Vom Polarium zum Solarium

Regen in der Arktis – die meisten von uns dürften bei so einer Meldung eher mit den Achseln zucken. Geht mich doch nichts an! Das ist allerdings ein Irrtum, denn die verschiedenen Wetterregionen und Klimazonen sind am Ende des Tages doch miteinander verbunden und gerade die Polarregionen spielen eine gewichtige Rolle für das globale Klima.

Das Eis schmilzt – von oben und von unten // © Christian R. Rohleder

Wie diese Rolle aussieht und was passiert, wenn wir den klimatischen Veränderungen in den Polarregionen keine Aufmerksamkeit schenken, erläutert die Meereisforscherin Stefanie Arndt in ihrem Buch Expeditionen in eine schwindende Welt – Wie das Abschmelzen der Polkappen unseren Planeten für immer verändern wird, das unter Mitarbeit von Co-Autorin Andy Hartard vor Kurzem bei Rowohlt Polaris erschienen ist.

Polare Wissenschaft

Aus einer sehr wissenschaftsbasierten Perspektive führt uns Arndt an die Thematik heran. In vier Kapiteln erläutert sie zuerst Wichtiges über das polare Eis und welche Bedeutung es für das globale Klima besitzt. Die Polarforschung und die Perspektiven für das globale Klima, wenn das Eis taut, arbeitet sie unter anderem mithilfe der globalen und zusammenhängenden Meeresströmungen heraus. So bildet beispielsweise gerade die polare Tiefsee mitunter die größte Kohlenstoffsenke der Welt, die dadurch einerseits den Treibhauseffekt deutlich mindert, aber gleichzeitig das Wasser zunehmend versauern lässt.

Pinguine im nicht mehr ewigen Eis? // © Stefanie Arndt

Im letzten Teil schließlich informiert sie uns über die Bedeutung der Polregionen als Lebensraum für unterschiedliche Pflanzen und vor allem Tiere – Unterwassertiere, Eisbären, kuschelnde Pinguine und Wale stehen hier im Fokus. Al dies wird in diesem Buch eingerahmt von einem ausführlichen Statement Arndts, wieso das Eis für sie so eine faszinierende Rolle besitzt und warum sie sich ob des menschlichen Handelns große Sorgen um die Eiswelt der Polarregionen und damit auch des Klimas auf der ganzen Welt macht. Und als Sahnehäubchen gibt es noch ein äußerst eindringliches Vorwort des bekannten Meteorologen Sven Plöger gleich zu Beginn des Bandes.

Forschung im „Schneeballsystem“

Stefanie Arndt, gebürtig aus Berlin, heute aber, wie so viele Polar- und Meeresforscherinnen und -forscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven tätig, beantwortet uns in ihrem Buch eine Reihe von Fragen, von denen wir bisher nicht einmal wussten, dass sie uns interessieren sollten. Was es mit dem Meereis auf sich hat zum Beispiel. Oder warum manche Weltregionen trotz steigenden Meeresspiegels (der übrigens wider besseres Wissen auch nicht auf der ganzen Welt gleich hoch ist) eher weiter anheben als versinken. Oder eben, warum der Regen in der Arktis uns verdammt nochmal zu interessieren (und zu beunruhigen) hat.

Ihr Hauptforschungsgebiet ist zwar das Meereis, also nicht die aus unserer Sicht „permanenten“ Eisdecken in Arktis, Antarktis und Grönland, aber dennoch hängt hier alles mit allem zusammen. Und genau diese Zusammenhänge beschreibt sie aus einer zwar wissenschaftlichen Perspektive, aber dennoch für Ottilie Normalverbraucherin verständlich. Klar, mensch sollte wissen, was die Kryosphäre ist und dass die Polarstern kein Fixpunkt am Himmel ist, aber dennoch arbeitet Arndt die wissenschaftlichen Fakten sehr gut verständlich und vermittelbar heraus.

