The Birds

Wusstet ihr, dass sich unter anderem bei Feldlerchen „[d]ie Gesangsmuskeln rund um die Syrinx […] in unglaublichen vier Millisekunden zusammen[ziehen]“? Und dass das „viel schneller als alle Muskeln, die wir Menschen zu bieten haben“ ist? Wusstet ihr nicht, oder? Und schon hat sich nicht nur das Öffnen dieses Beitrags gelohnt, sondern auch die anstehende Anschaffung des erhellenden Buches Die Superkräfte der Vögel von Instagram-Vogelguckerin Silke Hartmann.

Ein Nest der Faszination

In dem bereits im Herbst 2023 im Kosmos Verlag erschienenem Buch betrachtet Hartmann in insgesamt neun Kapiteln ganze sechzehn Superkräfte von Vögeln. Einige davon mögen uns einigermaßen bekannt erscheinen, wie etwa die Sing-, Nestbau- oder Flugkompetenz. Doch ist es eine wissensintensive Freude, mehr über Forschungsgeschichte (so wurde etwa lange Zeit vermutet, dass Vögel unter Wasser überwintern würden) und neuere Erkenntnisse (etwa den Magnetsinn) zu erfahren.

Das singende, klingende Vögelchen // © Véro Mischitz / Kosmos Verlag

Den Beginn allerdings macht in dem von Véro Mischitz sympathisch und jugendgerecht illustrierten Band das Kapitel und die erste Superkraft „Verzaubern“. Enden wird es mit dem Abschnitt „Gut gegen Böse“ und der Superkraft „Resilienz“ aka Anpassungsfähigkeit, die uns im Grunde über das gesamte Buch hinweg begegnet. So beginnt und endet Die Superkräfte der Vögel mit einem Plädoyer für die mannigfaltige Vogelwelt, den Wunsch sich von ihr einnehmen und begeistern zu lassen sowie sie bewusster wahrzunehmen und letztlich auch zu schützen.

Lernfaktor Vogel

In den Kapiteln dazwischen geht es um Fliegen, Singen und Heilen; die fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen (was sie dank Riechschlitzen durchaus können), Schmecken und Tasten – werden um den 6. Sinn, den einzigartigen Orientierungssinn, erweitert. Natürlich geht es auch ums Aussehen, das bei Vögeln, anders als bei uns zweibeinigen Säugern, nicht aus Egogründen gepflegt wird und ohnehin anderes bedeutet, als es scheint.

Hoch interessant auch der vorletzte Abschnitt zu Inneren Werten in welchem es um Intelligenz, besser als kognitive Fähigkeiten bezeichnet, wie auch um das Sozialverhalten geht. Da lernen wir etwa, dass bereits Hühnerküken zählen und Sicherheit abschätzen können und dass Kolkraben (die sowieso faszinierend sind) den meisten Menschen in oberen Konzernetagen einiges voraus zu haben scheinen (und gern auch in Frau-Frau– bzw. Mann-Mann-Konstellationen leben, was in der Tierwelt so untypisch jedoch ohnehin nicht ist).

Informationen knacken

Silke Hartmann stößt uns erneut auf die „ganz schön steile These“, Vögel würden die Welt so wahrnehmen wie wir. (Vor allem in Bezug auf die vermenschlichten Strigiformes, also Eulen.) „Selbst bei anderen Menschen wissen wir nicht sicher, ob deren Grün aussieht wie unseres. Wie viel unsicherer ist diese Annahme dann bei Wesen, die uns evolutionär so fern sind wie die Vögel (unser letzter gemeinsamer Vorfahr lebte vor rund 315 Millionen Jahren).“ (Er hieß, soweit bekannt, nicht Thomas Gottschalk.)

Silke guck in die Luft // © Véro Mischitz / Kosmos Verlag

Dass wir natürlich dennoch, allein schon eines vermeintlich besseren Verständnisses wegen, vergleichen, liegt nahe, scheint nur natürlich. Welche Vergleiche wir künftighin so nicht mehr anstellen zu brauchen, erfahren wir unter anderem auch in Die Superkräfte der Vögel. Es wechseln sich zugänglich formulierte wissenschaftliche Fakten mit eigenen Beobachtungen und Anekdoten Hartmanns ab. Hinzu kommt einiges aus der Kategorie #FunFacts, wobei auch diese kuckuckseischalen-harte Wissenschafts- und Forschungsinformationen sind.

