Den meisten dürfte Fluch der Karibik noch bekannt sein. Als Piraten noch so richtig ungehobelt und unzivilisiert sein durften. Als sie einfach drauflosgekämpft haben. Fragen kann man ja auch später stellen. Allerdings: wem, wenn die alle um einen Kopf kürzer sind? Naja, das sind Probleme der Vergangenheit (oder?).
Was die Piraten in Fluch der Karibik jedoch hassten, war das Parler-Recht. Wer sich darauf beruft, darf nicht mehr bekämpft, sondern mit dem muss verhandelt werden. Sollten wir mal für Putin einführen, was? Wie dem auch sei, die kopflosen noch einen Kopf besitzenden Piraten wurden ihres Rechts zum zivilisierten Ungehobeltsein beraubt. Schweinerei!
Eine Errungenschaft der Zivilisation
Und doch ist das Reden eine Errungenschaft der Zivilisation. Im Parlament – da ist es wieder, dieses Parler – gibt es Bürokratiemonstergeburtszeremonien, die den Charme eines Tatorts von Eva und Volker A. Zahn haben, aber auch unterhaltsame Schlagabtausche, etwa als Friedrich Merz vor einer Weile Olaf Scholz als einen „Klempner der Macht“ diffamierte. Oder erinnern wir uns einfach an Franz Josef Strauß. Und manchmal sind die Schlagabtausche gar nicht nur so verbal, sondern erreichen auch das Niveau des nicht unbedingt lustvollen Körperkontakts.
Das Parlament scheint ein Ort der Zivilisation zu sein. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen sollen mit Worten ausgetragen werden, manchmal auch beleidigenden, nicht mit Fäusten oder Waffen. Nur manchmal bleiben die Abgeordneten eben nicht verbal. Schlägereien in Parlamenten kommen immer wieder vor und so lautet auch der schlichte Titel des Buchs des früheren KATAPULT-Herausgebers Benjamin Fredrich, das im Sommer 2024 in jenem Verlag erschien.
Schlägertypus
97 Fälle von nonverbalen Auseinandersetzungen in Parlamenten hat Fredrich zusammengetragen und die meisten haben sich in den vergangenen 15 Jahren ereignet. Ja, auch der Tyrannenmord an Julius Cäsar hat Einzug gefunden, auch so manche nicht für alle lustige Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, aber vor allem jüngere Beispiele sind hier versammelt. Dass es sich also um eine Vollerhebung handelt, darf getrost bezweifelt werden.
Ist aber auch nicht schlimm. Ein paar einleitende Seiten gibt es, quasi die Präambel zur Sammlung im Giftschrank des Parlamentarismus. Allerdings ordnet diese Präambel ganz gut ein, warum es zu Schlägereien kommt, wieso diese nicht unbedingt ein Ausdruck dysfunktionaler Demokratie sein müssen und welche Gründe für Gewalt in Parlamenten überwiegen: persönliche oder politische.
Nicht nur verbale Spannungen
Spannend ist auch zu sehen, dass es gerade eine Handvoll demokratischer Länder ist, in denen scheinbar die meisten Schlägereien abgehalten werden – teils auch solche, wo wir es weniger vermuten würden. Israel, Südkorea, Taiwan und die Ukraine tauchen hier immer wieder auf, aber wenn wir berücksichtigen, dass dies Länder sind, die ohnehin stets aufgrund ihres Umfelds im Spannungsfeld stehen, ist es nur konsequent, dass sich das auch durch die parlamentarische Kultur des jeweiligen Landes zieht.
Zu jedem der von ihm dargestellten Fälle gibt Fredrich einen kurzen Hintergrund, in der Regel auf Basis journalistischer Quellen, die er in den Endnoten zusammengestellt hat. Da geht es eben von politischen Auseinandersetzungen über Taiwans Chinapolitik bis hin zu persönlichen Beleidigungen und beispielswiese Abgeordneten, die die Büros (Australien) oder Autos (Israel) ihrer Kolleg*innen mit Farbe oder Lippenstift beschmieren.
Eher humorvolle als bildende Kunst – und manchmal auch teuer
Das ist alles in allem unterhaltsam bis lehrreich, aber am Ende wiederholt es sich doch immer irgendwie. Es ist witzig bei Benjamin Fredrich zu lesen, wie Südkorea (nicht Japan, wie es im Deutschlandfunk fälschlicherweise hieß) die Gewaltaffinität seiner Volksvertreter*innen versucht einzudämmen, wie taiwanische Abgeordnete versuchen, unliebsame Gesetzesvorhaben appetitlich zu entsorgen oder welche Wurfgeschosse es so in den verschiedenen „Laberbuden“ gab und gibt.
Am Ende ist das eine humorvolle Zusammenstellung skurriler Schlägereien, die trotz der wirklich gut einordnenden ersten Worte eher humorvoll als wirklich bildend wirken. Gerade dieses Animalische, das immer noch in den scheinbar so zivilisierten Gesellschaften steckt, zeigt sich besonders gut, wenn Schlägereien in Parlamenten Einzug halten. Besser jedoch so, als dass wir wieder in die Barbarei des Mittelalters und Kolonialismus verfallen.
HMS
PS: Buenos Aires liegt nicht in Patagonien. Manchmal passieren eben auch den Kartennerds von Katapult unnötige Fehler 😉
PPS: Kurz vor Weihnachten 2024 gab es in Taiwan noch eine solide Parlaments-Schlägerei.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Benjamin Fredrich: Schlägereien in Parlamenten; Juli 2024; 180 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-948923-75-4; Katapult Verlag; 22,00 €
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