„Richtige Lösungen sind nicht immer elegant“

Wie sehr wir uns derzeit mit Tyrannen beschäftigen und damit, was wir ihnen durchgehen lassen können, haben die Macherinnen und Macher des Tatort: Tyrannenmord um Christoph Stark (Regie) und Jochen Bitzer (Drehbuch) wohl nicht geahnt. Mit Wladimir Putin tyrannisiert ein Mann mit seiner Clique gerade die Ukraine und fast die ganze Welt. Und doch müssen wir mit ihm offenbar irgendwie umgehen.

Ein Diktator geht auf Reisen

Damit hat die Ausgangssituation im Nord-Tatort mit Thorsten Falke (Wotan Wilke Möring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) erst einmal wenig zu tun. Ähnlich wie einst heutige Tyrannen – Kim Jong-un aus dem beschaulichen Putin-Vorbild Nordkorea oder Baschar al-Assad aus dem einladenden Mittelmeerstaat Syrien – besucht Juan (Riccardo Campione), der Sohn eines vermutlich lateinamerikanischen rechtsextremen und die Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückenden Diktators und seiner deutschen Frau ein Internat im demokratischen Norden Deutschlands. Dort ist er den meisten allerdings als Sohn des Botschafters bekannt, nicht des Tyrannen.

Mit dem Staatsbesuch des Diktatoren beschäftigt: Julia Grosz (Franziska Weisz) // Foto: © NDR/Marc Meyerbroeker

Als ein Staatsbesuch des Präsidenten in Deutschland bevorsteht, den Falke und Grosz schwerpunktmäßig vorbereiten, wird Falke hiervon abgezogen: Juan ist verschwunden. Einiges deutet auf eine Entführung hin und wie dies unter den Augen seines geschulten Bodyguards Carlos (José Barros) geschehen konnte, steht ebenso im Raum, wie auch die Frage, wie Juan aus der Privatschule unter Leitung von Marie Bergson (Katarina Gaub) und ihrem vom Sozialismus überzeugten Mann Andreas (Christian Erdmann) verschwinden konnte. Auch die Rolle seiner Freundin Hanna (Valerie Stoll, Eldorado KaDeWe, Trübe Wolken) sowie seines Kumpels August (Anselm Ferdinand Bresgott) ist unklar.

„Alle sind zufrieden“

Der Tatort: Tyrannenmord ist erst einmal ein Kriminalfall – wenig überraschend. Juans Verschwinden fällt eigentlich nicht in die Zuständigkeit von Falke und Grosz – Julia Grosz ist damit auch nicht betraut, hilft nur ein wenig aus dem Hintergrund. Dafür bekommt Falke jedoch den zwar etwas naiven, aber sympathischen Kollegen Felix Wacker (grandios und bitte mehr von ihm: Arash Marandi, All You Need) inklusive seines Klappfahrrads zur Seite gestellt. Die Interaktionen zwischen Falke und Wacker sind vor allem für den Jüngeren nicht immer einfach, aber machen uns dennoch Freude, denn hier prallen auch verschiedene Kulturen aufeinander, im Ermitteln und darüber hinaus.

Mit dem Habitus einer Gottesanbeterin: Diktatorengattin Annamarie Mendez (Alexandra von Schwerin) im Klassenzimmer // Foto: © NDR/Marc Meyerbroeker

Trotz mancher Haken, die der Fall schlägt, wird uns Zuschauerinnen und Zuschauern allerdings nicht langweilig. Neben Wacker tragen dazu auch die Nebenfiguren bei, darunter eine grandios arrogante und im Habitus einer Diktatorengattin würdige Annamaria Mendez (Alexandra von Schwerin) bei, aber auch ihre Freundin, die Innenministerin, die vermutlich im Büro viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, die ihr Kaffee bringen – hoffentlich nicht bis zum Herzinfarkt. Leibwächter Carlos spielt ebenfalls ein recht undurchsichtiges Spiel.

Neben dem Fall sind es aber vor allem die übergeordneten Botschaften, die diesen Tatort auszeichnen, die dieser Tage kaum wichtiger sein könnten. Was ist Demokratie, was Tyrannei? Nicht nur in der anfänglichen Sequenz im Klassenraum beschäftigt die Schülerinnen und Schüler diese Frage. Auch im weiteren Verlauf werden wir immer wieder mit verschiedenen Aspekten von Totalitarismus und Diktatur konfrontiert und müssen erkennen, dass pure Ideologie selten ein guter Motivationsfaktor ist. Diese Frage kulminiert am Ende vor allem in der Figur von Andreas Bergson in einer starken Szene.

„Man kann immer mehr tun“

Tyrannei, ob sie von links oder rechts motiviert ist, ist unter den bekannten Herrschaftsformen wohl die schlechteste. Zumindest tut es selten einem Land oder einem Volk gut, wenn eine Person oder eine kleine Gruppe sich aufschwingt, eine Mehr- oder eine Minderheit zu knechten und dabei nur ihr eigenes Wohl und ihre eigene Befriedigung im Sinn zu haben. Zugleich wird aber – wenn auch nur am Rande – die Frage aufgeworfen, wie Demokratien und Rechtsstaaten solch totalitären Systemen begegnen können und sollen und wie sie durch Zugeständnisse und gemeinsame Verbindungen – Stichwort: Wandel durch Handel – doch versuchen können, etwas zu bewirken.

Ein Schläfchen am Internatstor? Oder hat jemand Bodyguard Carlos etwas angetan? // Foto: © NDR/Marc Meyerbroeker

Der Tatort: Tyrannenmord ist also wie gesagt von großer Aktualität, was aber auch ohne Putins Einmarsch in der Ukraine der Fall gewesen wäre. Die überwiegende Abwesenheit von Julia Grosz ist bedauerlich, wird aber durch starke Nebencharaktere ein wenig ausgeglichen. Und neben einem starken Thorsten Falke stehen hier vor allem die Werte der Demokratie im Mittelpunkt. Allein das macht diesen Tatort schon sehr sehenswert.

HMS

Was weiß Juans Freundin Julia (Valerie Stoll)? Carlos will es wissen // Foto: © NDR/Marc Meyerbroeker

Tatort: Tyrannenmord läuft am 20.3.2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Tyrannenmord; Deutschland 2022; Regie: Christoph Stark; Drehbuch: Jochen Bitzer; Kamera: Eeva Fleig; Darsteller*innen: Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, José Barros, Valerie Stoll, Anselm Ferdinand Bresgott, Arash Marandi, Katarina Gaub, Christian Erdmann, Riccardo Campione; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Cinecentrum Berlin Film- und Fernsehproduktion  GmbH im Auftrag des NDR für Das Erste, gefördert von der nordmedia-Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH.

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