Infotainment

Die Quellen, auf die sie in ihren – leider im Fließtext nicht kenntlichen (und zwar so, dass die Leserinnen und Leser diese teils erst suchen müssen) – Endnoten verweist, sind fast ausschließlich wissenschaftlicher Natur und auch in diesem Zusammenhang zitiert sie renommierte Fachleute, die in noch renommierteren wissenschaftlichen Periodika ihre Ergebnisse publizierten. Trotz der für Nicht-Fachleute etwas komplexen Zitierweise arbeitet sie also gründlich und transparent, verpasst es dabei aber nicht, immer noch eine persönliche Note hinzuzufügen.

Expeditionen in eine schwindende Welt ist nämlich nicht nur eine Aneinanderreihung von verstörenden Fakten, sondern auch immer wieder ein Erlebnisbericht über die zahlreichen Reisen von Stefanie Arndt in die polaren Regionen unserer Erde. Auch wenn wir nicht immer genau wissen, von welcher ihrer Reisen sie gerade zitiert – die Reisen sind auch nicht unbedingt das strukturierende Element dieses Buchs –, als Leserin oder Leser fühlen wir uns an jeder Stelle bei hoher Informationsdichte dennoch gut unterhalten – und das obwohl es rein optisch im Innenteil eher wie ein wissenschaftliches Lehrbuch aussieht, das zuletzt in den 1970er-Jahren aus dem Regal gezogen wurde (sorry, die Schriftart war selbst vor dem ersten Bericht des Club of Rome nicht mehr in).

Aufklärung ohne erhobenen Zeigefinger

Diese Informationsdichte gepaart mit unterhaltenden Elementen ist auch essenziell, denn im Schlussteil macht Stefanie Arndt noch einmal mehr als deutlich, dass die weitere Forschung, um die wissenschaftlichen Zusammenhänge in der Natur zu verstehen, nur eine Seite der Medaille ist. Die zweite – und die, die aus ihrer Sicht mit jedem Tag wichtiger wird – ist die von Aufklärung und Kommunikation. Die breite Menschheit muss über den Zustand und die Zusammenhänge des globalen Klimasystems und vor allem den Einfluss ihres Konsums auf diese Veränderungen aufgeklärt werden. Exakt diesen Zweck erfüllt ihr ihr nun erschienenes Buch Expeditionen in eine schwindende Welt.

Sie gibt uns einen Einblick in ihre Arbeit als Wissenschaftlerin – dabei ist sie übrigens auch direkt ein Vorbild für viele junge Menschen und vor allem Mädchen, denn natürlich sind die Naturwissenschaften immer noch sehr männlich dominiert – und klärt uns sehr verständlich, nachvollziehbar und durchgehend gegendert über die Bedeutung der Polarregionen und deren Erwärmung für unser Klima auf. Den erhobenen Zeigefinger sehen wir dabei nicht, was – im Gegensatz zu manch anderen öffentlichen Appellen – überaus angenehm ist.

Stefanie Arndt bei der Arbeit im Schnee // © Tim Kalvelage

Auf weniger als 200 Seiten erfahren wir hier also viel zum Zustand unseres Planeten und welche Verantwortung wir für ihn tragen. Auch wenn wir befürchten, dass es aufgrund von selektiver Wahrnehmung unserer Öffentlichkeit eher nicht so sein wird, dieses Buch sollte so breit wie möglich rezipiert werden.

HMS

PS: Wir wollen hier noch die Sache mit dem Regen in der Arktis auflösen: Auf dem Eis der Arktis liegt normalerweise Schnee, der das Eis vor direkter Sonneneinstrahlung und damit vor dem Schmelzen bewahrt. Regnet es auf diesen Schnee (anstatt dass neue Flocken darauffielen und die Schicht verdicken würden), dann wird diese isolierende Schicht zerstört. Das Eis ist der direkteren Sonneneinstrahlung preisgegeben und schmilzt umso schneller. Vom Polarium kommen wir sozusagen dann zum Solarium.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Stefanie Arndt: Expeditionen in eine schwindende Welt. Wie das Abschmelzen der Polkappen unseren Planeten für immer verändern wird; August 2022; 22 Seiten, Klappenbroschur; ISBN 978-3-499-00866-5; Rowohlt Polaris; 17,00 €

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