Pfingst-Tatort aus Wien: Un(der)cover

Beitragsbild: Das eigentliche Verbrechen scheinen die Einwegplastikbecher zu sein… Bibi Fellner (Adele Neuhauser), Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Ernst Rauter (Hubert Kramar) und Eva Brunner (Zeynep Buyrac) beraten sich // © ARD Degeto/ORF/Felix Vratny

Clan– und Bandenkriminalität sind große Probleme in Deutschland und Europa. Mafias verschiedener Nationalitäten treiben ihr Unwesen und manchmal sind auch ausländische Regierungen in solche Dinge verstrickt. Und auch im Tatort ist das ein regelmäßig wiederkehrendes Motiv, beispielsweise in Meret Beckers letztem Tatort: Das Mädchen, das allein nach Hause ging.

Irakli Datviani (Vladimir Korneev) und Tinatin Datviani (Mariam Avaliani) mauern… // © ARD Degeto/ORF/Felix Vratny

Nun gibt es einen neuen Fall aus diesem Genre. Wir gehen nach Wien und wir gehen zu einem georgischen Clan, der sich scheinbar zunehmend in die Entscheidungsetagen der Republik hocharbeitet. Familie Datviani unter dem Oberhaupt Beka (Lasha Bakradze) ist bereits seit Längerem im Visier der Abteilung gegen Wirtschaftskriminalität und es steht zu befürchten, dass der Clan noch mehr Einfluss gewinnt.

„Familientragödie“ mal anders

Dann jedoch wird der Bruder des Clan-Oberhaupts ermordet aufgefunden und vieles spricht dafür, dass es eine „Familientragödie“ war – in diesem Fall ein Brudermord. Zu beweisen ist das allerdings nicht, weshalb die diesem Tatort ihren Titel gebende Azra (Mariam Hage) als V-Person in die Leibgarde der Familie geschmuggelt werden und so Beweise für den Mord sammeln soll.

…genau wie Beka Datviani (Lasha Bakradze) – da helfen auch Moritz Eisners (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellners (Adele Neuhauser) Dienstmarken nicht // © ARD Degeto/ORF/Felix Vratny

Das klappt anfangs erstaunlich gut, „die Wirtschaftskriminalität“ – verkörpert von Eva Brunner (Zeynep Buyrac) – ist sehr dankbar über Azras Informationen. Nur das Duo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) kommt in seinen Mordermittlungen nicht weiter. Als Azra schließlich ein hohes Risiko eingeht und unter Mitwisserschaft von Eisner nach einem Schnüffelstück der Kontakt abrupt abbricht, scheint das Leben der Undercover-Ermittlerin unmittelbar in Gefahr zu sein.

Undurchschaubar und sinister…

Der Tatort: Azra hat sehr vieles von dem, was ein guter Krimi für den Sonntagabend braucht. Wir starten mit einem Mord, der den Rahmen für eine Handlung bietet, die sich nach und nach herausschält. Das Tötungsdelikt tritt dabei zunehmend in den Hintergrund, was aber auch nicht schlimm ist, denn die Geschichte, die sich Regisseur Dominik Hartl und Drehbuchautorin Sarah Wassermair erdacht haben, entwickelt sich sehr generisch und spannend aus sich selbst heraus.

Azra (Mariam Hage) langt bei ihrem Trainer (Michael Rziha) zu // © ARD Degeto/ORF/Felix Vratny

Dazu gehört die vielleicht etwas allzu plötzliche Einführung der Figur Azra, die Abgebrühtheit, mit der sie an ihren Auftrag geht und sich in der Leibgarde des Datviani-Clans nach oben kämpft. Sie bleibt trotzdem – wie V-Leute das üblicherweise sind – dennoch ziemlich undurchschaubar und gar ein wenig sinister. Das macht sie aber zu einem sehr spannenden und auch recht wohl ausdefinierten Charakter, der diese Rolle gut trägt.

Dass hier eine weibliche Figur eine V-Person spielt, ist umso spannender, denn meist werden diese in der öffentlichen Wahrnehmung doch eher mit Männern in Verbindung gebracht. Gleichermaßen ist die Geschichte jedoch voll mit Spioninnen und Agentinnen – und hier passt Azra wirklich gut hinein.

…aber nicht ganz fehlerfrei

Selbstverständlich hat diese Folge auch ein paar kleinere Schwächen. Dass ein erfahrener Mann wie Moritz Eisner beispielsweise ein Treffen mit einer V-Person, bei dem auch sensible Daten und Informationen ausgetauscht werden, an einem gut abhörbaren, öffentlichen Platz organisiert, wirkt wenig glaubwürdig. Dass eine Bibi Fellner in dieser Folge nicht ihren ganzen Wiener Charme spielen lassen kann, ist schade, aber verkraftbar. Und dass der Mord wie gesagt doch irgendwie in den Hintergrund rückt und kurz vor Ende doch einmal mehr der „übliche Tatort-Twist“ sein muss… Naja, kann mensch machen, muss sie oder er aber auch nicht gezwungenermaßen.

Das sind aber Kleinigkeiten. Der Tatort: Azra unterhält uns mit viel Spannung, ein wenig Action und auch dem einen oder anderen Lacher. Genau das Richtige für einen Montag zum Ende des langen Pfingstwochenendes.

HMS

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Beka Datviani (Lasha Bakradze) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) // © ARD Degeto/ORF/Felix Vratny

Tatort: Azra läuft am 29. Mai 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für 30 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Azra; Österreich 2023; Regie: Dominik Hartl; Drehbuch: Sarah Wassermair; Bildgestaltung: Ioan Gavriel; Musik: Paul Gallister; Darsteller*innen: Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer, Mariam Hage, Lasha Bakradze, Mariam Avaliani, Vladimir Korneev, Zeynep Buyrac, Jevgenij Sitochin, Hubert Kramar, Temiko Chichinadze, Marcel Wahab, Boris Hatchatourov; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion des ORF, hergestellt von e&a film – ein Lizenzerwerb der ARD Degeto für die ARD

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