„Wen interessiert schon Ethik?“

Regisseur Daniel Hoesl im Gespräch zum Film mit Karin Schiefer (AFC)

Nun stellen wir uns einmal vor, Donald Trump hätte seinen Worten die Tat folgen lassen – wäre es für ihn wirklich so glimpflich ausgegangen? Einige seiner Anhänger*innen haben am 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das US-Kapitol in Washington, D.C. die Probe aufs Exempel gewagt. Ging so semi gut aus. Immerhin hat Trump angekündigt, die Umstürzler im Laufe seiner in gut zehn Tagen beginnenden zweiten Präsidentschaft zu begnadigen. Schauen wir mal.

Macht ohne Achtsamkeit

Nicht belangt für das mehr oder weniger offene Jagen und Erschießen von Menschen wird der Milliardär Amon Maynard (Laurence Rupp), der diesem Hobby mit Hilfe seines langjährigen Butlers und Teilzeit-Tatortreinigers Alfred (Markus Schleinzer) nachgeht. Maynard, der mit seiner älteren Frau Viktoria (Ursina Lardi), einer erfolgreichen Anwältin für Entrechtete, Tochter Paula (Olivia Goschler), zwei Adoptivkindern und einem Au-pair-Mädchen im sonnigen Familienglück Österreichs lebt, praktiziert die Menschenjagd wohl zum inneren Ausgleich (Tiere bleiben zum Glück verschont). Mensch sollte ja geerdet bleiben. Anders allerdings als der zwar wohlhabende, jedoch nicht reiche Protagonist Björn Diemel in Achtsam morden, tut Maynard dies nicht aus Zufall und/oder Notwendigkeit, sondern schon zum gemütlich-genüsslichen Zeitvertreib.

Oder womöglich ebenfalls, um Grenzen auszutesten? So ganz im Sinne des No-Borders-Konzepts?! Wir wissen es nicht genau. Da Maynard allerdings an mancher Stelle des vierten Films von Daniel Hoesl (und der dritten Zusammenarbeit mit Co-Regisseurin Julia Niemann) nahezu darum bettelt, dass er doch endlich entlarvt, bloßgestellt, gefasst werde, scheint es noch um mehr zu gehen. Anerkenntnis von Schuld wie gleichwohl Macht? Fragen, die Zuschauer*innen sich nach dem zweifelhaften Genuss der Groteske Veni Vidi Vici, der seine Premiere auf dem Sundance Film Festival 2024 feierte und heute im Kino startet, stellen können.

Willkommen im Club der one-percenters

Hoesl und Niemann wissen, wovon sie sprechen und schreiben. Seit Jahren recherchieren sie im Umfeld der Supperreichen unseres Nachbarlandes. Zunächst für die Satire WinWin (2016), darauffolgend den Dokumentarfilm Davos (2020). So gibt es für die Arbeiterkinder, wie sie sich selbst bezeichnen, seit geraumer Zeit Kontakte in diese 1%-Prozent-Welt. Einige dieser Menschen, manch Superreiche, haben Daniel Hoesls Drehbuch zu Veni Vidi Vici gelesen und es mit „So ist es“ kommentiert.

Trainingseinheit // © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

Das wiederum gebe ihm Hoffnung. Schön. Diese findet in der arg unterkühlten Studie allerdings wenig Raum. Kurz blitzt sie in der Figur des manisch-depressiven, eher unsympathischen Journalisten Volker (Dominik Warta) auf, doch wir erkennen schnell, dass die Umgebung Maynards für Hoffnung auf eine andere Welt nicht den sympathischen Sunnyboy (womit er einem Elon Musk oder Jeff Bezos oder auch einer J. K. Rowling, ebenfalls Milliardärin, einiges voraus hat) mit den Plänen zum Bau der größten Batteriefabrik Europas zu opfern gedenkt.

Keine Katharsis, ihr Koffer

Regisseurin Julia Niemann

Keine Katharsis also in diesem Film, der kam, um gesehen zu werden. Das Geld, die Macht, die Maynards siegen. Daniel Hoesl ergänzt:

Regisseur und Autor Daniel Hoesl

Vom „Volkskanzler“ und Spenden

Die Macher*innen konnten 2022, als der Film gedreht wurde, natürlich noch nicht wissen, wie die Nationalratswahlen 2024 in Österreich ausgehen würden (mit der FPÖ bei 28,8 Prozent als klare Gewinnerin) und schon gar nicht, dass die Koalitionsverhandlungen zwischen der Post-Basti-KurzÖVP, der wackeligen SPÖ und den liberal bis libertären NEOS scheitern würden. Und somit der rechte Populismus-Wolf im, nach Bedarf, rhetorisch starken Philosophen-Schafspelz Herbert Kickl (FPÖ), wohl der nächste Bundeskanzler oder in seinen Worten „Volkskanzler“ Österreichs werden dürfte.

Zwar geht es hier nicht um was Wirken Superreicher. Wohl aber schon darum, dass ein Großteil der Österreicher*innen eine in Teilen rechtsextreme, hier und da in Ansätzen noch libertäre, xenophobe, homofeindliche, die Europäische Union ablehnende, nicht mehr nur zu Autokraten schielende und wirtschaftsfremde bis -feindliche Partei gewählt haben. Bei Neuwahlen dürften deren Ergebnisse gar noch stärker ausfallen. Hoffnung my ass, möchte ich da sagen.

