Wunderbare Weltenwanderungen

Wahrscheinlich braucht es ein halbes Leben oder zumindest einige Jahre, um die 100 schönsten Wanderrouten auf de ganzen Welt abzulaufen. Wer sich mit dieser Idee intensiver auseinandersetzen möchte, hat mit dem nun auch auf Deutsch im National Geographic Buchverlag erschienenen Band Walks of a Lifetime – Die 100 spektakulärsten Wanderungen weltweit der amerikanischen Reiseautorin Kate Siber direkt die perfekte Lektüre hierfür. Besonders in Corona-Zeiten mit eingeschränktem Reiseradius lässt sich so bereits der nächste Wanderurlaub gut planen. Bis wir alle wieder sicher um die Welt reisen können, gibt es so die Gelegenheit, zumindest die gedanklichen Wanderstiefel zu schnüren.

Eine Weltenwanderung zu Klassikern und unbekannten Paradiesen

Aufbruch oder Ausbruch? Bei einer Tour zum Vulkan Erta Ale findet man einen Lavasee, der als „Tor zur Hölle“ bezeichnet wird. // © Michael Poliza/National Geographic Creative

Walks of a Lifetime nimmt Leserinnen und Leser mit auf eine Wanderung um die Welt. In sechs Kapiteln geht es nach Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, Asien, Australien, Ozeanien und sogar in die Antarktis – kein Erdteil wird ausgespart und das ist gut. Trotz leichter Unwuchten ist die geographische Verteilung der Wanderungen relativ ausgeglichen, auch wenn es „nur“ neun Trails im Kapitel Australien, Ozeanien und Antarktis gibt. Aber klar, spektakuläre Bergketten findet man vermutlich auf Kiribati nicht so häufig wie in den Rocky Mountains. Die USA hingegen – Heimatland der Autorin – sind mit elf Trails in ebenso vielen Bundesstaaten bedacht. Das ist aufgrund der landschaftlichen Vielfalt aber völlig vertretbar. Vor allem, dass das gerne stiefmütterlich behandelte Afrika mit 16 Wanderungen illustriert ist, ist – und zwar nicht nur dem (dennoch obligatorischen) Kilimandscharo – äußerst erfreulich.

Siber zeigt den Leserinnen und Leser atemberaubende Landschaften rund um die Welt: hohe und imposante Bergketten im Himalaya oder den Dolomiten, aktive und erloschene Vulkane in Italien und Indonesien wechseln sich ab mit weiter afrikanischer Steppe, endlosen Wüsten aus Sand, Stein und Eis in Chile, Namibia oder Zentralasien. Tropische Dschungel in Costa Rica oder Kolumbien sind ebenso Ziele wie die nördlichen Geröllwüsten auf Island und Norwegen oder der Baikalsee in Russland.

Das Dorf O Cebreiro ist die erste galizische Station für Pilger auf dem Jakobsweg in Spanien. // © Jim Richardson/National Geographic Creative

Bei den vielen Klassikern, die nicht fehlen dürfen – Camino de Santiago in Spanien, Appalachian Trail an der US-Ostküste, der Mount Everest oder eben der bereits genannte Kilimandscharo in Tansania – gibt es auch Routen „off the beaten track“. Der „Six Waterfalls Hike“ in Mikronesien dürfte ebenso wenigen Leuten bekannt sein, wie Dogon Country in Mali, das Vale do Pati im brasilianischen Nationalpark Chapada Diamantina oder die kirgisische Ak-Suu-Traverse. Walks of a Lifetime bietet also sowohl Altbekanntes und Vertrautes als auch neue Inspiration zu unbekannteren Reisezielen.

Aufschlussreiche und bildmächtige Texte gepaart mit Panoramen höchster Qualität

Die einzelnen Kapitel bestehen dabei stets aus einem ein- bis dreiseitigen Text mit Informationen zum Trail, zur Geschichte, zur Flora und Fauna oder der Nutzung durch die Menschen. Hier erfährt der interessierte Leser, bzw. die interessierte Leserin, was es mit dem jeweiligen Trail auf sich hat, welche Besonderheiten zu beachten sind und was man sonst noch so erfahren und erleben kann. Die Übersetzer des ursprünglich auf Englisch erschienenem Bandes scheinen übrigens sehr sorgfältig gearbeitet zu haben. So heißt es beispielsweise auf S. 112 zum chilenischen Valle de la Luna: „Man schlendert mehrere Stunden lang durch ein großes Amphitheater aus leuchtend roten Felsformationen und Sandfeldern und besucht die Salt Caves, einen schmalen Canyon, der vom Wasser in gewundenen Kurven in den Fels gefräst wurde.“ Es erscheint unwahrscheinlich, dass diese Wortwahl bei der Übersetzung hinzukam, aber allzu oft verschwinden solch wort- und bildmächtige Beschreibungen im transkriptorischen Nirvana – hier nicht.

