„Wie ist die Fasanenjagd?“

Düster setzt der Film ein. Schnell geht es in den Zweiten Weltkrieg und nach einem Crusing-Moment wird verkündet, dass es an der Ostfront nicht gut aussehe – der Russe kommt halt. Und der Trupp von Touko Laaksonen wird bald dorthin versetzt. Bei allem Düsteren sind die Bilder von Regisseur Dome Karukoski und Kameramann Lasse Frank, mit denen diese die Filmbiografie Tom of Finland beginnen lassen, vor allem klar und schon allein durch die Musik von Hildur Guðnadóttir und Lasse Enersen kunstvoll konnotiert.

Ob die Bilder Toukos/Toms, hier dargestellt von Pekka Strang, Kunst sind, darüber ist mensch sich im Grunde einig. Ob es aber Kunst ist, die im breiten Raum gezeigt und einer Mainstream-Zuschauerschaft zugetraut werden darf… darüber scheint kaum Einigkeit zu bestehen. Das jedenfalls lässt der Film nach bald zwei Stunden Laufzeit vermuten. Oder befürchten.

Zeigen oder Nichtzeigen

Bedenken wir, dass die Kunst des finnischen Malers, die mittlerweile von der von Durk Dehner und Tom of Finland 1984 in Los Angeles ins Leben gerufenen Tom of Finland Foundation verwahrt und geehrt wird, auf knackige Ärsche, deftige Nippel, pralle Schwänze, enge Jeans und stramm sitzende Lederjacken setzte. Genau so wie auf Kerle, die auf großen Maschinen reiten, an soliden Stämmen fummeln und mit der Gerte dressieren, dann fällt der hierzulande ab 12 Jahren freigegebene Film erstaunlich fad aus.

Fans und Freunde: Doug (Seumas Sargent), Touko/Tom (Pekka Strang) und Jack (Jakob Oftebro) // © 2017 Josef Persson/ Helsinki Filmi Oy /MFA+ Film Distribution

Auf vier lose miteinander verbundenen und ineinander verschränkten Zeitebenen, ohne diese je konkret zu benennen, erzählt Tom of Finland von der Kriegszeit Laaksonens, der Rückkehr und dem Zusammenleben mit dessen konservativer Schwester Kaija (Jessica Grabwosky), dem Beginn der Zeichnungen, dem Verheimlichen derselben (Homosexualität war in Finnland bis zu Beginn der 1970er-Jahre strafbar), Crusing und heimlichen Treffen in Privathäusern, Verfolgung, einer großen Liebe mit dem sensibel-aufbrausenden Tänzer Veli (Lauri Tilkanen), der eigentlich für die Schwester vorgesehen war, usw. usf.

„Das ist keineswegs nur ein Stückchen Papier, …“

Entlang dieser Lebensschlaglichter erzählen Regisseur Dome Karukoski und Autor Aleksi Bardy die Lebens- und Schaffensgeschichte, das künstlerische Wachsen des nicht nur für die LGBTIQ*-Welt bedeutenden Ausnahmekünstlers Tom of Finland. Jedenfalls so halb. Denn zwar werden die wesentlichen Punkte von Freiheit und Unterdrückung – dass es etwa unter Kameraden mehr sexuelle Verwirklichung gab als in der Nachkriegszeit –, Emanzipation und Angst, Begehren und Verheimlichen etc. abgehandelt, doch bleibt die Sexualität dabei so gut wie immer im Schatten.

Kunst und Arbeitswerkezug // © 2017 Josef Persson/ Helsinki Filmi Oy /MFA+ Film Distribution

Dazu werden die Bilder Tom of Finlands immer nur kurz gezeigt und erst gegen Ende des Films dürfen wir auch einen Blick auf die expliziteren Zeichnungen erhaschen. Sicherlich dürfte den schwulen, bisexuellen, trans*, kurzum queeren Zuschauer*innen des Films insofern nicht viel entgehen, als dass die Bilder in diesem sog. „Homosexuellenmilieu“ weithin bekannt sind. Die Galerie Judin vertritt den Künstler beziehungsweise dessen Nachlass in Deutschland , es finden sich Kalender, es sind Ausstellungskataloge wie Tom of Finland – Made in Germany oder vor einigen Jahren ein Tom of Finland Foundation Spezial in der freizügig-kreativen Anthologie Mein schwules Auge/My Gay Eye erschienen.

„…das ist eine Atombombe

Genau solch eine kreative Freizügigkeit hätten wir uns in diesem Biopic gewünscht. Immerhin geht es hier nicht um einen Vertreter der Homosexuellenbewegung in der bleiernen Zeit, der eher für ein Sicheinfügen in die heteronormative Welt um eine*n herum stand. Es geht um einen Mann, der pralles Ficken zur Kunstform erhob. Der Sex nach Lust und Laune darstellte, keine Rollenbilder vorgab. Dieses die Kunst nicht betrachten, nicht zeigen wollen, führt zu zwei Dingen, die einer Filmbiografie über Künstler wenig zuträglich sind.

Fantasiegestalt und Muse (Nikas Hogner) // © 2017 Josef Persson/ Helsinki Filmi Oy /MFA+ Film Distribution

Zum einen sehen wir kaum, wie die Kunst entsteht. Sicherlich wird dargestellt, dass die Erfahrungen Toukos aus Kriegstagen diese prägen. Einmal, um ein Trauma zu verarbeiten. Zudem sind es die Uniformen aus jener Zeit, die eng geschnürten Kriegsverkleidungen, die harten Lederstiefel, die er zu Papier bringt. (Was der Film Tom of Finland wiederum leider komplett unterschlägt, ist, dass Touko in seinen Werken auch immer Anleihen an SS- und Wehrmachtsuniformen genommen hat – ein Thema von Diskussionen innerhalb der Lederszene und darüber hinaus – und übrigens durchaus auch mit Wehrmachtssoldaten am Fummeln war, die Finnen kämpften schließlich an der Seite der Deutschen.)

