Dass Filmemacher*innen aus Frankreich hier und da eine eher eigene Art haben, recht spezielle Geschichten zu erzählen und etwas andere Filme zu machen, dürfte nicht nur passionierten Kino– und Film-Fans bekannt sein. Dass allerdings die lauthals im Raum stehende Trennung eines lesbischen Paares mit einem Krankenhausaufenthalt während sich zuspitzender Gelbwesten-Proteste, zunehmendem Stress in der Notaufnahme, Macron-Kritik und Anmerkungen zu einer gespaltenen Gesellschaft in Form einer dröhnenden Tragikomödie verknüpft wird, ist schon besonders.
Profis und Laien
So machen es Regisseurin und Autorin Catherine Corsini (La Belle Saison – Eine Sommerliebe) und ihre Co-Autorinnen Laurette Polmanss Agnès Feuvre in ihrem Film In den besten Händen aus dem Jahr 2021, den arte heute Abend als TV-Erstausstrahlung zeigt (in der arte-Mediathek verfügbar bis zum 14. Januar 2025). Dass Corsini und Co. es mit ihrem kritisch-politischen Anliegen ernst meinen, zeigt schon die Besetzung. Neben den Stars Valeria Bruni Tedesci, Marina Foïs, Pio Marmaï in den Hauptrollen sind die meisten anderen Rollen, vor allem jene des Krankenhauspersonals und vieler wartender Patient*innen, mit Laiendarsteller*innen besetzt.
Diese Entscheidung entpuppt sich als kleiner, feiner Coup. Wirken viele der Nebenfiguren in ihrem Handeln doch sehr natürlich (was durch die Entscheidung Corsinis, lange Plansequenzen statt vieler Wiederholungen zu drehen, die Kamera dabei auf der Schulter platziert). Allen voran die resiliente Krankenpflegerin Kim. Für Aïssatou Diallo Sagna war es die erste Filmrolle und sie erhielt 2022 prompt den César als beste Nebendarstellerin (und Corsini besetzte sie in ihrem nächsten Film Rückkehr nach Korsika).
Der auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2021 mit der Queer Palm prämierte In den besten Händen beginnt am frühesten Morgen. Während Julie (Marina Foïs, Furies) schläft, schickt ihr ihre neben ihr im Bett sitzende Noch-Partnerin Raf (Valeria Bruni Tedesci, Sommer 85) wütende SMS. Später wird klar, dass Comic-Verlegerin Julie mit der Beziehung zur komplizierten Comic-Zeichnerin Raf abgeschlossen hat. Der leibliche Sohn Julies Eliott (Ferdinand Perez) kündigt an, zu den Gelbwesten-Protesten gehen zu wollen. Raf zieht ihn damit auf, ob er nun mit Rechten demonstrieren wolle.
Verletzlich und überfordert
Kurz danach verlässt Julie die Wohnung, um allein zu einer Feier zu gehen, zu der das Paar an sich gemeinsam eingeladen ist. Raf läuft ihr nach, es wird noch ein wenig debattiert, dann rutscht sie auf Kotze aus und bricht sich fies den Arm („Ich hab ein Knie anstelle des Ellbogens.“) und kommt ins Krankenhaus. Dort trifft sie auf den Fernfahrer Yann (Pio Marmaï), der auf der Demonstration durch eine Granate schwer am Bein verletzt wurde.
Schnell geraten die beiden ob der gegenseitigen Vorurteile aneinander. Natürlich spielen auch Stress, Angst, Schmerzen, in Rafs Fall noch Medikamente und Co. eine Rolle. Julie kommt dazu, beginnt zwar, sich ein wenig um die aufgebrachte Raf zu kümmern, ist allerdings schnell genervt von ihrem hysterischen Verhalten und den ständigen Versuchen sie in die Aufrechterhaltung der von Streit erfüllten und streitbaren Beziehung zu quatschen.
Derweil spitzen sich die Proteste weiter und weiter zu. Es kommt zu (vor allem durch Erzählungen und das TV wahrgenommenen) Straßenschlachten und kriegsähnlichen Zuständen, wie ein beteiligter Polizist später sagen wird. Der Notaufnahme des auseinanderfallenden staatlichen Krankenhauses droht Überfüllung und allen Beteiligten Überforderung…
(K)Ein Präsident für alle?!
