Sachsen-Sachen

„Der Osten des Ostens“ – so bezeichnete der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann Sachsen in seinem Buch Der Osten – eine westdeutsche Erfindung von 2022. Was er damit sagen wollte: Wenn es in Ostdeutschland so schlimm ist, dann ist es in Sachsen ganz besonders schlimm. Dort wolle nun wirklich niemand leben und die Menschen in Sachsen seien sowieso die schlimmsten aller „Ossis“.

Es ist ja nicht so, dass er Unrecht hätte. „Die Ossis“ sind vielen Vorurteilen ausgesetzt, die Sachsen ganz besonders. Es mag mit ihrem Dialekt zusammenhängen – Sächsisch wird eher Sächs- als Sex-Appeal zugeschrieben. Dass er dennoch identitätsstiftend ist, fällt dabei gerne unter den Tisch. Unter anderem deshalb hat sich die CDU-geführte Landesregierung Mitte Juli 2024 wohl auch entschlossen, den Dialekt besonders zu fördern.

Sächs-Appeal

„Die Sachsen“ haben es also schwer. Grund genug, sie einmal selbst zu Wort kommen zu lassen, denn vieles, was wir über sie zu wissen meinen, dürfte von Klischees nur so durchsetzt sein. Eine Frau, die sich zu Wort meldet, ist Kristina Zorniger, bekannt unter ihrem Künsterlinnennamen Kristina vom Dorf, die zwar mittlerweile in Franken lebt, aber aus der sächsischen Non-Metropole Langenreinsdorf kommt. Die Mittdreißigerin informiert uns in ihrem bei Conbook erschienenen Buch Made in Sachsen – Meine sächsischen Wurzeln, meine Landsleute und ich über ihre Heimat, die Leute, ihre Gewohnheiten und – wie könnte es anders sein – ihren Dialekt.

Neben diesem geht es übrigens auch um Akzent und Mundart und vor allem letzteres dürfte das sein, was viele von außerhalb Sachsens als akustisch weniger angenehm empfinden – eine der vielen Kleinigkeiten, mit denen Kristina hier aufräumt. Es geht um ihre persönliche Geschichte, ihre Kindheit, Jugend und junge Erwachsenenzeit in Sachsen, um vermeintlich typische Angewohnheiten ihrer Eltern und Landsleute und allgemein um so manches Klischee, das die Sächsinnen und Sachsen täglich begleitet.

Die Ronnys der Republik

Es geht aber auch darum, welche größeren Erfolge Sachsen vorzuweisen hat, von Erfindern, Forschern, Kaufleuten (alles überwiegend Männer) oder Dichtern und Denkern wie Goethe, der – mensch mag es kaum glauben – der Sprache wegen nach Sachsen geschickt wurde. Es geht um Natur- und landschaftliche Schönheiten, um die sächsischen Fraue, um Fußball und um Gebäck, um Blümchenkaffee, Meißener Porzellan und natürlich um die Ronnys der Republik.

Mehr als das geht es aber um die Jugend und das Aufwachsen auf dem Dorf, das bei Kristina scheinbar nicht viel anders verlief als bei mir in der bayerischen Provinz (und ja, natürlich muss auch ich mir regelmäßig Sprüche zu meinem Dialekt anhören, aber mir scheint, dass das weniger abschätzig ist, als bei Sächsisch-Muttersprachler*innen). Das war vermutlich deutlich anders als eine Jugend in der Stadt – egal welcher – verlaufen wäre, aber gerade die persönliche Komponente nimmt bei Kristina viel Raum ein.

Keine blau-braune Auseinandersetzung

Auffällig ist dabei, was Made in Sachsen eben nicht ist: ein Buch, das sich mit den bekannten Vorwürfen auseinandersetzt, dass die Sächsinnen und Sachen sowieso alles Nazis seien. Damit räumt Kristina bereits zu Beginn auf und erklärt, dass sie nicht beweisen wolle, dass Sachsen eben nicht so braun ist, wie es gerne verunglimpft wird (und was angesichts von AfD-Wahl- und Umfrageergebnissen von 30 Prozent und mehr auch durchaus nachvollziehbar ist). Damit bietet sie denjenigen, die sich an den schlechten Dingen des Lebens abarbeiten, keine direkte Bühne. Welch Ironie: Noch vor 100 Jahren war Sachsen sozialdemokratisches und sogar kommunistisches Kernland. 

