„Wenn Liebe für Dich pervers ist, dann tust Du mir leid“ (mir auch)

Willkommen im Erwachsensein (will man das?)

Haben Sie geweint? Ja? Dann ist’s ja gut. (Aber sowas von)

Mit diesen drei Sätzen des Abends: Willkommen in den heilen 1950ern. Also zumindest nach Ansicht der Unterhaltungsindustrie war da ja noch heile Welt, Aufbau läuft, alles ist schick, wird noch schicker und schicklicher . Genauer gesagt im Jahr `59, im legendären Theater des Westens in Berlin auf der Bühne, am Ku’damm 59.

Spoiler Alert: Kuss des Abends // © Dominic Ernst

Sie haben schon von mir gelesen? Wie nett, Danke. Dann wissen Sie ja auch, wie gern ich Recht habe. Und im Falle des Theater des Westens habe bzw. hatte ich es. Und zwar SO WAS VON! Aber Schluss mit dem Selbstlob und dem auf die eigene Schulter klopfen, dazu haben wir später noch genügend Zeit. Werfen wir erst mal einen kritischen Blick auf die aktuelle Produktion im Theater des Westens.

Das, was Du willst, bekommst Du nicht… oder auch doch.

Als sich mit den ersten kolossalen Chorsätzen der Vorhang langsam hebt, zieht auch die erste Gänsehaut des Abends über meine Arme, und das soll nicht die letzte sein. Zusammen mit den Stimmen des äußerst spielfreudigen Ensembles wabert aber auch sofort eine gehörige Portion 50er-Jahre-Mief über den Bühnenrand. Familie Schöllack, als da wären Mutter Caterina und deren Töchter Eva, Helga und natürlich Monika heißen uns in Begleitung des ganzen Ensembles willkommen und eröffnen ein wahres Bühnenspektakel der Einfachheit. Schon die offen und nur in kombinierbaren Segmenten gestaltete Bühne lässt uns in die 50er Jahre reisen. Allerdings lässt die Eröffnung auch keinen Zweifel daran, dass nicht immer alles läuft, wie mensch es gern hätte.

Zur Geschichte:

Caterina Schöllack hat bereits zwei Töchter unter der Haube, Eva hat einen Professor geheiratet, der ihr zwar sowohl das Arbeiten als auch den Führerschein verbieten will, aber der ist doch ne gute Partie. Helga kämpft mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit und Liebe ihres homosexuellen Ehemannes, na aber der ist doch Rechtsanwalt, das hat Ansehen. Bleibt Monika, die inzwischen Mutter eines unehelichen Kindes ist, das allerdings Helga und Wolfgang in Pflege genommen haben.

Heimatlicher geht es nicht // © sunstroem

Während Helga die Adoption des Kindes anstrebt, möchte Monika dem Mädchen eine gute Mutter sein. Sie entschließt sich, dafür berühmt zu werden, denn eine andere bekannte Schauspielerin schafft es ja auch als ledige Mutter. Also wird kurzum in der Tanzschule Schöllack ein Heimatfilm gedreht, alles natürlich ganz sauber und fein. Federführend hier die lesbische, aber immer noch dezent braun gefärbte Regisseurin Christa Moser (Gibt es hier etwa Parallelen zur aktuellen blauen Politik in Deutschland? 🤔😉 ), die schon länger auch ein Auge auf Caterina Schöllack geworfen hat.

Und so geht der alltägliche Kampf der fünf Frauen seinen Gang.

In der Liebmichallee // © sunstroem

Caterina managt Monika in dem Film, treibt sie und ihren On-Off-Boyfriend Freddy dadurch und biedert sich auch gern bei Frau Moser an. Monika nimmt es mit allen Widrigkeiten auf, immer mit dem Ziel, gut für Ihre Tochter zu sein und ihr ein Heim zu bieten. Helga arbeitet dem entgegen und setzt alles daran das Kind zu adoptieren und scheut auch nicht davor zurück den Geliebten ihres Mannes in der DDR zu denunzieren. Eva macht den mutigsten Schritt, der für sie geht, sie trennt sich, sucht sich eine Wohnung und arbeitet als leichtes Mädchen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Christa Moser wünscht sich, dieser Heimatfilm könnte an ihre großen Erfolge der 40er anknüpfen und wirbt deutlich um Caterina.

