Störe meine roten Pfeile nicht

Diese Rezension ist neben der regulären Besprechung politisch geprägter Bücher auch Teil unserer Kategorie Superdupermegawahljahr 2021.

Es ist gerade relativ ruhig um die AfD. In Sachsen-Anhalt hat die Partei das dort schlechteste Ergebnis seit Parteigründung erzielt, und Parteichef Jörg Meuthen würde seine Parteifreundinnen und -freunde laut ZDF-Sommerinterview am vergangenen Wochenende nur bedingt wählen. Und dennoch ist sie da und bestimmt unsere Politik weiter. Thüringen beispielsweise wählt jetzt doch nicht am 26. September neu, wie das geplant war. Die Regierung Ramelow muss wohl nicht zum letzten Mal feststellen, dass sie keine Mehrheit hat und eine Landtagsauflösung eventuell nur mit der AfD machbar wäre. Die wiederum holt zum Gegenschlag aus und denkt wohl darüber nach, ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Ramelow anzusetzen. Je nachdem, wie sich die anderen Parteien verhalten, könnte das aber sogar ein Schuss in den Ofen für die AfD werden.

Pflichtlektüre: Die Methode AfD

Auf jeden Fall sehen wir: Die AfD beeinflusst das politische Handeln in der Bundesrepublik, ob wir das wollen oder nicht. Wie sie das geschafft hat und wie sie das heute tut, das arbeiten die beiden Journalistinnen Katja Bauer und Maria Fiedler in ihrem bei Klett-Cotta erschienenen Buch Die Methode AfD – Der Kampf der Rechten: Im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst sehr eingängig und anschaulich heraus. Im Superdupermegawahljahr 2021 ist das eine Pflichtlektüre, auch wenn in Thüringen nun „nur“ der Bundestag gewählt wird.

In fünf längeren Kapiteln analysieren Bauer und Fiedler die AfD und ihr Agieren im politischen System der Bundesrepublik. Sie beginnen mit einer gar nicht so kurzen Parteigeschichte und legen den Schwerpunkt auf die Radikalisierung rund um den offiziell als aufgelöst geltenden „Flügel“, also die ganz rechte Parteiströmung um Björn Höcke und den inzwischen ausgeschlossenen Andreas Kalbitz. In Kapitel 2 beschäftigen sie sich damit, wie die AfD den Bundestag aufmischt und nach dem „Prinzip Stören“ die Politik verändert.

In Teil 3 widmen sich die beiden der Frage, wie die AfD versucht, das Land zu verändern. Es geht hier um Ansatzpunkte und -orte, an denen die AfD versucht, Fuß zu fassen und in die Gesellschaft einzudringen, nicht zuletzt Gewerkschaften oder durch eine Umgestaltung der Erinnerungskultur. Kapitel 4 befasst sich mit den unmittelbaren Zukunftsplanungen und -perspektiven der Partei und im abschließenden Teil schlagen die beiden fünf Thesen vor, wie die demokratischen Parteien nun auf die AfD reagieren können und sollen und aber auch, welche Nebeneffekte dies haben kann.

Eine nicht ganz so kleine Geschichte der Radikalisierung

Es ist erstaunlich, wie sehr die AfD die Politik und den Diskurs bestimmt. Katja Bauer und Maria Fiedler arbeiten das auf ihren etwa 320 Seiten sehr gut heraus. Kapitel 1 liest sich beispielsweise sehr gut, fast wie eine lange Presseschau, ein Dokument der jüngeren Zeitgeschichte. Nicht selten erwischt man sich bei dem Gedanken: „Stimmt, das war ja auch noch, bzw. den/die gab es ja auch mal.“ Die Geschichte der AfD ist eine Geschichte der Radikalisierung einer Partei und die zeichnen die beiden Autorinnen sehr gut nach. Protagonisten dieser Entwicklung sind natürlich Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Alexander Gauland, deren Namen sehr häufig auftauchen, aber auch der neurechte Vordenker Götz Kubitschek. Das fällt „angenehm“ auf, dass die beiden Autorinnen diesen Mann – vermutlich einer der gefährlichsten Ideologen und Agitatoren, den dieses Land zu bieten hat – und seine Rolle so häufig offenlegen.