Nein, Made in Sachsen ist eine charmante Auseinandersetzung mit Klischees, die den Sächsinnen und Sachsen allzu häufig begegnen. Manche sind auch gar nicht so sehr von der Hand zu weisen, nur packt Kristina sie in einen gewissen und häufig charmanten Kontext, sodass die Leserinnen und Leser ihres Buches Land und Leute doch von einer anderen Seite kennenlernen können, selbst wenn es häufig individuelle Erlebnisse sind, auf die Kristina hier zurückgreift.

Verbundenheit mit Sachsen

Das Land und seine Leute können die Leserinnen und Leser nicht nur bei der Lektüre von Kristinas Buch kennenlernen, sondern auch auf ihren Instagram-Auftritten. Sachsen und Sächsisch genießen so einen schlechten Ruf, dass Kristina beidem Raum in sozialen Medien gibt und als eine Art kleine Botschafterin einerseits über ihre Heimat aufklären möchte, andererseits aber auch die Traditionen ihrer „Landsleute“ bewahren will. Damit schafft sie nach eigenem Bekunden Verbundenheit mit ihrer Heimat sowie unter den vielen Expats, die Sachsen in alle Himmelsrichtungen verlassen haben. 

An dieser Stelle mögen manche die Werbung in eigener Sache kritisch sehen, aber andererseits ist es doch auch sinnvoll, Gutes zu tun und darüber zu reden. Kristina weckt in ihrem Buch die Neugier auf Sachsen, seine Bewohner*innen und seine Traditionen und räumt charmant mit manchen Klischees auf. Hier noch weitere Empfehlungen zu geben und aus dem jüngeren Erfahrungsschatz zu plaudern, ist eine gute Sache.

Gegen die blau-braune Gefahr

Alles in allem ist Made in Sachsen von Kristina vom Dorf somit eine charmante Zusammenstellung der Eigenheiten derer, die wir hierzulande in großer Zahl als akustisch wenig charmant abstempeln – und das, ohne sich im größeren Rahmen mit Land und Leuten auseinandergesetzt zu haben. Das ist schade, nährt es doch Ressentiments innerhalb der Gesellschaft ebenso wie gegenüber jenen, die von weit herkommen, um bei uns ein besseres Leben zu führen als in krisengeplagten Regionen.

Made in Sachsen räumt mit so manchem Vorurteil gegenüber den Menschen im „Osten des Ostens“ auf oder setzt diese manchmal in ein etwas charmanteres Licht. Ein Fan des Sächsischen muss mensch auch nach der Lektüre nicht sein, aber gerade wenn wir in den kommenden Tagen bis zur Landtagswahl wieder öfter über „die Sachsen“ und die blau-braune Gefahr, die sich dort Bahn zu brechen droht, sprechen, lohnt es sich auch, a) humor- und b) weniger vorurteilsvoll mit dem Bundesland und seinen Bewohner*innen auseinanderzusetzen.

PS: Kristina vom Dorf zeichnet auch für die beiden Fettnäpfchenführer Dänemark und Zypern verantwortlich – Länder in denen sie ebenfalls eine Weile gelebt hat. Diese beiden Bände kennen wir zwar nicht, aber dass wir bei the little queer review der Reihe sehr zugewandt sind, dürfte aufmerksamen Leserinnen und Lesern keine Überraschung sein.

HMS

Kristina vom Dorf: Made in Sachsen – Meine sächsischen Wurzeln, meine Landsleute und ich; Oktober 2023; 192 Seiten; Broschur; ISBN: 978-3-95889-458-7; Conbook; 12,95 €

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