Wissen schützt vor Dummheit nicht…

Am heutigen Montagabend setzt Das Erste seine traditionelle Sommerkino-Reihe mit einem weiteren Kinoerfolg Sönke Wortmanns (Der Vorname, Der Nachname, bald: Der Spitzname, Eingeschlossene Gesellschaft, …) fort. In Contra begegnen wir der marokkanischstämmigen Studienanfängerin Naima Hamid (Nilam Farooq, aktuell: Wo wir sind, ist oben), die aufgrund unvorhergesehener Umstände direkt mal zu spät in die erste oder eine der ersten Vorlesungen des gewinnenden Juraprofessors Richard Pohl (Christoph Maria Herbst, Eingeschlossene Namen usw. usf.) an der Goethe-Universität kommt.

So sehr er in fachlicher und rhetorischer Hinsicht über jeden Zweifel erhaben sein mag, so wenig ist er dies über seine Verbitterung, sein Ego, seinen Zynismus… Dinge, die sich – also er – gern in so sexistischer wie rassistischer, wenn auch immer geschliffener, Form zum Ausdruck bringt. Da der Mann nunmal aber eine Koryphäe auf seinem Gebiet ist, lachte bisher manch Frankfurter-Polokragen-Nach-Oben-Juraschnösel genüsslich und manch sich angesprochen fühlende Person leidlich mit – das aber soll sich nun ändern…

…debattieren aber schon

Denn Naima beschwert sich, was für den erschütterten Professor Pohl zu ungekannten Konsequenzen führt (da erinnern wir uns doch an Die Unschuldsvermutung). Warum dies so ist, macht ihm der nicht zuletzt um Erfahrungen und Lebensjahre überlegene Universitätspräsident Prof. Alexander Lambrecht (Ernst Stötzner; Charité, Das Boot) deutlich: Die Zeiten hätten sich geändert. Neuländisches Internetz, virales Zeug, Dinge, die man(n) nicht mehr sagen darf, bleh, bleh, bleh. So doofer Kram halt, der ein menschliches Miteinander auf Augenhöhe ermöglichen soll. Aka: Woker Shit.

Universitätspräsidenten Lambrecht (Ernst Stötzner, re.) hat einen Auftrag für Juraprofessor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst, li.) // © ARD Degeto/2020 Constantin Film Verleih GmbH

Nachdem der Mittfünfziger Pohl diese Pille zu schlucken hatte, folgt die zweite sogleich: Er solle die aufmüpfige Studentin Naima (deren Namen er mit Weidelscher Verve jedes Mal ändert) für den anstehenden bundesweiten Debattierwettbewerb der Hochschulen (Exzellenz-Initiative oder wat?!) coachen und so seine Aussichten im anstehenden Disziplinarverfahren verbessern. Hurra!

Die dritte Pille kommt in Form Naima, die nämlich so gar keine Lust hat auf diesen Wettbewerb und schon gar nicht darauf, von dem arroganten, alten weißen Zynikermann gecoacht zu werden. #ausgründen Irgendwie schafft Pohl es aber doch die Studentin zu überreden („…und außerdem schützt Debattieren nachweislich vor Dummheit.“) und es kann losgehen. Pünktlich um acht!

Schlag um Schlag

Und los geht es nach einem ohnehin von Autor Doron Wisotzky zackig geschriebenen Einstieg mit dem Haupteil von Contra. Dies nach Der Vorname ein weiterer auf französischer Vorlage basierender Film Wortmanns. Ausgeprägte Frankophilie eines Cinephilen also? Wer weiß…

Sei’s drum. Zurück zu Contra und zunächst einmal zu den Pros. Der Schlagabtausch den sich Nilam Farooq als Naima und Christoph Maria Herbst als Richard Pohl hier liefern, hat sich teilweise gewaschen, lässt sie nicht selten wie Kotrahenten auf zumindest ähnlicher Ebene wirken und wird von beiden hervorragend gespielt. Bei Herbst war davon auszugehen; dass er für solche Rollen prädestiniert ist, hat er mehrfach bewiesen. Im Grunde spielt er hier „nur“ eine noch garstigere und unsympathischere Variante seiner Namen-Figur Stephan. Mit welchem bodenständigen Elan Farooq dem aber so einiges an Kontra geben kann, freut.

