Beitragsbild: Herrhausen (Oliver Masucci, re.) vertraut seinem Assistenten Wasner (David Schütter, il.) und bereitet sich auf seine Rede vor [Motiv aus Episode 3] // © ARD Degeto/rbb/hr/swr/Sperl Film und Fernsehproduktion GmbH/Despina Spyrou
Herrhausen – Banker, Querdenker, Global Player, so der Titel einer mit ausführlichem Anhang und zahlreichen Notizen versehenen 800 Seiten starken Biografie der Wirtschaftshistorikerin Friederike Sattler. Ihr Buch über den 1930 geborenen Alfred Herrhausen, seit Ende 1987 alleiniger Vorstandssprecher der Deutschen Bank, seit 1985 Aufsichtsratsvorsitzender bei Daimler-Benz und am 30. November 1989, drei Wochen nach dem Fall der Mauer, durch ein Bombenattentat ermordet, ist im Jahr 2019 im Siedler Verlag erschienen.
So mag dieser Band auch eine kleine Rolle dabei gespielt haben, als die Produzentin Gabriela Sperl vor fünf Jahren und also dreißig Jahre nach dem tödlichen Attentat auf Herrhausen die seit heute in der ARD-Mediathek verfügbare vierteilige Mini-Serie Herrhausen – Der Herr des Geldes entwickelte. (Im linearen Fernsehen zeigt Das Erste sie als Zweiteiler am 01. Oktober 2024 um 20:15 Uhr und am 03. Oktober 2024 um 21:45 Uhr.) Das Foto der gepanzerten, zerbombten Mercedes-Limousine (Herrhausens Fahrer Jakob Nix überlebte schwer verletzt) sei ikonographisch für ihre Generation, so Sperl.
„Nach über 30 Jahren haben wir uns diesem großen ungelösten ‚true crime‚ Fall der jüngeren deutschen Vergangenheit zugewendet, uns Jahre auf Quellen- und Spurensuche begeben. Und stellen die Frage nach Herrhausens möglichen Feinden. Wer hat seine Visionen, seine Hybris, seine Macht so gefürchtet, dass er sterben musste? Er wurde nicht einfach abgeschossen auf einer seiner vielen Fahrradtouren durch den Bad Homburger Park. Er wurde in die Luft gesprengt in seiner gepanzerten Mercedes Limousine. Ein Statement von Profis, ein Warnzeichen an die Welt.“
Gabriela Sperl
Fix bekannte sich die (dritte Generation) der Rote Armee Fraktion, kurz RAF, zu dem Anschlag. Da es ohne Wirken Herrhausens Geld und Kredite an die Sowjetunion und weitere Staaten des Ostblocks, wie etwa Ungarn, so nicht gegeben hätte und in der Geschwindigkeit nicht zu massiven Rissen und letztlich dem augenscheinlichen Zerreißen des Eisernen Vorhangs gekommen wäre, Michail Gorbatschows Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) kaum umsetzbar gewesen wäre, wird auch immer ein Mitwirken der DDR in Form der Stasi vermutet.
Oliver Masucci verleiht Herrhausen Leben
Das liegt insofern nah, als dass der Geheimdienst der Ost-Diktatur Mitglieder der RAF förderte und ausbildete, sie gern für eigenen Zwecke einsetzte und ebenso mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) im Libanon zusammenarbeite. Wie übrigens, wenn auch aus anderen Gründen, auch die CIA. All dies wird auch in der von Regisseurin Pia Strietmann hervorragend nach einem Drehbuch von Thomas Wendrich (das auf dem Serien-Festival Series Mania in Lille mit dem Preis für Best Screenwriting prämiert wurde) inszenierten Serie Herrhausen – Der Herr des Geldes thematisiert.
Verkörpert wird der Herr des Geldes, dessen Einfluss auf die Bundes- und Weltpolitik nicht zu unterschätzen ist und immer wieder aufgebracht wird, von Oliver Masucci, der laut Produzentin Sperl schon immer Alfred Herrhausen für sie gewesen sei. Und der geduldig die lange Konzeptions- und Recherchephase abwartete. In der Tat ist der sich dank seiner Vielfältigkeit und oft überraschenden Rollenauswahl jeder konkreten Zuschreibung entziehende Masucci eine perfekte Wahl, um den charismatischen, eitlen, hochintelligenten, konservativ-anarchistischen Demokraten, zackigen Groß- und Vorausdenker und menschlichen Machtmenschen darzustellen.
