Der oder die größte unter den Kleinen zu sein – das hat doch was für sich. Ob sich das wohl auch Berglöwen aka Pumas denken? Immerhin werden sie als die weltweit größte Art unter den Kleinkatzen angesehen. Und die zweitgrößte der Katzen nach dem Jaguar. Ergibt Sinn: Eine ist ein Auto, die andere steht vor allem für Schuhe. Was so ein Berglöwe wohl davon hält? Leider wissen wir das nicht, denn die Gedankenwelt eines solchen Kätzchens kennt es nur selbst. … Odeeeer?!
Oder, es gibt einen Menschen der Henry Hoke heißt, laut Selbstbezeichnung wahlweise ein fiktionales Tier ist und sich somit perfekt in einen Schuh, äh, Puma reindenken kann. Gedacht, getan und geschrieben in seinem im Frühjahr im Eisele Verlag erschienenen Roman Ganz wie ein Mensch, der hierzulande Chancen hat, Wissensbuch des Jahres in der Kategorie Unterhaltung zu werden.
In dem nicht einmal zweihundert Seiten schmalen Buch, das ohne Punkt und Komma, dafür mit komplexen und doch wild umherspringenden Beobachtungen, Fragen und viel Witz umherpirscht, folgen wir einem namenlosen Berglöwen anfangs durch die Hügel Los Angeles‚, direkt unter dem massiven Hollywood-Schriftzug. Wobei, eigentlich ist dieser Berglöwe gar nicht namenlos, doch besteht „[e]r nicht aus Geräuschen die Menschen machen können“, wie uns der Berglöwe wissen lässt.
Da ist er bereits auf Menschen getroffen. Das tut er zwar sowieso immer, da er sie beobachtet, sich über sie wundert, sie belustigend oder erschreckend findet, in jedem Fall kaum versteht. Ganz wie ein Mensch also. Miau. (Hey, Frage: Dog- oder auch Pupplay ist ja ein recht etabliertes Fetischthema. Gibt es auch Catplay? Also in a sexual sense? Nee, oder?! Komisch eigentlich, diese Fetischlücke.)
Jedenfalls hat der Berglöwe an dieser Stelle den Namen Heckatte erhalten, nachdem ein Menschenkind (mehr so Menschenteenager) meint, sich das Tier heranbeschworen zu haben und sich seiner nun annimmt (wenn das Gör ihn auch immerfort als eine „sie“ sieht, aber hey – wir sind immer für Genderfluidität zu haben). Es sogar mit Fleisch füttert, obwohl doch selber Vegetarierin. Bis zu dieser Stelle ist schon einiges passiert, in diesem wirklich zündend zackigen, naturalistisch nachdenklich und kongenial komponierten Roman.
Über den Verlauf der Geschichte und die Details der Beobachtungen soll an dieser Stelle gar nicht zu viel verraten werden. Nur dies: Der nicht selten missverstandene Berglöwe muss das angestammte Habitat und damit „seine Leute“ im Zuge eines Feuers verlassen sowie den „langen Tod“ passieren. Dabei hängt dieses Feuer mit Geschehnissen des Anfangs und Endes zusammen; letztlich auch damit, dass so called Heckatte eine fürchterliche Entscheidung treffen muss. „Ganz wie ein Mensch.“
Zuvor spinnt die Katze sich manches über diese Menschen aus oder viel eher bastelt sich ihren Teil. Etwa nachdem sie Gespräche über „Scare City“ überhört hat oder solche über Sinn und Zweck von Therapien, was den Wunsch nach einem Therapeuten auch in unserer Katze auslöst. Und wenn’s schon nur ums Fressen ginge. Gab es für diese Katze doch noch nie Mensch. Vermutlich hatten die schwulen Cruiser, die von dem Berglöwen beobachtet werden – und auf deren innige Verbindung er eifersüchtig scheint – schon mehr Mensch im Maul. Immerhin wird der Berglöwe von Spaziergängern angepisst.