Nebelschwaden umgeben den Mount Meru in Tansania. // © Ronan Donovan/National Geographic Creative

Je nach Länge sind die Beiträge mit ein bis drei oder vier Bildern in sehr hoher Qualität illustriert, die einem ein Gefühl für den jeweiligen Ort, die Menschen oder die Natur geben. Oft wird bei den Fotos mit dem Licht und dem Wetter gespielt. Nebelschwadenverhangene Wälder gibt es ebenso wie rauschende Wasserfälle oder kilometerweite Panoramen über Plateaus, Ebenen, Meere und Küsten. Dabei wird stets auf höchste Bildqualität geachtet – ein großer Pluspunkt für den etwa 400 Seiten zählenden Wälzer.

Auch das „Zubehör“ stimmt

Gut illustriert wird das auch durch die Kurzkategorie „Was einen erwartet“ zu jedem Trail. In wenigen Stichworten – auf Instagram wären das quasi die beigefügten Hashtags – wird noch einmal knapp zusammengefasst, welche Tiere, Pflanzen, Landschaften oder Menschen einen erwarten. Eine sehr gute und kompakte Darstellung, wie wir finden.

Zusätzlich gibt es bei jeder Wanderung sehr knappe Hinweise zur Distanz, der Dauer, der empfohlenen Jahreszeit und zum Schwierigkeitsgrad der Route, was einem einen Eindruck davon gibt, wann und wie lange eine Reise sinnvoll ist, so der Leser oder die Leserin direkt angefixt ist. Tricky ist dabei nur der Schwierigkeitsgrad. Hier heißt es mal „anspruchsvoll“, mal „moderat“ oder auch „nur für Experten“. Wie viel Erfahrung und Ausdauer man allerdings braucht, um ein „Experte“ zu sein oder eine „anspruchsvolle“ Tour schaffen zu können, ist leider nirgends vermerkt. Hier wird man seine Fähigkeiten unweigerlich selbst abschätzen müssen – eben mit der Gefahr, bei der Schätzung falsch zu liegen. Aber da ein- bis vierseitige Beschreibungen der Trails ohnehin nicht mehr sein können als eine Anregung, um sich weiter zu informieren, dürfte es dann im gegebenenfalls folgenden Planungsprozess einer Tour auch klar werden, ob man Ausdauer und Leistungsfähigkeit mitbringt, um die Tour zu bewerkstelligen.

Auf dem Weg zur Laguna Torre genießen Wanderer den Ausblick auf die felsigen, schneebedeckten Gipfel des Glaciar Adela. // © Alex Treadway/National Geographic Creative

Den Rahmen bilden einerseits ein Vorwort des bekannten amerikanischen Rucksackwanderers Andrew Skurka, der zusätzlich eine knappe Übersicht über die von ihm empfohlene Basisausrüstung für mehrtägige Wanderungen an die Hand gibt. Siber andererseits schreibt in ihrer Einleitung über die Freuden des Wanderns und die Perlen, die man dabei entdeckt. Am Ende des Buches gibt sie außerdem einige Hinweise zum Naturschutz, die zwar eigentlich selbsterklärend sein sollten, aber leider nicht selbstverständlich sind – hierzulande vielleicht noch etwas mehr als in Sibers amerikanischer Heimat.

In Summe bleibt festzuhalten, dass Walks of a Lifetime ein sowohl inhaltlich als auch optisch sehr ansprechender Bildband ist, der teils nahe, teils aber auch sehr ferne Reiseziele für Aktivwanderer sehr gut darstellt. Die überwiegende regionale Ausgewogenheit, die ansprechenden und aufschlussreichen Texte sowie die vielen Bilder pittoresker Landschaften machen den Band zu einem sehr wertvollen Bestandteil der Bibliotheken von Reisenden, Wandernden und denjenigen, die davon träumen, neue Paradiese zu entdecken.

Siber, Kate: Walks of a Lifetime – Die 100 spektakulärsten Wanderungen weltweit; 1. Auflage, Mai 2020; Hardcover, 400 Seiten, ca. 250 Abbildungen; Format: 22,3 x 22,6 cm; ISBN: 978-3-86690-729-4; National Geographic Buchverlag; 39,99 €

HMS

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