Glänzendes Ensemble
Wie es überhaupt am großartigen, treffenden, motiviert und glaubwürdig aufspielenden Cast nichts auszusetzen gibt. Ob gewichtige Rollen im kleinen Format, wie etwa Henry Kissinger, der vom israelischen Schauspieler Dov Glickman (Polizeiruf 110: Hermann) ausdrücklich eindrücklich gegeben wird oder Peter Jordan, der einen herrlich schmierigen Genscher gibt. Julia Koschitz brilliert als Herrhausens zweite, so selbstbewusste wie ebenbürtige und wenn nötig auch eigensinnige Ehefrau Traudl, derweil Lisa Vicari als Tania Fehling ein greifbares Sinnbild der Frauen der RAF gibt.
August Zirner als sein (vormaliger) Co-Sprecher und Mentor Christians, Thomas Loibl (demnächst in der Robert-Harris-Romanverfilmung Konklave von Edward Berger zu sehen, Rezension folgt) als eine Art antagonistischer von Grofen, Bettina Stucky als Ellen Schneider-Lenné, die Herrhausen als erste Frau in den Vorstand holt und mit der er die Modernisierung und Zentralisierung des Bankhauses vorantreiben will und wird, die fantastische Ursula Strauss als seine Sekretärin und Vertraute Frau Pinckert, oder auch Shenja Lacher als zögerlicher Hilmar Kopper (der allerdings etwas zu jung wirkt, wenn wir bedenken, dass er Ende der 1980er-Jahre die Fünfzig bereits überschritten hatte). David Schütter lässt als fiktionaler Thomas Wasner die Assistenten Herrhausens lebendig werden, hier am ehesten wohl Christoph Cleve, der in einer die Mini-Serie wunderbar ergänzenden Kurz-Dokumentation von Ulrike Bremer, Herrhausen – Die Macht des Bankers, zu Wort kommt.
© ARD Degeto/rbb/hr/swr/Sperl Film und Fernsehproduktion GmbH/Despina Spyrou
Sascha Nathan überzeugt optisch (dies natürlich auch dank der Maske von Jeanette Lazelserger, Kuno Schlegelmilch und Elke Lebender) wie auch in Ton und Habitus als „Einheitskanzler“ Helmut Kohl; der geschätzte Tom Keune spielt Herrhausens Fahrer Jakob Nix mit freundlicher Zurückhaltung. Die schauspielerische Geheimwaffe Franz Hartwig IST als Major Wild die Stasi und Cornelius Obonya gibt den Gegenspieler vom Verfassungsschutz, Hartmut Kefer, die beide mit den gleichen Leuten in der RAF sowie dem PFLP-Verbindungsmann Al Fahoum (überzeugend undurchsichtig: Yousef Sweid) zu tun haben.
© ARD Degeto/rbb/hr/swr/Sperl Film und Fernsehproduktion GmbH/Despina Spyrou
Es ist ein erhabenes, aber nie eitles Fest, zu sehen, wie hier in vier kurzweiligen Folgen und über etwa dreieinhalb Stunden hinweg deutsch-deutsche Geschichte, der Veränderungsprozess einer für deutsche Verhältnisse zwar großen auf internationaler Ebene doch eher mickrigen, langsamen und bürokratischen Bank, ein Unternehmens- wie Polit- und Spionagethriller, die Aufs und Abs einer Workaholic-Ehe und nebenbei noch ein Charakterdrama verwoben werden. Buch, Regie, Bild (Florian Emmerich), Musik (Martina Eisenreich – bitte, bitte, wir wollen die teils an Nicholas Britells Succession-Kompositionen angelehnte Musik als Soundtrack!), Kostüme (Peri De Braganca), Schnitt (Anja Siemns, Sebastian Thümler, Max Fey, Britta Nahler) und Casting (die 2023 verstorbene Simone Bär, die unter anderem auch für Im Westen nichts Neues, Roter Himmel, The Zone of Interest, Der Vorleser, … castete) und mehr Gewerke greifen wunderbar ineinander.
