Dass Recht und Gerechtigkeit häufiger mitnichten gleichzusetzen sind oder das Gleiche wären, wissen wir nicht erst seit Büchern von Ferdinand von Schirach oder Verfilmungen derselben oder seiner Storys wie etwa Der Fall Collini oder der starken RTL+–Serie Glauben. Diverse Kriminalromane, Dramen (Shakespeare!), True-Crime-Podcasts, Tatorte und Polizeirufe befassen sich damit. Nicht zuletzt reicht manches Mal ein Blick in die Zeitung sowie auf lokale Nachrichtenmagazine.
Im neuen Schwarzwald-Tatort: Ad Acta greifen nach dem Mord, der einer Hinrichtung gleicht, an dem jungen, aufstrebenden Anwalt Tobias Benzinger (Jan Liem) die Ermittler Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) einen im Grunde zu den Akten gelegten Fall wieder auf – beziehungsweise mehrere. Denn der junge Syndikus plante wohl gemeinsam mit seinem Ehemann Nader Mansor (Hassan Akkouch, Contra) Deutschland zu verlassen. Zuvor aber wollte er noch ein paar Dinge bereinigen…
Zwielicht
…die überaus gut laufende Kanzlei seines Stiefvaters Rainer Benzinger (August Zirner) vertrat und vertritt noch bei erstaunlicher Erfolgsquote mehr als nur ein paar zwielichtige Mandantschaften. (Zitat Tobler: „Jetzt haben Sie doch recht – ist wirklich nicht so leicht mit den Sympathien.“) Tobias hatte im Zuge seines Aufräumprozesses diverse Akten an sich genommen. So vermuten Tobler und Berg, dass das Attentat auf den Stiefsohn des Kanzleichefs durchaus mit einem der alten Fälle zu tun haben könnte. Dieser steht der These ausgesprochen ablehnend gegenüber, wie er auch sonst alles tut, um Tobler und Berg bloß nicht vorankommen zu lassen. (Wobei es nur nachvollziehbar ist, dass er mit Verweis auf die Schweigepflicht einen Durchsuchungsbeschluss einfordert – alles andere wäre mehr als fahrlässig.)
Friedemann Berg ist entsprechend empört. Auch darüber, dass Benzinger senior sich weder von ermittlungstaktischen noch empathischen Argumenten erweichen lässt. Benzingers Frau und Tobias‘ Mutter Maki (Akiko Hitomi) versucht auf ihn einzuwirken, doch auch dies ist vergeblich. Als ein Anschlag auf Rainer Benzinger verübt wird, mauert er nur noch mehr. Franziska Tobler sucht derweil Hilfe bei ihrem mit Berg im Streit liegenden Vater Bruno (Michael Hanermann), der seinerzeit in vielen Fällen ermittelte, die mit Benzinger zu tun hatten.
Rache
Wie zuletzt nicht selten, geht es im Schwarzwald also wieder reichlich verstrickt zu und wieder einmal hängt irgendwie alles an einer Familie, die vieles zu tun bereit ist. Außer mit den Ermittelnden zu sprechen. Manches Mal erinnert das, wenn auch im anderen Setting, an den ebenfalls von Bernd Lange geschriebenen Tatort: Die Blicke der Anderen. Und auch Regisseur Rudi Gaul setzte sich bereits mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Ermittlungen auseinander, so etwa in den sehenswerten Stuttgarter Tatorten Videobeweis und Vergebung.
Nun steht hier neben hämmerndem Schweigen, August Zirner ist übrigens sehr stark als Patriarch, auch die Frage im Raum, ob eine Rockerbande, ein Clan oder doch nur ein enttäuschter Opferangehöriger Rache übt oder verhindern wollte, dass Informationen nach außen dringen. Lange bleiben auch wir Zuschauer*innen im Dunkeln, was hier genau das Motiv gewesen sein könnte. Dafür wirkt manch ein Austausch zwischen Benzinger und Tobler, vor allem aber Berg, durchaus erhellend, wenn es um das allzu Menschliche geht.
Gerechtigkeit
Ebenso wird in Ad Acta, nicht immer frei von Pathos und Allgemeinplätzen, der erwähnte Zusammenhang oder auch mal Widerspruch von Recht und Gerechtigkeit ausgehandelt. Ganz passend dazu Tobler im Gespräch mit der Richterin Stefanie Wirtz (Theresa Berlage): „Vielleicht bin ich ja naiv, aber ich dachte, es geht immer noch um Gerechtigkeit.“ – „Das schaffen wir nicht.“ Es ginge primär um Schadensausgleich, was Tobler entsprechend schwierig findet. Genauso steht die Frage des Zu-Spät-Kommens der Ermittler immer wieder im Raum. (Wie auch jene, ob sich Tobler oder Berg um die vakante Dienststellenleitung bewerben sollten.)
Naturgemäß können weder der Widerspruch noch das Zeitliche wirklich ausgeräumt werden (die Mordkommission kommt eben erst „danach“). Wenn sich der Tatort: Ad Acta zum etwas langgezogenen Ende hin auch eines eher billigen, und unglaubwürdigen, Kniffs bedient, um das Bedürfnis der Zuschauer*innen nach einem möglichst guten Ende zu bedienen. Das ist in diesem ansonsten sehr spannenden und debattierfreudigen sowie diverse gute Fragen aufwerfenden Sonntagskrimi leider enttäuschend und inkosequent. Oder anders: Den Zuschauer*innen gegenüber nicht gerecht.
AS
PS: Irgendwas ist mit Friedemann Bergs Hof los, oder? Das wird immer mehr angedeutet und wenn Papa Tobler sagt, vielleicht graben wir das alles mal um, und schauen, was wir so finden, ist das schon recht deutlich.
PPS: In zwei Wochen verabschiedet sich die große Dagmar Manzel vom Tatort. In der Folge Trotzdem wird es ebenfalls um einen längst erledigt geglaubten Fall gehen. Mehr dazu in 14 Tagen.
Das Erste zeigt den Tatort: Ad Acta am Abend der Landtagswahl in Brandenburg, den 22. September 2024, um ca. 20:20 Uhr; anschließend ist er für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Ad Acta; Deutschland 2024; Regie: Rudi Gaul; Buch: Bernd Lange; Bildgestaltung: Stefan Sommer; Musik: Verena Marisa; Darsteller*innen: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Daniel Friedl, August Zirner, Akiko Hitomi, Hassan Akkouch, Michael Hanemann, Jan Liem, Theresa Berlage, Rosa Lembeck, Sammy Scheuritzel, u. a.
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!