Das soapige Vogelleben

Etwa, dass Küken sich bereits im Ei unterhalten, wie es sich mit alleinziehenden Jungvögeln verhält, was es mit der Nickhaut im Auge auf sich hat, wie Vögel Inzest vermeiden, warum sich etwa Blaumeisenweibchen bunt in ihrer Hood herumtreiben, wie die Waldrappe neu aufgezogen und ausgewildert wurde oder weshalb der Wintergoldhähnchen immerzu futtern muss. Warum der Eisvogel für uns schön, für die eigenen Belange allerdings vor allem praktisch gefiedert ist, weshalb Stare in ihrem vermeintlich chreografierten Gruppenflug vollkommen individuell bleiben (bei S. Fischer liegt Der Flug der Stare. Das Wunder komplexer Systeme des theoretischen Physikers Giorgio Parisi vor, nicht einfach aber empfehlenswert) und warum die Nest- und Gefährtentreue der Weißstörche eher pragmatisch denn romantisch ist.

Nicht zuletzt lesen wir in Die Superkräfte der Vögel noch von einer Sache, die absoulut konträr zu den Säugetieren ist: „Über 90 Prozent aller Vogelarten weltweit leben in festen Paarbeziehungen, wohingegen nur rund fünf Prozent der Säugetiere das tun.“ So findet Ähnliches auch in der neuen, sechsteiligen ZDF-/BBCDoku-Koproduktion Säugetiere Erwähnung (Rezension folgt). Nämlich dass um die 90 Prozent der Mütter ihren Nachwuchs (größtenteils) allein aufziehen. Hier macht die Art der Fütterung den Unterschied: Nahrung aus dem Schnabel in den Schnabel ist eben etwas anderes als Muttermilch.

Wermutstropfen und Auszeichnung

Somit sind die flüssig formulierten Superkräfte der Vögel ein aufschlussreiches Vergnügen, das manches Wissen verfestigt und teils neues bildet, je nachdem, wie viel mensch bereits zum Thema gelesen, geschaut, gehört hat. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass Hartmann im Anhang zwar einige wenige Bücher empfiehlt (wenn die Zusammenstellung auch eher random wirkt), allerdings auf ein Quellenverzeichnis verzichtet und auch innerhalb des Buches kaum welche nennt. Das mag nicht recht zu Thema und Aufbereitung passen.

Dessen unbenommen sind die Superkräfte der Vögel, die in der Kategorie „Überraschung“ als Wissensbuch des Jahres 2024 nominiert waren und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurden, ein feines, lebendiges und aufrichtig wertschätzendes Buch, das in der heimischen Tier- und Naturbibliothek zum Nesthocker werden darf.


AS

PS: Ja, der Titel ist eine Anspielung auf die satirische, ultrabrutale Anti-SuperheldenSerie The Boys, die auf den gleichnamigen Comics basiert. Wenn sich mir die Faszination an dieser bisher auch weniger erschließt, als jene am Leben und den Superkräften von Vögeln.

PPS: Vogel des Jahres 2024 ist der Kiebitz. Klar schreibt Silke Hartmann auch etwas über diesen kleinen Punk. Ebenso erfahren wir viel über das Rotkehlchen – den Vogel des Jahres 2025 in der Schweiz (etwa das hier beide Geschlechter singen und es sich arg territorial verhält). Weniger lesen wir zum Hausrotschwanz, aus der Familie der Fliegenschnäpper, dem Vogel des Jahres 2025 hierzulande.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Silke Hartmann (Text), Véro Mischitz (Illustrationen): Die Superkräfte der Vögel. Die Vogelguckerin erzählt, was Vögel so besonders macht; September 2023; 192 Seiten, mit zahlr. Illustrationen und Fotografien; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-440-17670-2; Kosmos Verlag; 20,00 €

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