Auch die titelgebenden Methoden arbeiten Bauer und Fiedler sehr gut heraus, vor allem im Kapitel 2, der AfD im Bundestag. Sie analysieren scharf und sehr genau, wie die AfD hier agiert, mit welchem Zweck und Kalkül sie das tut und wie sie sich damit immer auch wieder ins eigene Fleisch schneidet. Auch für Kapitel 3 gilt dies. Das Ausmaß, in dem die AfD von einer „Massenbewegung“ lebt, davon, die breite Öffentlichkeit zu adressieren und wie sie versucht, in gesellschaftliche Gruppen einzudringen, öffnet einem die Augen. Vor allem zeigt es, dass die AfD und ihr Gedankengut eben weit verbreiteter sind als wir uns das wünschen können.

Eher Regen- als Gedankenbogen: Manches Ende findet man nicht

Die beiden letzten Kapitel hingegen sind auf Faktenebene zwar ebenfalls aufschlussreich, aber zum Teil leider auch eher Spekulation. Wie die AfD nun mit Corona umgehen kann, sollte sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses (Ende Januar 2021) erst noch zeigen (quasi gar nicht) und die Sache in Thüringen hat sich nun nochmal gedreht. Und auch die Thesen aus dem letzten Kapitel, die sich in großen Teilen wie eine unbestritten gute Zusammenfassung lesen, sind in Teilen angreifbar oder schlagen teils nicht die letzten noch tiefergehenden Gedankenbögen.

Ein Beispiel: Bauer und Fiedler arbeiten wirklich gut und nachvollziehbar heraus, wie weit die AfD bereits in das Revier der SPD und der Linken eingedrungen ist und welches Potential sie auch unter sozial Schwachen hat. Auch die Infiltrationsversuche bei Gewerkschaften, traditioneller Stammwählerschaft dieser Parteien, sind erschreckend breit (und bislang zum Glück noch nicht so erfolgreich). Anders als vielfach wahrgenommen ist die AfD also auch oder noch mehr eine Bedrohung für die SPD und die Linkspartei, die jedoch erstaunlich gelassen (oder einfach nur blind) sind.

Später heißt es allerdings, dass die Brandmauer zur AfD nur die bürgerlichen Parteien, also Union und FDP, ziehen können. Soweit, so gut. Am Ende führt das aber zu der (von Fiedler und Bauer nicht geäußerten) Schlussfolgerung, dass die SPD und die Linke eigentlich gar nichts tun können, um sich gegen die AfD zu behaupten – also noch weniger als sie ohnehin tun. Klar, Union und FDP fahren schon aus Eigeninteresse  gut damit, sich von der AfD deutlich abzugrenzen – die bei Kristina Dunz und Eva Quadbeck eingangs illustrierten Szenen aus dem Frühsommer 2018, als die Unionsfraktion wegen des „Masterplans Migration“ vor der Spaltung stand zeigt das gut. Aber gleichzeitig haben sie nach dieser Logik in gewisser Weise die Zukunft des linken Lagers in der Hand – eine Schlussfolgerung, die man sich von den beiden in dem analytisch sonst so in die Tiefe gehenden Buch hätte erwarten wollen.

Außenpolitik bleibt draußen, Geld stinkt offenbar nicht

Aber auch darüber hinaus zeigen sich ein paar Schwachstellen in Die Methode AfD. Zuerst sei die Russland-Connection genannt oder generell die Abwesenheit der außenpolitischen Dimension. Die AfD hat enge Verbindungen nach Russland, erst kürzlich war Parteichef Tino Chrupalla in Moskau. Mancher AfDler hat sich in der Vergangenheit mit Reisen auf die Krim oder nach Syrien auf schwieriges Terrain begeben, auch innerparteilich. Und auch das zwar innenpolitisch angesiedelte, aber dennoch eine außenpolitische Dimension tragende Megathema der Partei, Flucht und Migration, wird nicht aus der letztgenannten Dimension beleuchtet.

