Beitragsbild: Eine Nilgans (hier in Baden-Württemberg) staunt ob ihrer Prominenz im Buch Wanderer zwischen den Welten von Caroline Ring.
„So lange haben die Hausspatzen neben uns Menschen gelebt. Sie haben unsere Macken ertragen und sind mit uns gezogen. Sie haben sich uns angepasst, als Pferdedroschken durch Autos ersetzt und Sandwege asphaltiert wurden, als Kirschlorbeer statt Liguster in Mode kam. Jetzt, wo wir immer schneller unser Umfeld erneuern, glätten und alle Makel ausbessern, kommt der kleine braune Vogel, der immer da war, einfach nicht mehr hinterher.“
Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten, S. 257
Mit diesen eindringlichen Worten beschließt die im Berliner Nordosten, „[n]icht mehr im Zentrum, aber auch noch nicht am Stadtrand“, lebende Evolutionsbiologin Caroline Ring den Hauptteil ihren eindrücklichen Buches Wanderer zwischen den Welten. Was Vögel in Städten erzählen. Erschienen ist die hübsch illustrierte Reise- und Vogelreportage durch diverse deutsche Städte bereits im Herbst 2022 im Berlin Verlag.
Ein Drama in drei Herbst-/Wintersaisons
Gelesen hatte ich es kurz nach Erscheinen, für eine Rezension aber keinen Ton gefunden. Erneut zur Hand genommen im darauffolgenden Herbst/Winter, einen Text aufbereitet, ihn nicht in die Cloud gepackt, das Notebook starb, hatte den Abflug gemacht und der Text war, wie auch manch andere, unrettbar verloren. Da war ich sauer. Unfairerweise auch auf die gelesenen und besprochenen Bücher, die geschauten und rezensierten Filme und Serien.
Nun war ich schlicht beeindruckt, ja gefangen von Caro Rings Wanderern, denen sie im Rahmen von Begegnungen mit Vogelmenschen folgte, von den Welten, die sie in unserer kleinen Welt namens Deutschland erkundete, von den Erzählungen, die sie mitbrachte und in einnehmendem Ton in ihrem Buch wiedergibt. Insofern durfte es nicht sein, dass das Buch in the little queer review unbesprochen bleibt.
Und welch besseren Tag gäbe es für einen Rezension als den 5. Januar? Als den Tag des Vogels, der 2003 von Tierschützer*innen der Organisation Born Free USA ins Leben gerufen wurde? Ganz genau: wohl kaum einen.
Diese Rezension sollte nicht allzu lang ausfallen. Was bei Büchern, für die mensch sich begeistert, nicht ganz einfach ist. Soll doch möglichst solide vermittelt werden, wie ausgezeichnet das jeweils vorliegende Werk ist. Das wiederum kann bei potenziellen Leser*innen jedoch den Eindruck vermitteln, das Buch bereits zu kennen und es nun nicht mehr lesen zu müssen. Was kontraproduktiv wäre, ne.
Versuchen wir’s mal.
Von B bis M durchs Land
Ein Jahr lang, von Mai bis Mai, besucht Caroline Ring zwölf deutsche Städte und hat dabei jeweils eine Vogelart im Fokus. In Berlin, wo sinnvollerweise alles beginnt, ist es die Nachtigall, die Ring noch in den Nächten ab Mitte Mai singen hört. Dies sei kein gutes Zeichen, wie ihr die Vogelexpertin Kim Mortega vom Berliner Naturkundemuseum erklärt.
In Hildesheim begegnen sie und wir Uhus im Dom, gepaart mit diversen Mythen, die sich um die prächtigen, anatomisch sehr besonders ausgestatteten Vögel ranken. Etwa, dass sie allwissend seien und vom Tode kündigten. Aber auch, was es bedeutet, wenn von einer Vogelart auf die andere „gehasst wird“, wenn sie „gemobbt“ wird. In Bamberg, wohin Caroline Ring direkt von Hildesheim aus wandert, äh, fährt, treffen wir auf Amseln, die sich womöglich in zwei Arten aufzuteilen vermögen (krasser Scheiß!) und erfahren, nicht zum letzten Mal, warum Stadtfriedhöfe Oasen für Tiere sind (was nur logisch ist).
Bürokraten, Windränder und Killerkatzen
In Mainz finden sich sehr bürokratische Spechte; in der Schiller–Goethe–Bauhaus-Bachfestival-Kultur-Stadt Weimar Mauersegler und eine diese, mit Hilfe ihrer Assistentin Frau Kühnert, im Fall der Fälle aufziehende und rettende „zierliche alte Dame von Anfang achtzig“ namens Helga Brunnemann. Wir lesen davon, warum Mauersegler ihre sehr verkürzten Füße kaum in Anspruch nehmen und sich, wenn doch „unbeholfen, in etwa so wie Pinguine“ bewegen.
