Wer hat Angst vorm Stelzenmann?

Manche Ereignisse sind unzweifelhaft traumatisch. Für Wladimir Putin war der Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Die Ukraine erlebt seit 2022 – und eigentlich seit 2014 – ihrerseits ein Trauma. Und auch völlig unpolitische Ereignisse können ein Trauma auslösen.

Schlechte Erziehung

Schlechte Erziehung zum Beispiel. Oder eine Entführung. Und beides finden wir im ersten Tatort des Jahres, den Das Erste am morgigen 1. Januar 2025 um 20:15 Uhr zeigt, in Ludwigshafen vor. Nur zwei Monate nach dem Fall Dein gutes Recht müssen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) direkt wieder ran. Ursache für die Ermittlungen im Fall Der Stelzenmann ist aber kein Trauma, sondern die mutwillige Attacke auf die Seniorin Judith Lutz (Hede Beck), die sieht wie der Nachbarsjunge Paul Wagner (Willie Vonnemann – erst kürzlich als toter Bruder in der Verfilmung von Marianengraben gesehen) auf der Straße in ein Auto gezerrt und entführt wird.

Swen (Samuel Benito) traut sich nicht, über seine Ängste zu reden // © SWR/Benoît Linder

Odenthal und Stern sind schnell vor Ort, denn die Rentnerin kann vor der Attacke gegen sie noch einen halben Notruf absetzen. Parallel lernen wir Swen (Samuel Benito) kennen, der gerade volljährig von zu Hause ausgezogen ist. Er fühlt sich verfolgt und wir erfahren im Lauf des Falls, dass er – ähnlich wie nun Paul – vor etwa zehn Jahren entführt wurde. Der Junge ist davon bis heute traumatisiert, aber da sich die Muster ähneln, scheint es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen zu geben.

Empathie – nicht so unser Ding…

Dieser Fall führt uns an so manche Abgründe, vor allem solche, die tief in der Seele verankert sind. Wir erleben traumatisierte Jungen und Männer, eine von Marie Anne Fliegel stark gespielte dominante alte Frau und abstruse Rituale im Wald. Und was hat eigentlich dieser Stelzenmann mit alldem zu tun?

Der kleine Paul (William Vonnemann) ist in der Gewalt eines Wesens, das ihm Angst macht // © SWR/Benoît Linder

Das müssen Odenthal und Stern nun herausfinden und ähnlich wie bereits im vorigen Fall in Bezug auf die zu besetzende Stelle in ihrem Sekretariat – auch das wird in diesem Fall erneut aufgegriffen – lassen die beiden nur sehr wenig Taktgefühl erkennen. Stern ist gegenüber dem traumatisierten Sven nach und nach zwar etwas offener und emphatischer, aber Lena Odenthal zeigt die meiste Zeit das Feingefühl einer Kettensäge, wenn es um traumatisierte junge Männer, die eher noch Teenager sind, geht.

Vor den Kopf

Das ist bisweilen brutal und würde viele vermutlich vor den Kopf stoßen, passt aber sehr gut zu dem Charakter Odenthal. Die schauspielerischen Leistungen von Folkerts, Bitter und eigentlich aller Nebendarsteller*innen sind hier auf den Punkt und auch das Drehbuch von Harald Göckeritz sowie die Regieleistung von Miguel Alexandre lassen keine Klage zu.

Gehören nun hoffentlich fest zum Team: Nico (Johannes Scheidweiler) und Mara (Davina Chanel Fox) haben selbstständig ermittelt und werden von Lena (Ulrike Folkerts) ein wenig getadelt. Aber das Lob für ihren Einsatz überwiegt // © SWR/Benoît Linder

Mit diesem Tatort: Der Stelzenmann starten wir zwar düster, aber dennoch mit viel Spannung und Unterhaltung in das neue Jahr. Eine fast durchweg starke bisherige Saison wird damit konsequent und auf hohem Niveau fortgesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass das weiterhin so bleibt.

HMS

PS: Wir begegnen dem von Bernd Hölscher gespielten Kurt Breising aus Dein gutes Recht wieder, der, nun in neuer Position, irgendwie versucht sich mit Odenthal auszusöhnen.

Gut gelaunt bei den Dreharbeiten zum Tatort: Der Stelzenmann: Kamerafrau Eva Maschke, Lisa Bitter, Ulrike Folkerts, Regisseur Miguel Alexandre und die Darsteller Ulrich Brandhoff und Samuel Benito. (v.l.n.r.) // © SWR/Benoît Linder

Das Erste zeigt den Tatort: Der Stelzenmann am 1. Januar 2025 um 20:15, auf one ist er um 21:45 Uhr zu sehen; anschließend ist der Film für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Der Stelzenmann; Deutschland 2024; Regie: Miguel Alexandre; Drehbuch: Harald Göckeritz; Bildgestaltung: Eva Maschke; Musik: Tom Bellis, Dave Alex; Darsteller*innen: Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Davina Chanel Fox, Johannes Scheidweiler, Bernd Hölscher, Samuel Benito, Ulrich Friedrich Brandhoff, Marie Anne Fliegel, William Vonnemann, Lisa Hofer, Reza Brojerdi

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