Außerdem fehlen die finanzielle Sachverhalte. Die AfD konnte einst nur durch einen umstrittenen Handel mit Gold finanziell überleben, um so Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu erhalten. Verschwendung beim Fraktionscatering und Mittel für die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung werden am Rande thematisiert, aber das war es dann auch. Und ja, Bauer und Fiedler legen immer wieder dar, wie sich die AfD auch intern immer wieder zerlegt, aber der äußerst bedeutende Vorgang um die Spendenaffären – vor allem von Parteichef Jörg Meuthen und Fraktionschefin Alice Weidel – werden komplett außen vorgelassen. Schade, denn das wäre ein guter Weg gewesen, die Argumentation der Partei in Bezug auf die „politische Elite“ noch einmal zu entkräften.

Bundessicht bricht Landessicht

Und ein letzter Kritikpunkt an einem nichtsdestoweniger sonst sehr gehaltvollen Buch: Es ist in großen Teilen sehr fixiert auf die bundespolitische Ebene und illustriert auch „nur“ mit Beispielen von dort. Das Kapitel zur parlamentarischen Arbeit befasst sich beispielsweise fast ausschließlich mit der AfD im Bundestag (wesentliche Ausnahme: ein Exkurs zu den Anfeindungen der grünen Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg Muhterem Aras).

Dabei, wenn es um die „Methode AfD“ gehen soll, wäre es doch viel spannender, noch mehr in die Analyse aufzunehmen als die großen und bekannten Beispiele, gerade wo die Partei im Osten so stark ist. Die AfD sitzt in allen Landtagen, in vielen wurde sie sogar schon wiedergewählt. Und in allen agiert sie mit ihren Methoden. Ja, die Wahl von Thomas Kemmerich in Thüringen war der wohl größte Coup und darf auf keinen Fall fehlen. Aber viel wichtiger als die Dinge, die bereits jeder und jede kennt, wäre es doch zu zeigen, was die AfD sonst so macht. Und die demokratischen Parteien auch.

In Sachsen-Anhalt hat die CDU sich dazu hinreißen lassen, mit ihr eine Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus (ein in der Tat unterschätztes Phänomen auch hierzulande) einzusetzen. Die Fraktion im bayerischen Landtag hat ihren Vorsitzenden geschasst (und die CSU hat ihn nach aufwändiger Prüfung aufgenommen) und fiel schon mehrfach mit Antisemitismus auf. Und von diesen weniger bekannten Vorfällen gab und gibt es viele, die leider zu wenig bekannt sind und doch zu wenig Beachtung finden. Das wäre die Gelegenheit gewesen, diese Taten in Erinnerung zu rufen.

Fazit: Ein sehr aufschlussreiches Buch, das droht in der Bubble zu bleiben

Nichtsdestoweniger, Die Methode AfD ist ein sehr umfassendes und lesenswertes Buch, das eindrücklich zeigt, wie gefährlich diese Partei für unser demokratisches System ist. Katja Bauer und Maria Fiedler arbeiten sehr gut heraus, wie die AfD tickt, welche Methoden sie anwendet, um das Land zu verändern und leider auch, wie erfolgreich sie in vielen Teilen bereits war und ist. CDU-Bundestagskandidaten aus Thüringen beweisen leider genau das, indem sie den Diskurs der AfD übernehmen und Gesinnungstests für Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordern.

Es ist daher wünschenswert, dass Die Methode AfD breit in der politischen Öffentlichkeit gelesen wird, von Vertreterinnen und Vertretern anderer Parteien (die – auch das illustrieren die Autorinnen gut – 2017 erstaunlich unvorbereitet waren, als die AfD zweistellig wurde) und von potentiellen Wählerinnen und Wählern der Partei. Leider ist jedoch – ähnlich wie bei Nur mit uns – Stimmen für eine vielfältige Politik – auch denkbar, dass eher Menschen dieses Buch lesen werden, die der AfD ohnehin schon kritisch gegenüberstehen und nicht jene, die erwägen, sich ihr auf dem Wahlzettel zu nähern, auch um nicht in der eigenen Echokammer gestört zu werden.

HMS

PS: Hier findet ihr einen Kommentar, in dem wir einige der Gedanken aus dem Buch aufgenommen und weitergeführt haben.

Katja Bauer und Maria Fiedler: Die Methode AfD – Der Kampf der Rechten: Im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst; 1. Auflage, März 2021; Klappenbroschur; 336 Seiten; Klett-Cotta; ISBN: 978-3-608-98412-5; 20,00 €; auch als eBook erhältlich

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