Wahlkampf mit Rücken

Ich gebe ja zu, dass es manche Klassiker der Unterhaltung gibt, die ich nicht kenne oder lange nicht kannte. Dinner for One beispielsweise habe ich mit etwa 20 Jahren zum ersten Mal gesehen. Monty Python ist auch so eine Sache – wobei ich mich durchaus daran versucht habe. Homo-Klassiker wie Beautiful Thing, Coming Out, Maurice, Fucking Åmål oder das britische Queer As Folk-Original (wie auch das erste US-Remake) ebenso habe ich erst spät bewusst entdeckt. Und auch vieles von Hape Kerkeling war mir bisher höchstens mittelbar bekannt.

Dazu gehörte bis vor Kurzem auch sein Kultfilm Horst Schlämmer – Isch kandidiere! aus dem Jahr 2009, dem Jahr, als die SPD zum bislang letzten Mal aus der Regierung flog. Und um das klarzustellen: Die Figur Schlämmer war mir durchaus bekannt (nicht zuletzt dank Wer wird Millionär?), nur den Film hatte ich bis vor Kurzem nicht gesehen. Bei RTL+ ist er jedoch im Stream verfügbar, was mich diese Bildungslücke beseitigen ließ.

Think big!

Ich spare mir an dieser Stelle eine lange Zusammenfassung, nur so viel: Horst Schlämmer (ebenjener Kerkeling, der im Dezember 2024 seinen 60. feierte), Stellvertretender Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, beschließt scheinbar aus einer Laune heraus, für den Bundestag zu kandidieren. Das Ziel ist nichts Geringeres als Bundeskanzler zu werden.

Horst Schlämmer – nicht nur in Grevenbroich präsent! // © Constantin Film Verleih

Dabei gilt es einige Widrigkeiten zu überwinden: Unterstützerstimmen sammeln, Wahlkampfspenden, öffentliche Kampagnen und sogar ein Kanzlerduell (hier war es zuletzt ein Triell). Dabei trifft er auf echte Politiker*innen wie den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU), die damalige Linkenchefin Gesine Lötzsch oder Otto Fricke von der FDP, aber eben auch eine Reihe von Bürger*innen, um deren Unterstützung er wirbt. Es ist schön, wie sich Teile der damaligen Politprominenz hier einspannen haben lassen (vermutlich um auch selbst ein wenig die Präsenz zu nutzen).

Teil einer illustren Runde: Horst Schlämmer // © Constantin Film Verleih

Der Film selbst bietet neben einigen bekannten Nebendarsteller*innen (v. a. Simon Gosejohann, Norbert Heisterkamp, Alexandra Kamp und Maren Kroymann) natürlich Hape in verschiedensten seiner Paraderollen. Und natürlich Klamauk, Kalauer, Schabernack und viel, viel von der herzerwärmenden Direktheit und Cringeness (cringe – auch so ein Wort, das es erst deutlich nach Isch kandidiere! in unseren Wortschatz geschafft hat), die Kerkeling, Schlämmer & Co. in der Vergangenheit so erfolgreich gemacht hat.

Lass mal Büchse aus der Pandora. Oder so…

Was jetzt, rund 15 Jahre und zwei wesentliche Parteigründungen später, jedoch frappierend ist, ist, wie sehr Kerkeling als Schlämmer bereits damals die Entwicklungen vorwegnahm, die uns noch bevorstanden. Mein Kompagnon, für den es natürlich nicht das erste Mal war, diesen Film zu sehen, sagte noch, dass die Weidels und Wagenknechts der Republik an vielen Stellen kein besseres Drehbuch hätten finden können, als diesen Film.

Familienfoto // © Constantin Film Verleih

Bereits in Isch kandidiere! waren einige Entwicklungen vorgezeichnet, die uns heute beschäftigen. Der Film wirkt aus heutiger Sicht dabei fast prophetisch. Das ist gleichzeitig beunruhigend und beeindruckend und gerade in Sachen Chauvinismus und Verselbstständigung von einmal angestoßenen Entwicklungen ist der Film von Regisseur Angelo Colagrossi, der gemeinsam mit Kerkeling, Ludwig Berndl und Jens Teutsch-Majowski (alles alte weiße Männer ;-)) rückblickend ein Meilenstein.

Mit zwinkernden Hühneraugen

Klar, vieles davon ginge heute nicht mehr, denn glücklicherweise hat sich unsere Gesellschaft an einigen Stellen auch zum Guten entwickelt. Was Frauenrechte angeht oder die Repräsentanz von Queerness, sind wir heute zwar nicht in einem Optimalzustand, aber zumindest deutlich weiter als noch damals. Mit einem Blick dafür, wie die Situation damals war und auch in Kenntnis der bewusst konzipierten und liebevollen Political Incorrectness der Figur jedoch kann auch mit 15 Jahren Verspätung festgehalten werden, dass es sich bei Horst Schlämmer – Isch kandidiere! noch heute um gute Unterhaltung handelt.

Theo Koll moderiert das Duell Schlämmer vs. Merkel // © Constantin Film Verleih

Der Schuh des Manitu war vor fast 25 Jahren (ja, so lange ist das her) einer der größten deutschen Kinoerfolge, würde heute aber vermutlich so nicht mehr gedreht und gezeigt werden. Für den Sommer 2025 ist mit Das Kanu des Manitu nun eine Fortsetzung angekündigt – gucken wir mal, ob er humortechnisch an den ersten Teil anknüpfen kann. Die Host-Schlämmer-Partei steht zur Bundestagswahl in vier Wochen nicht zur Wahl, aber trotzdem zeigt uns der Film noch einmal eindrücklich und mit ein paar zwinkernden Hühneraugen, wie stolz wir auf unsere Demokratie, die Gesellschaft und ja, sogar die Chauvinisten vom Grevenbroicher Tagblatt sein können.

HMS

Horst Schlämmer – Isch kandidiere! ist bei RTL+ innerhalb der Flatrate verfügbar aber auch auf anderen Streaming-Portalen zu finden.

Horst Schlämmer – Isch kandidiere!; Deutschland 2009; Regie: Angelo Colagrossi; Drehbuch: Angelo Colagrossi, Hape Kerkeling, Ludwig Berndl, Jens Teutsch-Majowski Idee: Angelo Colagrossi, Hape Kerkeling; Bildgestaltung: Frank Grunert; Musik: Achim Hagemann, Bettina Hagemann; Darsteller*innen: Hape Kerkeling, Alexandra Kamp, Simon Gosejohann, Maren Kroymann, Norbert Heisterkamp; Laufzeit ca. 93 Minuten; FSK: 0; im Verleih von Constantin Film

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