In Güstrow geht es um die Lerche. Und um den ökologischen Schaden, den streunende (Haus-)Katzen anrichten. Caro Ring wird in ihrem Schlusskapitel „Ausklang“ darauf zurückkommen und uns wissen lassen oder daran erinnern, dass jährlich „in Deutschland eintausendmal mehr Vögel durch Katzen getötet [werden] als durch Windräder.“ Für manche schwierig dürfte das Tauben-Kapitel in Bochum sein. Sind sich doch auch viele Vogelfans und -liebhaber*innen einig, dass diese eine entsetzliche Plage seien. Ob der Besuch im Pott etwas daran ändert… ich vermag es nicht zu sagen.
Hanse, Buch und Bad
Sexier wird es in Hamburg, wo Ring sich unweigerlich mit den aparten (jedenfalls solange sie sich nicht im Abflugmodus befinden) Höckerschwänen befasst. Diese „gehören zu Hamburg wie der Michel oder der Fischmarkt. Wenn kein Schwan mehr auf den vielen Hamburger Kanälen, Seen und Flüssen schwimmt, […] dann ist Hamburg auch nicht mehr Freie und Hansestadt.“ Und das kann ja keine*r wollen. Wir verfolgen gemeinsam mit der wissbegierigen Autorin, wie die Hamburger Schwäne „verschnürt wie Weihnachtsgänse“ auf Kähnen in ihr Winterquartier verfrachtet werden.
Apropos Gänse: Denen, konkret Nilgänsen (folgend ebenfalls Grau- und Kanadagänsen), begegnen wir in der Herbst-Buchmesse-Stadt Frankfurt am Main in einem Freibad. Dort waren sie zu einer Art Plage geworden, die letztlich nur durch einzelne Abschüsse aufgefangen werden konnte. „Wenig Letalität sorgt für eine hohe Vergrämung“, so Jäger Axel. Ebenso lesen wir von einem Weiher in der Umgebung von Frankfurt und Offenbach, der „wegen des vielen Gänsekots umgekippt ist. Die Nährstoffe im Kot haben das Wasser überdüngt und das Wachstum der Algen so stark angeregt, dass bei ihrem Verrotten die Fische keinen Sauerstoff mehr bekommen haben und gestorben sind.“
Tier gehorcht Mensch – Punkt.
Das ist natürlich ärgerlich, bedauerlich, gar tragisch. Und doch, die Frage stellt sich schon, ob wir nicht schlicht selber schuld daran sind, was die Neozoen, also die gebietsfremden und teils invasiven Arten, hier so anrichten. Die Nilgänse etwa, die lange Zeit als Ziervögel beliebt waren, „lebten vor allem in Zentralafrika, bis man sie im 18. Jahrhundert als exotische Ziervögel nach Europa geholt und in Zoos und Parkanlagen gesteckt hat.“ Da büxten halt mal welche aus und ließen sich in der europäischen Wildnis nieder. So kamen übrigens auch Nandus nach Deutschland, konkreter nach Mecklenburg-Vorpommern. Tja.
So ist’s halt mit uns menschlichem Getier: Wir nehmen uns, was wir wollen. Gehen davon aus, dass es schon klappen wird, wenn wir uns kaum bewohnbare Gebiete (das Ahrtal und Co. lasen grüßen) sowie Natur, Flora und Fauna untertan machen möchten – und wundern uns dann, wenn dies von Konsequenzen begleitet wird. Was die Nilgänse angeht, so ergibt sich nun ein Paradox, wie Ring schreibt. Zunächst die Frage, ob diese das Artensterben befeuern, da sie andere, vom Klimawandel betroffene, Arten einschränken oder doch eine Bereicherung „für die heimische Flora und Fauna sind“.
