Wenn am heutigen Sonntag, dem kalendarischen Herbstanfang, um 14:43 Uhr auch der meteorologische Herbstanfang ist, ist in weiten Teilen Deutschlands sonniges Wetter um die 20 Grad Celsius angesagt. Ein paar Wolken über Nordrhein-Westfalen zwar, aber die haben vermutlich der Söder Markus, der Huber Martin und ihre bayrischen Freund*innen wahlweise aus der Staatskanzlei oder vom Oktoberfest, für welches es im durstigen Land gestern „O’zapft is!“ hieß, geschickt.
Wichtiger Wachstumswunsch
Kurzum: Wohl keine kleine oder groß gewordene Wolke wird sich heute über Deutschland ihrer aufgesaugten Feuchtigkeit entledigen (ob es in Brandenburg am Ende Tages zu einem politischen Wolkenbruch kommt, steht auf einem anderen Blatt). Das sieht im wunderschönen Bilderbuch Kleine Wolke Re von der im Hochland des mexikanischen Regenwalds lebenden Autorin Ixtzel Arreola und der in Hamburg lebenden Illustratorin Martina Liebig schon anders aus.
Im im Zürcher NordSüd Verlag erschienenen Kinderbuch ist die kleine Wolke Re anfangs leicht, kaum sichtbar. Dabei will sie doch nur eines sein: „[S]o groß und schwer wie die Wolken über dem Meer.“ Eine freundliche große Wolke gibt ihr gern Hilfestellung und rät: „Flieg einfach über die Seen und Flüsse, und vergiss nicht den Morgentau…“
Wechselnde Szenen
Gesagt, geflogen! Die kleine Wolke Re richtet sich nach dem Gesagten und „schwebte über jedes Gewässer, das sie fand – große Seen, schlammige Tümpel, Pfützen am Strand.“ Dabei ist sie so voller Saugedrang, dass sie die „tauschweren Blumen im Morgenlicht“ schon fast gar nicht mehr sieht und vergisst. Bis schließlich eine Blume sie anspricht, wie es in den Regenwaldgeschichten halt so passiert, und ihr mitteilt, dass all der Tau ihr die Sicht versperre.
„Ich lebe im Hochland des Regenwaldes, einem Ort mit wechselnden Szenen. Es beginnt warm und sonnig, dann verwandelt es sich für die Hälfte des Jahres in einen Nebelwald, bevor der Regen alles üppig und lebendig werden lässt. Die Flüsse fließen in Strömen und die Landschaft erstrahlt in bunten Blüten. All dies zu beobachten, ist meine größte Freude und ist auch ins Buch miteingeflossen.“
Ixtzel Arreola, Autorin
Aus dieser kurzen ersten Begegnung entsteht eine Freundschaft, während die kleine Wolke Re so klein gar nicht mehr ist. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile ist sie größer als jene zuvor angehimmelten Wolken über dem Meer, „fast konnte sie nicht mehr.“ Lärmend – und ein wenig nach Verstopfung aussehend – regnet sie sich schließlich ab. Erst sanft, dann stürmisch. Der letzte Tropfen gehört dabei ihrer neuen Freundin, der Blume und landet auf deren hellrosa Blütenblatt.
Von der Erzählung zum Buch
Die Geschichte Ixtzels Arreolas sowie die detailgenauen, wunderbar natürlichen Illustrationen Martina Liebigs, für beide ist Kleine Wolke Re ihr NordSüd-Debüt und für Arreola überhaupt das erste Bilderbuch, zieht eine*n sofort in den Bann. Es fällt leicht, sich in den liebevollen Bildern, den von Arreola genannten und toll umgesetzten wechselnden Szenen, zu verlieren, sich dabei vollends auf den wehenden Wumms der wenigen doch aber kraftvollen Worte einlassend, die Ixtzel Arreolas Ehemann Tino Hanekamp trefflich ins Deutsche übertragen hat.
Ixtzel Arreolas Sohn wollte gern eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt bekommen. Gerade als sie den Mund und noch bevor sie ein Wort sagen konnte, sei Re bei ihnen zu Hause gelandet. Wie es schließlich zur Zusammenarbeit der Autorin, die eigentlich als traditionelle Hebamme arbeitet, und der Illustratorin Martina Liebig kam, lest ihr in diesem sehr aufschlussreichen Interview, in dem es auch viel um den kreativen Arbeitsprozess geht.
Staunen, lernen, assoziieren
Dass Liebig für ihre Zeichnungen eingehend recherchierte, ist dem Band deutlich anzusehen: „Das ging von der Einzelbild-Recherche im Internet bis zu Dokumentationen, die ich über Südamerika geguckt habe. Ich musste die Tiere erforschen, wo und wie sie leben, aber auch die unterschiedlichen Wolkenarten und ich musste mich mit dem Wasserkreislauf auseinandersetzen.“
So lernen Kinder ab etwa vier Jahren dank der wie erwähnt gut gelungenen Text-Bild-Kombination anhand einer mitreißenden Geschichte inmitten der Dramatik südamerikanischer Landschaften das natürliche Phänomen von Wolkenbildung und der Entstehung von Regen zu verstehen. Eltern wiederum können sich an den kunstvollen Illustrationen erfreuen, die bei einem gewissen Sinn für Ästhetik auch ihre Augen strahlen lassen dürften.
Zudem mag manch geneigte*r Leser*in die eine oder andere Assoziation haben. So musste ich bei einer Illustration etwa an Das letzte Einhorn denken, bei einer anderen an den Stil Carll Cneuts, speziell jenen in Der goldene Käfig, und bei einer weiteren an Unten am Fluss (das Original von 1978, nicht das Netflix-Remake). Diese herzustellen bringt durchaus einiges an Freude mit sich.
Wie Kleine Wolke Re überhaupt Freude macht, Wissen vermittelt, spannend ist, den Wert von Freundschaft erklärt und schlicht wunderschön anzuschauen ist. Eine dringende Kinderbuch-Empfehlung – auch weit über den Herbst hinaus.
AS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Ixtzel Arreola (Text), Martina Liebig (Illustrationen): Kleine Wolke Re; April 2024; Aus dem Englischen von Tino Hanekamp; 40 Seiten, durchgehend farbig illustriert; Hardcover, gebunden; Format: 21,5 x 28 cm; ISBN 978-3-314-10671-2; NordSüd Verlag; 17,00 €; empfohlen ab 4 Jahren
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