Nun dürften jene, die zu den 1% gehören vermutlich eher der ÖVP zugeneigt sein. Diesen Schluss jedenfalls lässt die Äußerung Hoesls zu, dass, als die Spenderliste der Österreichischen Volkspartei publik wurde, darauf viele Leute zu finden gewesen seien, die das Regie-Duo von ihren Recherchen kannte. Das spiegelt im Grunde auch das Wahlverhalten hierzulande wieder: Bis auf ein paar versprengte Alt-Adlige et al. wählen doch die meisten Wohlhabenden in Deutschland die Unionsparteien CDU und CSU (und die ganz Mutigen die FDP wie jene mit Schuldgefühlen Die Grünen).

Subtiler Wake-up-Call

Zurück zu Veni Vidi Vici: Viele Keywords, die wir mit Investitionen, Disruption und Innovation verbinden, fallen hier wie die Schüsse. Dabei geht der oberflächlich glatte und distanzierte, von Gerald Kerkletz in traumschöne Bilder und von Manuel Riegler mit ausschmückenden Tönen ummantelte Film durchaus in die Tiefe, auch wenn an mancher Stelle anderes behauptet wurde. Hier können wir nur vermuten, dass, solange es nicht derart abstrus überinszeniert ist, wie im durchaus unterhaltsamen und wichtigen Triangle of Sadness, die Message untergehen mag. Subtilität und Zwischen-Den-Zeilen-Lesen ist halt nicht jedermenschs Sache.

Teils aus dem Off aus der Perspektive von Tochter Paula erzählt – die anfangs etwas hölzern scheint, was im weiteren Verlauf von Veni Vidi Vici allerdings Sinn ergibt –, spart sich das Regie-Duo im mit knapp neunzig Minuten kompakt gehaltenen Film lange Expositionsszenen. Das gibt dem Fließen der selbstverständlichen, teils wie nebenher geschehenden Grausamkeiten viel Raum. Und uns durchaus manch Interpretationsspielraum. Damit gilt es klarzukommen. Sicherlich ist die Message von Veni Vidi Vici klar, doch dürfte so manchen ein Schluss eben ohne jene Katharsis oder wenigstens Strafe fehlen.

Zur Beruhigung noch einmal Julia Niemann im Gespräch mit Karin Schiefer von AFC:

Insofern unsere Empfehlung: Nehmt diesen Wake-up-Call an und geht ins Kino.

AS

PS: In der kommenden Woche lest ihr ein Interview mit Daniel Hoesl und Julia Niemann.

PPS: Gedreht wurde viel im „Palais Rasumovsky, dem größten Privathaus Österreichs in Wien […], wo wir nach viel Überzeugungsarbeit im ganzen Haus drehen durften.“ Dafür seien sie sehr dankbar, so Daniel Hoesl. Wir auch. Fantastisches Anwesen, grandiose Bilder.

Das sonnige Glück der Familie Maynard // © Grandfilm / Ulrich Seidl Filmproduktion

PPPS: WinWin habe ich nie gesehen; Davos vor einigen Jahren. Beide werden wohl (erneut) geschaut und in the little queer review besprochen. Überhaupt werden wir uns in diesem Jahr 2025 vermehrt mit dem Themenkomplex um Geld, Ungleichheit, Klasse, Umverteilung, etc. befassen. So etwa demnächst mit dem Buch Von der namenlosen Menge des in Hamburg geborenen Olivier David, erschienen im geschätzten, in Innsbruck ansässigen Haymon Verlag.

PPPPS: Als ich kürzlich den (überbewerteten) Anora sah, musste ich an mancher Stelle an Veni Vidi Vici denken. Wenn es etwa um die Frage geht, wie es sich wohl lebt, ohne für das eigene (Miss-)Handeln die Konsequenzen tragen zu müssen. Dies vor allem, als zum Ende des überlangen Films von Sean Baker die russischen Eltern des verantwortungslosen Ivan „Vanya“ Zakharov (Mark Eydelshteyn) auftauchen. Eine ausführliche Rezension folgt im zeitlichen Umfeld der Oscars.

Veni Vidi Vici startet am heutigen Donnerstag im Kino.

Veni Vidi Vici; Österreich 2024; Regie: Daniel Hoesl, Julia Niemann; Drehbuch: Daniel Hoesl; Bildgestaltung: Gerald Kerkletz; Musik: Manuel Riegler; Darsteller*innen: Laurence Rupp, Ursina Lardi, Dominik Warta, Johanna Orsini, Olivia Goschler, Kyra Kraus, Tamaki Uchida, Martina Spitzer, Markus Schleinzer, Manfred Böll, Christoph Radakovits, Babett Arens, u. a.; Laufzeit ca. 86 Minuten; FSK: 12; Eine Ulrich Seidl Filmproduktion in Kooperation mit Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion; gefördert durch Österreichisches Filminstitut, Filmfonds Wien, FISA – Filmstandort Austria, Land Niederösterreich, ORF Film/Fernseh-Abkommen; im Verleih von Grandfilm

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