Nein, ausnahmsweise (?!?) ist die Überschrift einmal nicht Programm dieses Texts. An der dritten Staffel der übererfolgreichen Netflix-Serie Heartstopper ist in der Tat kaum etwas cringe. Und falls doch einmal, ist es meist so cute, dass der Cringe-Faktor wieder in den Hintergrund tritt. Da nehmen sich die von Alice Oseman geschriebene Serie und die ebenfalls von Oseman kreierten Comics wenig. Zum Glück. Meistens.
Love, Love, Love
Wir setzen in der dritten Staffel dort an, wo wir in der zweiten aufhörten: Charles „Charlie“ Spring (tiefgründig sweet wie immer: Joe Locke) hadert mit sich, wie er seinem Freund Nick Nelson (ein wirklich guter Schauspieler: Kit Connor) nun endlich einmal seine Liebe gestehen soll/könnte/will. Charlie wäre nicht Charlie, wenn er nicht zig Optionen durchspielen würde, was dabei alles schiefgehen könnte…
…in der Tat geht dies auch einigermaßen schief, jedenfalls so halb. Denn als dieser es seinem geliebten Nick endlich mal mit T-Shirt im Wasser während eines Strandtages sagen will, teilt dieser Charlie wiederum mit, dass er denke, der Lockenschopf habe eine Essstörung. Tja… Danach geht mensch „Ich liebe dich“ eben noch weniger gut über die Lippen als ein Paar Pommes.
„It’ll distract me from my brain“
Natürlich kommt das „Ich liebe dich“ an anderer, sehr charmanter und dezent verrückter Stelle. All jene, die die Graphic Novels kennen, wissen wann und wie. Sie wissen auch, wie es mit Charlies mentalen Problemen weitergeht. Wie sich das auch im Konflikt mit seiner Familie, vor allem Mutter Jane (Georgina Rich), aber auch Schwester Tori (überzeugend: Jenny Walser) äußert.
Insofern soll zum Handlungsverlauf dieser dritten Heartstopper-Staffel nicht viel gesagt werden. Wer „nur“ die Serie kennt, darf sich überraschen lassen und wer Bücher und Comics gelesen hat: Diese Staffel bezieht sich vor allem auf den vierten Heartstopper-Band sowie auf das ebenfalls schön illustrierte Buch This Winter. (Die jeweiligen Rezensionen sind unter den Titeln verlinkt.) Ein paar Anteile aus dem fünften Band dürften sich hier ebenfalls finden (unser Text folgt).
„We’re real human beings“
Natürlich begegnen wir auch wieder und gar noch ausführlicher als in den vorhergehenden Staffeln Tao Xu (William Gao) und Elle Argent (Yasmin Finney) sowie Tara Jones (Corinna Brown) und Darcy Olsson (Kizzy Edgell), die als Paare und Individuen ihre ganz eigenen Probleme zu bewältigen haben. Dies unter anderem die Frage des passenden Zusammenseins, des Miteinanderschlafens, etc. Elle sieht sich zudem in der Mitte einer Woke-Backlash-Debatte und muss erst einmal festhalten: „Trans*people aren’t a debate.“
Ebenso stellt sich die Frage: Wie steht es um Colleges und Co. Dieser müssen sich auch Nick und Charlie stellen, irgendwie jedenfalls. Aber erneut: Es soll nicht weiter vorgegriffen werden (zumal eine vierte Staffel folgen wird, wie auch ein sechster Band). Klar dürfen auch der wunderbare, im besten Sinne altkluge, aromantische, (vermutlich auch asexuelle) Isaac Henderson (Tobie Donovan) und die quirlige Imogen Heaney (Rhea Norwood), die auch perfekt in Sex Education passen könnte, nicht fehlen.
Eine Freude ist es, dass Isaac hier etwas mehr Raum bekommt als zuvor und witzigerweise den gleichen „Konflikt“ mit Tao ausficht, den dieser zu Beginn der Serie mit Charlie austrug. Nämlich jenen, sich vernachlässigt zu fühlen, weil auf einmal ein Love Interest „im Weg“ ist. Nun steht Konflikt dort in Anführungsstrichen, denn Heartstopper wäre nicht Heartstopper, würden diese sich nicht vergleichsweise schnell durch ein wenig gutes Zureden des Freundeskreises und derlei lösen lassen.