Oder in den Worten von Regisseurin Pia Strietmann:
„Auf der operativen Seite bestand die Herausforderung darin, der Größe dieses Projekts gerecht zu werden und den Kontrast der Welten zu zeigen: BRD, DDR, USA, Mexiko, Syrien, Libanon und Sowjetunion. Um die unterschiedlichen Erzählstränge inhaltlich zusammenzuziehen, auch wenn sie in den ersten Episoden noch kaum erkennbar zusammengehören, haben wir uns für einen assoziativen Schnitt entschieden, den ich unbedingt erwähnen möchte. Da den Mut und Überblick zu behalten, war eine Meisterleistung des gesamten Schnitt- und Musikteams!“
Ohne jeden Scheiß und Unterton: Es gibt an Herrhausen – Der Herr des Geldes, nach intensiver, wenn auch nicht immer einfacher Recherche, unter dem Motto „Nach einer wahren Geschichte – soweit Geschichte wahr sein kann“ umgesetzt, nichts zu bemängeln. Oh, stopp! Doch! Hahaha! Gibt es. An einer Stelle spricht Sascha Nathans Helmut Kohl von „der EU“. Doch, oh weh, die gab es damals noch gar nicht. Ende der 80er sprach mensch noch von der Europäische Gemeinschaft, kurz EG. Aber nun, Kohl soll ja auch vorausgedacht haben.
Menschen und Zeit im Portrait
Erzählt wird die Geschichte, werden die Geschichten, wird Geschichte in einem respektvollen Ton, ohne jedoch jemals ins Hagiographische abzudriften. Alfred Herrhausen wird nicht überhöht, es wird kein Märtyrer-Mythos kreiert, doch aber seine Bedeutung dargestellt. Wie auch sein Wissen um diese und durchaus auch der Genuss der eigenen Wichtigkeit. Es werden der Mensch und seine Zeit portraitiert wie auch die Bonner Republik. Charisma und Eitelkeit, Gestaltungswille und Ego, das vermengt sich wie bei so vielen. Wobei… so viele sind es gar nicht. Ein Mangel an Persönlichkeiten darf wohl beklagt werden, was aber auch an „unserem“ Umgang mit ihnen liegen mag. Oliver Masucci dazu: „Sie fehlen nicht nur in Deutschland. Aber wenn wir dann mal eine solche Persönlichkeit haben – und das ist im Ausland anders, finde ich – dann tut sich Deutschland oft schwer damit, sie zu würdigen. Die Deutsche Bank hat letztes Jahr die Alfred Herrhausen Gesellschaft eingestellt.“
Somit stellt die Mini-Serie Herrhausen – Der Herr des Geldes auch eine Art Würdigung dar und rückt dabei den nach wie vor ungeklärten Mord erneut in den Fokus. (Irgendwie auch komisch, dass bisher noch kein, zumindest mir bekannter, True-Crime-Podcast den Herrhausen-Mord aufgegriffen hat.) „Das Attentat auf Alfred Herrhausen ist einer der mysteriösesten, politisch motivierten Morde der deutschen Geschichte. Der Hintergrund ist nicht auserzählt, es gibt zu viele Lücken“, so Masucci. So ist etwa gar das Wrack des Mercedes 500 SEL aus dem Werk in Untertürkheim verschwunden…
…kaum verschwinden hingegen dürfte diese eindrückliche, aufwühlende, hart spannende, teilweise berührende, fantastisch gespielte, fundiert geschriebene, groß inszenierte, usw. usf. Serie, die sowohl für jene, die bereits einen Bezug zu Alfred Herrhausen haben (wie der Autor dieser Zeilen), wie auch jene, die bislang kaum etwas über ihn wussten (wie ein mitschauender Kollege), ein gutes Stück hintergründiger Unterhaltung ist. Zudem ist sie mit Blick auf die neuerliche Spaltung der Welt in Blöcke sehr zeitgemäß, wie auch Regisseurin Strietmann meint. Wenn da im kommenden Jahr nicht diverse Nominierungen für Herrhausen – Der Herr des Geldes für den Deutschen Fernsehpreis wie auch den Grimme-Preis and then some drin sind, stimmt definitiv was nicht.