Große Liebe: Für Naima (Nilam Farooq, r.) ist Mo (Hassan Akkouch) der Richtige // © ARD Degeto/2020 Constantin Film Verleih GmbH

Dazu ist der Film recht kurzweilig geraten, was bei sozialkritischen Komödien gern mal nicht der Fall ist. Allzu häufig wird sehr viel Zeit auf mehr oder minder glaubwürdige Charakterveränderung und zuckrige Momente ver(sch)wendet. Das ist bei Contra kaum der Fall. Gut ist, dass wir mit Familie und Love-Interest Mohammed (Hassan Akkouch) das Umfeld Naimas besser kennenlernen. Im weiteren Sinne geschieht dies auch bei Pohl – hier allerdings setzt ein Problem ein, womit wir bei einem Kontra wären.

Alles auf den Schultern des Lebens

Natürlich ist Prof. Dr. Richard Pohl nicht schon immer so gewesen, nein, nein. Es gibt eine tragische Geschichte im Hintergrund, diese soll ihn natürlich verhärtet und verändert haben. Hmm… Ich sage mal, wer ein Arschloch ist, bei dem oder der oder dey zeigt sich das auch irgendwann. Wie Menschen mit Rückschlägen und Verlusten umgehen, liegt auch an ihnen selbst. „Opfer der Umstände“, nun ja… Das ist ein feiges Lebensmotto. Und die eigenen Ressentiments, den eigenen Rassismus und Antisemitismus, die eigene Misogynie und Homo– bzw. Transfeindlichkeit quasi auf die Schultern des Lebens auslagern zu wollen ist schmutzig.

Essen verbindet: Richard Pohl und Naima genießen es // © ARD Degeto/2020 Constantin Film Verleih GmbH

Da Pohl sich aber wandeln muss, ist’s in Contra dann eben so, dass er wie erwähnt eigentlich nur wenig dafür kann, dass er ein Rotwein stürzender Berserker in guten Klamotten ist. Selbstredend lernt auch Naima dazu. Nämlich, dass mensch Fehler verzeihen und Veränderungen annehmen können muss. Das kann sie natürlich nur, da seine geäußerten Boshaftigkeiten nie ein justiziables Level erreichen (schön blöde wäre der Herr Prof. Dr. jur. ja auch) und ebenso wenig den innersten Kern demokratischen Miteinanders attackieren.

Sommerliches Lernen

Nun ist Contra sicherlich eine Komödie und kein düsteres Drama (dafür haben wir nach wie vor die Dortmunder Tatorte). Dennoch kann mensch an dem Film kritisieren, dass er im Konflikt zumeist an der Oberfläche bleibt und letztlich doch kaum jemanden verunsichern mag. Jedenfalls nicht allzu sehr. Was wiederum ein Pro sein kann, denn so können wir ihn bedenkenlos auch Menschen zeigen, die vor lauter Lachen womöglich gar nicht mitbekommen, dass sie hier eventuell doch etwas lernen.

Aufregung, passend zu einer Sommerkomödie: Professor Pohl hat Naima sein Geheimnis verraten // © ARD Degeto/2020 Constantin Film Verleih GmbH

Da wie gesagt alles sehr leichtfüßig und sympathisch inszeniert ist, Herbst und vor allem Farooq, die ihrer Naima wirklich Charakter gibt, klasse aufspielen (das Duo erhielt den Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung) und das Anliegen wertzuschätzen ist, darf Contra gern und guten Gewissens ein Pro sein. (Nun aber genug davon.) Vor allem als Sommerkomödie ein passender Film.

AS

PS: Apropos Neuländisches Internetz I: Gestern Abend, im Vorfeld des FußballEM-Finales SpanienEngland hat sich der ehemalige Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher via Instagram als schwul geoutet. Wir freuen, schicken Glückwünsche und wünschen ihm und seinem Partner Etienne natürlich alles Gute und Schöne für die Zukunft! (Und wissen nun endlich, was es mit manch ominöser Andeutung Cora Schumachers im diesjährigen IBES-Dschungel auf sich hatte.)

PPS: Apropos Neuländisches Internetz II: Siehe hier.

Das Erste zeigt Contra am heutigen Montag, 15. Juli 2024, um 20:15 Uhr; anschließend ist der Film bis zum 22. Juli 2024 in der ARD Mediathek verfügbar.

Contra; Deutschland 2021; Regie: Sönke Wortmann; Buch: Doron Wisotzky; Bildgestaltung: Holly Fink; Musik: Martin Todsharow; Darsteller*innen: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Hassan Akkouch, Ernst Stötzner, Mo Issa, Stefan Gorski, Meriam Abbas, u. v. a.; FSK: 12; Laufzeit ca. 104 Minuten; im Verleih von Constantin Film

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