Was sich die Katze nicht über die Menschen zusammenspinnt, erlebt sie:
„Ich bin so eine Art Dichter sagt irgendein Jungjunge zu einem anderen Jungjungen den er an der Hand hält
Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde sagt der Junge denke ich sofort Dichter ich nehme nämlich nie das Offensichtliche ich gehe in die Tiefe ich will den Titel Dichter für mich beanspruchen ha ha“
Der Berglöwe glaubt, „ich bin so was wie ein Dichter“. Der Autor dieser Zeilen glaubt, solch ein Gespräch schon in einem Berliner Club mitangehört zu haben und muss prompt an zwei, drei Autoren denken.
Oder er fantasiert sich weg (also der Berglöwe, raus aus dem Club jetzt!). Ob in einem Stil à la Erich Kästners Die Konferzenz der Tiere oder einem fieberhaften Traum über eine Reise mit Menschenteenagern, der „kleinen Slaughter“, nach Disnie. Ja, unser Berglöwe kann nicht alles so in Worte fassen, kennt nicht jede Bedeutung und schon gar nicht jene durch und durch kommerzialisierter, bunter, wenn auch nur bedingt diverser Großkonzerne. Macht nichts. Genauso wenig, ob das hier nun „Canyon“, „Scare City“ oder „Ellej“ ist – die Menschen, seine, ihre, unsere, wir, sind doch immer mehr Gleiches vom Gleichen. Ob mit sprichwörtlicher oder buchstäblicher Peitsche. Ob in den zerstreuten USA, dem zerstrittenen Europa, dem zerklüfteten asiatischen Raum oder, oder, oder …
Henry Hoke hat sich für seinen Roman vom realen Hollywood Hills Berglöwen P-22 inspirieren lassen, ihm diesen gar gewidmet: „Dieses Buch ist für P-22, der in Träumen neben mir hergeht, […].“ Der Berglöwe musste 2022 eingeschläfert werden, was, wie nicht anders zu erwarten, manche Menschen bekümmerte, andere begeisterte. Dass Hoke, der für diesen und seinen Berglöwen eine wunderbar fließende, manches Mal bei aller Einfachheit herausfordernde, ja poetische Sprache gefunden hat, die Stephan Kleiner fantastisch ins Deutsche zu übertragen wusste, Finalist für den PEN/Faulkner Award for Fiction war, wundert nicht.
Eine Bekannte sprach kürzlich im Zusammenhang mit einem weiteren als Wissensbuch nominierten Roman, Die wirklich wahren Abenteuer und außerordentlichen Lehrjahre des Teufelskerls Daniel Bones von Owen Booth erschienen im mareverlag, von einem Leserausch. Willige Opfer eines solchen werden wir auch bei Henry Hokes Ganz wie ein Mensch. Und das Gute daran: Das Runterkommen, Ausnüchtern und Ausruhen ist weit weniger unangenehm als nach so manchen MDMA-&-Co.-Partyrausch. Dazu ist der Rausch, gepackt in Leinen, wunderbar koloriert, pretty in pink aufgemacht und mit Lesebändchen, fabelhaft anzusehen.
Ganz wie ein Mensch – sicher eines des größten Bücher untern den kleinen. Und ein hervorragendes Erlebnis, um den heutigen Internationalen Katzentag zu zelebrieren.
AS
PS: Wer übrigens immerfort wissen mag, welche guten, spannenden und abseitigen Tage es im Laufe eines Jahre noch so zu zelebrieren gibt, sei der von Julia Bachstein ausgewählte und zusammengestellte Katzen Taschenkalender aus dem Verlag Schöffling und Co. ans Herz gelegt.
PPS: Stephan Kleiner überträgt übrigens unter anderem auch Bret Easton Ellis, Michel Houellebecq, Tao Lin und Hanya Yanagihara ins Deutsche. Kennt sich also aus mit peitschend-kinky Stories. Und kinky ist Henry Hokes Ganz wie ein Mensch, das im Original Open Throat heißt, schon auch.
Henry Hoke: Ganz wie ein Mensch; Februar 2024; Aus dem Amerikanischen von Stephan Kleiner; 192 Seiten; Hardcover, gebunden, Leineneinband mit Lesebändchen; ISBN 9-783-9616-1188-1; Eisele Verlag; 22,00 €
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