Bei dem vielen Hin und Her, dem Durcheinander in der Notaufnahme sowie auf den Protesten und letztlich in den Köpfen Rafs, Julies und Yanns, kann auch den Zuschauenden an mancher Stelle ganz schwindelig werden. Hier ist schon sehr, sehr viel los. Was letztlich natürlich zur Stimmung des Tages, der Zeit passt, in der das Krankenhauspersonal aufgefordert ist, die Daten aller eingelieferten Demonstrant*innen aufzunehmen und sie an die Polizei zu geben. Sie weigern sich. Gut so. Catherine Corsinis Film hat viel Interessantes zur Lage der französischen Bevölkerung zu sagen und bringt wichtige Punkte auf (einiges bleibt allerdings im gut gemeinten Ansatz stecken). Dies mal eher augenzwinkernd bis süffisant („Die werden uns doch wohl nicht zwingen, Macron zuzuhören.“), an anderer Stelle ernst bis verzweifelt.
Wenn Yann sich etwa dazu äußert, dass sie doch nur gewartet hätten, dass Präsident Emmanuel Macron einmal aus seinem Élysée-Palast raus und von seinem hohen Ross runter kommt und sich dem „einfachen Volk“ zuwendet, ist das recht eindringlich geschrieben und gespielt. Letztlich fordern zumindest er und manche seiner Freund*innen lediglich, dass Macron Präsident aller französischen Bürger*innen ist: „Das Problem ist, dass unsere Wut für ihn nicht legitim ist“, sagt der Fernfahrer.
Stress und Eskalation allenthalben
Sicherlich gibt es im Film auch manch eher pauschale Polit-Eliten-Schelte. Was witzig ist, da Julie sich morgens noch über die Anmerkung, ob Eliott denn nun mit Rechten marschieren wolle, darüber echauffiert, dass Raf mal wieder alle über einen Kamm schere. Die Dynamik der beiden Frauen scheint in der Tat nicht unbedingt gesund, doch habe ich bisher selten Beziehungskomödien/-filme aus Frankreich gesehen, in denen ich der gezeigten Paardynamik einen grünen Haken gegeben hätte. Doch scheint da nach wie vor Liebe zu sein. Und wie die, auch von starken Schmerzmitteln beeinflusste, Raf um Julie kämpft, ist teils sehr putzig.
Allerdings muss mensch nicht nur debattenfreudige Filme, sondern auch einen schallenden Ton mögen oder zumindest aushalten können. Anstrengend und überfordernd sind noch Untertreibungen für die Figuren von Yann und vor allem Raf (wobei auch Julie ihre für uns herausfordernden Momente hat). Augenfällig ebenso, dass alle drei zwar keine schlechten Menschen sind, allerdings doch eher unsympathisch bleiben. Als Identifikationsfigur im Ensemble kann da am ehesten noch Kim oder der nur kurz auftauchende, engagiert-besorgte Sohn Eliott dienen. Erneut: Speziell.
Im letzten Drittel, vor allem in den letzten fünfzehn Minuten, dreht sich der temperamentvolle In den besten Händen beinahe in Richtung eines melodramatischen Thrillers. Kurz steht die Befürchtung im Raum, dass Corsini sich entscheidet, in die absolute Eskalation zu gehen. Dies, Spoiler-Alert, tut sie dankenswerterweise nicht. Wenn das Ende natürlich auch nicht ganz so à la heile Welt ausfällt, wie manch eine*r sich das wohl wünschen dürfte.
JW
PS: „Jetzt muss ich hier noch als Pfleger arbeiten.“ Hm… so mögen wir unsere Assistenzärzte.
PPS: „Es ist kein Ketamin mehr da.“ Ugh, das ist natürlich wirklich dreckig.
arte zeigt In den besten Händen heute um 20:15 Uhr; in der arte-Mediathek ist die Tragikomödie bis zum 14. Januar 2025 verfügbar.
In den besten Händen; Frankreich 2021; Regie: Catherine Corsini; Drehbuch: Catherine Corsini, Laurette Polmanss, Agnès Feuvre; Bildgestaltung: Jeanne Lapoirie; Musik: Robin Coudert; Darsteller*innen: Valeria Bruni Tedesci, Marina Foïs, Pio Marmaï, Aïssatou Diallo Sagna, Jean-Louis Coulloc’h, Camille Sansterre, Cécile Boncourt, Caroline Estremo, Martin Laurens, Ferdinand Perez; Laufzeit ca. 93 Minuten; FSK: 12
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