zeigt er das Austarieren von Wissen und Wollen sowie manch liebgemeinte Misskommunikation innerhalb einer Familie. Dass es dazu Momente gibt, in denen die Mutter dem sehr, sehr jungen Sohn kurz erläutert, dass überhaupt nichts „anders“ daran sei, lesbisch zu sein, erfreut auch heute noch so wie „damals“

Ebenso ist es eine feine Sache, dass Moodysson, der den Film auch schrieb, Agnes und Elin mitsamt ihrer Gedanken, ihrer Probleme ernst nimmt. Also nicht als beurteilender Erwachsener über seinen Figuren steht und sie schon einmal für uns Zuschauer*innen einordnet. Das dürfen wir fein selber machen und dabei durchaus ambivalente Gefühle haben. 

Großerfolg.

Dass, so viel sei verraten, Fucking Åmål nicht mit dem Sprung von einer Autobahnbrücke, sondern zu den durchaus sehr eingängigen Klängen von Robyns „Show Me Love“ endet, ist umso feiner. (Unter dem Titel wurde der Film auch im englischen Sprachraum verwertet und der Song der frühen Robyn klingt schon ein wenig Spice-Girl-ish — womöglich wollten die Schweden deshalb, dass die out sind, sodass alle nur noch Robyn hören. Hm….)

Agnes (Rebecka Liljeberg) mit eingehendem Blick auf Elin (Alexandra Dahlström) // © Salzgeber

Dennoch ist es kein reiner Feel-Good-Film, dafür ist er zu ehrlich. Es ist ein Feel-Authentic-Film, wenn wir so wollen. Denn auch wenn manch eine Figur mir/uns zu laut erscheint, das, was gefühlt wird, bleibt greifbar. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Darsteller*innen altersgerecht besetzt wurden (und es empfiehlt sich, falls möglich, die schwedische Version mit Untertiteln). So sei Fucking Åmål, der auf der Berlinale 1999 einen Teddy Award gewann, überhaupt sehr erfolgreich war und nach wie vor auf zahlreichen Bestenlisten zu finden ist, wärmstens empfohlen. Ihn noch einmal im Kino sehen zu können, ist etwas sehr Schönes. 

AS

PS: „Du hast den Horizont einer knienden Ameise.“

PPS: Die Kleinstadt Åmål mochte es damals überhaupt nicht, dass sie so schlecht dargestellt wurde (gedreht wurde in Trollhättan). Der große Erfolg des Films änderte das — nun schien alles ganz toll und führte u. a. zur Gründung des Musikfestivals „Fucking Åmål Festival“. Es ist eben alles relativ. 

Fucking Åmål ist, wie auch drei weitere lesbische Filmklassiker, im April im Rahmen der Queerfilmnacht zu sehen — Termine findet ihr hier

Fucking Åmål; Schweden 1998; Buch und Regie: Lukas Moodysson; Bildgestaltung: Ulf Brantås; Musik: Per Gessle, Håkan Hellström; Darsteller*innen: Rebecka Liljeberg, Alexandra Dahlström, Erica Carlson, Mathias Rust, Stefan Hörberg, Josefine Nyberg, Ralph Carlsson, Maria Hedborg, Axel Widegren, Jill Ung; Laufzeit ca. 89 Minuten; FSK: 12; eine Produktion von Memfis Film in Koproduktion mit Zentropa Productions, Film i Väst, SVT Drama Göteborg unterstützt vom Swedish Film Institute/Charlotta Denward und vom Danish FilmInstitute/Mikael Olsen im Verleih von Salzgeber

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