Die Plage der geordneten Zerstörungswut
Allerdings schließen, so Ring, viele Ökologinnen aus dem Umstand, dass die Vögel durch uns Menschen dorthin gekommen sind, dieser Zustand auch nur durch Menschenhand zu korrigieren sei. (Ähnlich wie die Europäer Spatzen in die USA brachten und in Maos China die Ausrottung derselben befohlen und umgesetzt wurde. Was wiederum zu einer Mücken- und Heuschreckenplage führte, die die Ernten vernichtete und die Hungersnot in China beförderte. Mit Spatzen beschäftigt Ring sich in München.) Sonst würde die Natur womöglich mehr und mehr aus dem Gleichgewicht geraten, was „zu noch mehr Veränderung und Zerstörung führen“ würde. Tja. Da denke ich direkt an Bettina Balàkas im Haymon Verlag erschienenen Essayband Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen, in dem sie schreibt:
„Dabei ist das einzige Tier, das seinen eigenen Lebensraum vernichtet, der Mensch. Im Zeitalter des Anthropozäns, dessen namensgebender Herrscher im Begriff ist, seinen Heimatplaneten bis zur Selbstauslöschung zu zerstören, scheint die Vorstellung, dass die Natur ausgerechnet der menschlichen Einflussnahme bedürfe, einigermaßen absurd.“
Bettina Balàka: Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen, S. 202; eine Rezension zu dem Band lest ihr in der Januar-Ausgabe des Magazins natur
Bevor Caroline Ring aber „Servus, Saptzl“ sagt und zum „Dämmerungs-Choral“ ansetzt, werden die klugen Aaskrähen in Leipzig bestaunt und wieder geht es um die irritierende (Nicht-)Zuordnung von Arten und Unterarten. In Köln überlegt mensch, ob die prächtigen Halsbandsittiche nun ein kleines Wunder oder doch nur >>Mistviecher<< sind, wenn sie da frühmorgens aus ihrem Schlafbaum zum Aufstieg in die Lüfte aufrüsten.
Eine Reise, die ist schön
Das Schöne an dieser Reise und den Reportage-Schlaglichtern ist, wie sehr wir Caroline Rings Interesse und Begeisterung spüren und sie gar flink damit ansteckt. Unterbrochen werden die Stadt-Kapitel von zwei Intermezzi. Einmal zum seltenen (und wie ich finde speziell aussehenden aber nicht hässlichen) Waldrapp und zur Sprache respektive dem Gesang der Vögel, dazu erfahren wir allerdings auch schon ein wenig im ersten Kapitel zur Nachtigall.
Wanderer zwischen den Welten ist ein so lehrreiches wie liebevolles Buch, das wunderbar zugänglich geschrieben ist. Ganz so, als würde Caro Ring uns einfach mal einen Schwank von ihren Reisen erzählen. Sie verknüpft, in schöner Sprache, kleine Anekdoten, Vogelgeschichte und -geschichten, Wissenschaft, Erfahrungsberichte und Zustandsmeldungen zu einem herrlichen Wissensnest.
Was uns Ring also erzählt, dass die Vögel es ihr in Städten erzählt hätten, wird zu einem zauberhaft informativen Buch, das zum Mit- und Nachdenken, zur weiteren Vertiefung (im Anhang stoßen wir auf eine Auswahlbibliografie, Internetquellen sowie ein Zitateverzeichnis) wie zu Gesprächen und Debatten im Freund*innenkreis anregt.
Wir sind in der Verantwortung
Und dazu, das eigene Verhalten auch im Kleinen zu überdenken. Nicht alles muss betoniert werden, nicht jede Hausfront muss aus glattem, spieglendem Glas sein. Schottergärten sind ohnehin ein Verbrechen am Auge – und der Natur. Zusätzlich das Stichwort „Konsum„. Spezieller: massiver Fleischkonsum.
„[D]urch die Intensivierung der Landwirtschaft [wird] seit Jahrzehnten der Lebensraum von Vögeln und anderen Wildtieren zerstört. […] Fast sechzig Prozent des in Deutschland produzierten Getreides wird an Nutztiere verfüttert. Das ergibt eine ganz einfache Rechnung. Weniger Fleisch gleich weniger Futtermittel gleich weniger intensivierte Landwirtschaft.“
Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten, S. 264
Nun plädiert Caroline Ring nicht dafür, dass wir alle zu Vegetarier*innen oder Veganer*innen werden sollten (wobei aktuell Veganuary ist), sondern schlicht mehr Bio-Lebensmittel kaufen und verzehren sollten. „Lebensbedingungen von Vögeln zu verbessern und sie dadurch in Gebiete zurückzuholen, aus denen sie verschwunden sind“, ist letztlich gar nicht so schwer (dann klappt’s auch mit den Spatzen, die doch immer da waren). Dieses Buch stärkt auf jeden Fall den Wunsch und Willen, genauer hinzuschauen.
AS
PS: Die Rezension ist doch sehr lang ausgefallen.
PPS: Apropos Köln – der heutige Tatort aus der Stadt am Rhein ist recht sehenswert und es gibt ein schwules Paar im Mittelpunkt der Handlung.
Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten. Was Vögel in Städten erzählen; Oktober 2022; 288 Seiten, mit Illustrationen; Hardcover, gebunden mit Lesebändchen; ISBN: 978-3-8270-1453-5; Berlin Verlag; 24,00 €
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