AS
PS: Neben der erwähnten Biografie von Friederike Sattler, die auch in der angesprochenen Dokumentation Herrhausen – Die Macht des Bankers zu Wort kommt, erschien vor kurzem im wunderbaren Prestel Verlag der Band 50 Jahre Schrägstrich im Quadrat, den wir in Kürze besprechen wollen. Ebenfalls lesenswert sind Andreas Platthaus‚ Alfred Herrhausen: Eine deutsche Karriere, Rowohlt Verlag, sowie Deutsche Bank: Die globale Hausbank 1870 – 2020, Propyläen. Interessant klingt auch Andreas Veiels Black Box BRD: Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams.
PPS: FunFact #376: Etwas, das selten der Fall ist – dass eine der letzten Szene auch zum Schluss gedreht wird, war hier der Fall, wie Regisseurin Pia Strietmann erzählt: „Ein anderer Moment, der mich sehr berührt hat, war die letzte Szene, die wir mit Oliver Masucci tatsächlich als seine letzte Szene gedreht haben: Herrhausen im zerstörten Autowrack. Es passiert selten, dass die letzte Szene eines Charakters auch das Ende seiner Dreharbeiten darstellt. Das war der Abschied nicht nur von einer Figur, sondern auch von der sehr intensiven Zusammenarbeit mit diesem besonderen und einzigartigen Schauspieler.“
PPPS: „Aber das haben wir noch NIE so gemacht!” – “… was eine genaue Umschreibung für ‚NEU‘ ist”
PPPPS: Es ist auch vom Herbst der Entscheidung die Rede. Diese Neoliberalen immer!
PPPPPS: „Ach, ich bitte Sie! Wenn Sie bei der UN etwas erreichen wollen, dann reden Sie doch auch nicht zuerst mit Ghana!“
Herrhausen – Der Herr des Geldes ist bis zum 2. Februar 2025 in der ARD-Mediathek verfügbar. Das Erste zeigt die Serie als TV-Zweiteiler am 1. Oktober 2024 um 20:15 und am 3. Oktober 2024 um 21:45 Uhr. Die Dokumentation Herrhausen – Die Macht des Bankers ist bis zum 3. Oktober 2026 in der ARD-Mediathek abrufbar und wird am 3. Oktober 2024 um 23:25 Uhr im Ersten gezeigt.
Herrhausen – Der Herr des Geldes; Deutschland 2024; Drehbuch: Thomas Wendrich; Regie: Pia Strietmann; Bildgestaltung: Florian Emmerich; Musik: Martina Eisenreich; Darsteller*innen: Oliver Masucci, Julia Koschitz, Sascha Nathan, David Schütter, Ursula Strauss, Bettina Stucky, Franz Hartwig, August Zirner, Thomas Loibl, Cornelius Obonya, Shenja Lacher, Sven Gerhardt, Philippe Brenninkmeyer, Harry Michell, Ivan Shvedoff, Till Wonka, Bernd Hölscher, Tom Keune, Peter Jordan, Dov Glickman, Axel Wandtke, Lisa Vicari, Anton Spieker, Joshua Seelenbinder, Yousef Sweid, Hassan Kello, Franz-Xaver Brückner, u. v. a.; eine Produktion der Sperl Film- und Fernsehproduktion in Koproduktion mit X-Filme Creative Pool GmbH in Koproduktion mit ARD Degeto Film, RBB, SWR, HR für die ARD. Gefördert von Film-und Medienstiftung NRW, der FFF-Bayern, HessenFilm & Medien und German Motion Picture Fund + BKM, mit der Unterstützung des belgischen Tax-Shelter-Systems der belgischen Föderalregierung über Beside Tax Shelter und des Nationalen Zentrums für audiovisuelle Medien und Kommunikation – EKOME in Griechenland
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