Wir sehen nicht, wie die Kunst wirklich entsteht, seinen Prozess, ja eben das Wachsen seines Schaffens. Da hilft es auch nichts, wenn eine imaginierte Lederfigur (Niklas Hogner), wie sie seiner Idealvorstellung entspricht, immer mal wieder durchs Bild pafft und gafft. Oder wenn die Geräusche von Leder an mancher Stelle stärker zu vernehmen sind, als Schläge in Bud-Spencer-Filmen.

Kein Hedonismus ohne Bestrafung

Zum anderen ist Sexualität in diesem Film auf ein Niveau heruntergefahren, dass er locker im Vorabendprogramm laufen könnte. Da mutet es schon ironisch-paradox an, wenn Veli an einer Stelle zu Touko sagt, er wolle, dass die Vorhänge immer geöffnet seien. Dass zwei gleichgeschlechtlich Liebende oder Vögelnde von allen gesehen werden könnten, ohne dass dies zu Problemen führte. Die Biografie lässt die Vorhänge im Grunde jederzeit blickdicht verschlossen und wenn es mal einen kurzen Blick ins Innere von Sexualität (nach wie vor ohne Sex) und Kunst geben darf, ist quasi die sinnbildliche Schwester Toukos Kalija da, um diese schnell wieder zu schließen und uns wegzuziehen.

Touko/Tom (Pekka Strang) inmitten von US-Fans // © 2017 Josef Persson/ Helsinki Filmi Oy /MFA+ Film Distribution

Ein wenig mehr Fetisch gibt es, als Touko, mittlerweile als Befreier sexueller Lust gefeierter Tom of Finland, in den USA ankommt. Natürlich hält die Freude nicht lange: Es kommen HIV und Aids. Der Hedonismus, die Freiheit im Leben und in der Kunst wird direkt bestraft. Kaum gab es nackte Nippel, kommt als Konsequenz der Tod. Einziger Ausweg: Der Künstler Tom of Finland sowie der Mensch Touko Laaksonen müssen sich erlösen (lassen), indem die Freizügigkeit nun entweder gezügelt und/oder immer in Kombination mit dem Aufruf nach Obacht verbunden sein muss.

„Komm, liefern wir Wichsvorlagen in guter Qualität.“

Famos, wie diese klassische Arthouse-Filmbiografie es in schönsten Bildern schafft, die schönsten Bilder kaum zu zeigen (was erst recht weird anmutet, wenn wir bedenken, dass die Macher*innen sich extra die Rechte an den Originalbildern sicherten, um diese vernünftig ZEIGEN zu können). Umwerfend, wie Tom of Finland es fertig bringt, die Geschichte eines subversiven, die Gegenkultur prägenden, durchaus auch kritisch in Bezug auf Männlichkeitsbilder und Klischees zu betrachtenden, zeichnerisch anspruchsvollen Künstlers derart schablonenhaft, brav und konservativ zu erzählen.

Huch! Nackt! Touko/Tom (Pekka Strang) // © 2017 Josef Persson/ Helsinki Filmi Oy /MFA+ Film Distribution

Es wird mehr über Sex und Befreiung gesprochen, als dass wir etwas davon sehen. Manchmal wirkt es, als sollten besonders explizite Dialoge das Fehlen jeglicher Bilder in eine ähnliche Richtung entschuldigen oder verschleiern. Der durchweg gut gespielte Film ist ein einziges Paradox. Für die Community zu fad, in nahezu allen inhaltlichen Belangen. Für den Mainstream wohl wieder zu abstrakt. Tom of Finland ist kein schlechtes Ding, er bietet nur kaum Neues, vermeidet jeden Mut und ist mit seinem Ende eine so sichere Nummer des Anbiederns an beispielsweise mutige CDU-Wähler*innen und Mitglieder, dass es fasziniert. Arg.

JW

PS: Eine ähnlich problematische Zurückhaltung Sexualität und Emanzipation wirklich auszuformulieren prägten auch den ebenfalls finnischen, ansonsten aber (ebenfalls) starken Film Tove. Nur dass diese eben mit ihren Mumins eher keine sonderlich sexuell aufgeladene Kunst schuf.

PPS: „Hast du in Finnland veröffentlicht?“ – „Da wäre es leichter, die im Vatikan zu zeigen.“ – „Ich bin mir sicher, dem Big Boss würde es gefallen.“

PPPS: Übrigens: Die wirklich famose Literaturverfilmung von Philippe Bessons Hör auf zu lügen ist weit offener unterwegs. Und dies, obwohl sowohl Buch als auch Film von Homofeindlichkeit und unterdrücktem Begehren erzählen.

Im Rahmen von ONE Queer wird Tom of Finland heute Abend um 21:40 Uhr auf ONE gezeigt und ist anschließend für 30 Tage in der ARD Mediathek verfügbar.

Tom of Finland: 2017, Finnland/Deutschland/Schweden/ Dänemark; Regie: Dome Karukoski; Buch: Aleksi Bardy; Bildgestaltung: Lasse Frank; Musik: Hildur Guðnadóttir, Lasse Enersen Darsteller*innen: Pekka Strang, Lauri Tilkanen, Jessica Grabowsky, Taisto Oksanen, Seumas Sargent, Jakob Oftebro, Werner Daehn, Niklas Hogner; FSK: 12; Laufzeit: 115 Minuten; im Verleih von MFA+ FilmDistribution

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