Willkommen im Erwachsensein…

Was sich im ersten Moment als heillos überfüllt anhört, kommt durch die klare und stringente Erzählweise des Stückes von Annette Hess, Ulf Leo Sommer und Peter Plate als wunderbar leichte und Petticoat schwingende 50er Jahre Revue rüber. Aber schon beim deutlichen Hinhören sind die ersten Zwischentöne zu vernehmen, manchmal auch klar formuliert. „Willkommen im Erwachsensein… keiner lügt so schon wie wir.“ Und ja, das tun sie, bis sich die Balken biegen, immer mit dem Ziel, das Leben dem Wunsch nach Liebe, Gegenliebe und Geborgenheit anzupassen.

Rock’n’Roll?! Nicht bei Schöllacks! // © sunstroem

Unterstützt von schmissigen Melodien (Musik und musikalische Produktion: Joshua Lange) und mitreißenden Choreografien von Jonathan Huor läuft vor unseren Augen eine hochklassige Theatermaschinerie, die an jeder einzelnen Stelle von unbändiger Spielfreude des Ensembles unter Regie von Christoph Drewitz angetrieben wird.

Homosexualität? Nicht bei den von Boosts! // © sunstroem

Mareike Heyen lässt an diesem Abend bei ihrer Monika keinen Zweifel aufkommen, sie glaubt an das Gute, auch in dem Mann, der sie hart verletzt hat. Katja Uhlig gibt der Caterina Schöllack einerseits Grandezza und Verletzlichkeit, andererseits herablassende Härte, so dass mensch sich niemals sicher sein wird, lieben oder hassen. Lucille-Mareen Mayrs Eva ist an diesem Abend leider nicht so ganz greifbar und erstarkt erst, als sie den Gatten der Gewalt überführen kann. Pamina Lenn lässt ihre Helga sowas von liebevoll und verzweifelt agieren, dass mensch sie fast trösten will.

Queere Emanzipation und Magie

Frau Moser und Frau Schöllack – nur Freundschaft? // © Dominic Ernst

Steffi Irmen zementiert mit ihrer eigens für diese Musical-Version entwickelte Christa Moser noch einmal deutlich ihren Status als Queere Ikone. Die große Show als lesbische und doch immer noch von den ach so glorreichen Reichszeiten beseelte Regisseurin beherrscht sie ebenso, wie das kleine zärtliche Umwerben von Caterina. Mensch möchte ihr am liebsten einen Schubs geben und sagen „Trau Dich“, was wir allerdings spätestens bei der Abfuhr bereuen würden. Mit der grandiosen Entgegnung „Wenn Liebe für Dich pervers ist, dann tust Du mir leid!“ und Irmens durchgestrecktem Rücken dürfen wir beispielhaft einen der ersten queeren Emanzipationsmomente der Nachkriegszeit erleben. Eine von vielen Gänsehäuten des Abends.

In einem Stück der so starken wie streitbaren Frauen bleiben Männer dann mal das Randgeschehen, was hier aber nicht minder spielfreudig und aufmerksam präsentiert wird. Und es gibt einen queeren Gänsehautmoment der so bedeutend ist, dass mensch schon im Theatersitz weiß: „Das werde ich nie vergessen!“ Den bescheren uns Phillip Nowicki als Wolfgang und Alexander Auler als Hans nur durch die Berührung von Händen im Licht. Einfach, aber magisch. Einfach magisch. Aber es wird nicht nur angedeutet, sondern auch angefasst. Bei Wolfgang und Hans bekommt der kleine oder große Grenzverkehr dann auch eine leicht andere Bedeutung – grins-.

So geht Theater!

Kommen wir also an dieser Stelle noch mal kurz zurück zum Eigenlob: Ich hatte Recht mit meiner Meinung. Die Intendanz von Peter Plate und Ulf Leo Sommer tut Berlins schönstem Theater wirklich gut. Sie haucht künstlerisches Leben in die alten Knochen des Hauses und lässt mit jeder zum Applaus klatschenden Hand sein Herz schlagen. So geht Theater!

Weiter so! Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Mal.

Ach ja, wir hätten übrigens gern alle ein Zimmer im Haus in der Liebmichallee!

In diesem Sinne

Frank Hebenstreit

Das Ensemble während des Schlussapplauses // © Frank Hebenstreit

PS: Demnächst mehr zu Die Amme – die am 10. April 2025 Premiere feiert! Ab dem 17. April wird dann erneut Romeo & Julia – Liebe ist alles aufgeführt.

Ku’damm 59 – Das Musical ist noch bis zum 23. Februar 2025 im Theater des Westens zu sehen. Infos und Tickets gibt es hier.

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