Hey, Boomer, it’s me – Heartstopper
Dieses Nette, Verständnisvolle, ja das mag für uns Alltagsmenschen und -zyniker zuweilen ein wenig anstrengend bis aufgesetzt wirken. Alles läuft hier ständig harmonisch und einander zugewandt ab. Jedenfalls bezogen auf die oben genannten Personen. Dann wiederum möchte ich meinen, mag dies auf eine Gruppe von Menschen, die sich größtenteils ihr Leben lang kennen und dazu noch jede*r für sich durchaus eigen ist, passen. Beides kann zusammenschweißen, ein unsichtbares Band bilden.
Darüber hinaus sind die Probleme von außen wie auch jene aus dem Inneren des Körpers, Geistes und der Seele weniger leicht abgehandelt. Hier geht Oseman in der Serie genau wie in den Büchern sensibel aber doch konkret vor, so dass Heartstopper sowohl für Teens als auch Twens und Millennials und… Boomer… hmm… nee, die mögen das vielleicht weniger, funktioniert. Oma und Opa womöglich auch.
„You’re playing a very dangerous game“
Dabei meist egal, ob queer oder nicht, Hauptsache nicht braun-blau (und wer weiß, wie viele von denen das heimlich schauen). Wobei Heartstopper natürlich vor allem bei Millennials etwas auslösen dürfte. Wünschen wir uns doch, dass es so eine Reihe und Serie auch in unserer Jugend gegeben hätte (sicherlich vergleichbar mit Royal Blue etc. pp.) So formuliert Mr Ajayi-Darsteller Fisayo Akinade es im britischen Magazin Attitude bezogen darauf, wie ihm ein Programm wie Hearstopper geholfen hätte, sich früher zu outen: „It wouldn’t have been a scary thing. It would have been like ‘I’m this thing too,’ rather than ‘I’m this thing and I’m really sorry about it.’“
Dieser darf in Staffel drei seine semi-heimliche Liebelei mit Nima Taleghanis Mr Farouk fortsetzen. Kurz fortgesetzt wird auch der Bruder-Zwist zwischen Nick und David, wenn auch nicht in der Intensität wie in der Vorlage. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden ist, dass einer der Schlüsselmomente dieser Staffel nicht zwischen Nick und seiner Mutter sondern ihm und seiner Tante Diane (der wunderbaren Hayley Atwell) stattfindet.
Dies ist dem Schedule Olivia Colmans geschuldet, die Mutter Sarah verkörpert(e). Schade, aber nachvollziehbar. Allerdings kündigte sie ihre Bereitschaft an, zurückzukehren, so Zeit ist und grundsätzlich auch für ein Spin-Off, das sich mit ihr und dem etwas komplizierten Nelson-Familiengefüge beschäftigen könnte, zur Verfügung zu stehen.
„I know. It’s fun though“
Sonst ist dieser dritten, nun nicht mehr von Euros Lyn sondern Andy Newbery inszenierten Hearstopper-Staffel ein weiteres Wachstum gegenüber den vorhergehenden zu attestieren. Dadurch gewinnt die Serie zusätzlich an Charme. Im Gegensatz zu vielen anderen Coming-of-Age– beziehungsweise Jugendserien wiederholt sie nicht alte Probleme, um uns bei der Stange zu halten, sondern lässt den Erzählton mit den Figuren wachsen.
Die grafischen Elemente sind noch einmal reduziert worden (gut so!), die Musik von Adiescar Chase ist ruhiger und bedächtiger. Für weitere Stimmung sorgt natürlich der poppig-soft-rockige Soundtrack. Doch apropos wachsen und erwachsen: Das Verhalten der Eltern Charlies irritiert manches Mal (umso mehr begeistert Neuzugang Eddie Marsan als vertrauenswürdiger und kompetenter Therapeut Geoffrey). Soll Mutti doch froh sein, wenn der Sohn im trauten Heim mit dem Boy seines Herzens rummacht oder gar Sex hat… So die es treiben wollen, bekommen die das hin. Besser doch in einem Safe Space, als in irgendeiner Gasse im Dorf oder im Gym, wo sie jederzeit erwischt (und zusammengeschlagen) werden könnten.
All horned up
Immerhin haben wir schon festgestellt, dass Charlie Nicks Geruch mag und gern dessen Klamotten trägt. Da sind wir schon beinahe beim Pupplay und Adam Mars Jones‘ Box Hill (Rezension folgt) angelangt. Teenager sind nun mal horny, was diese dritte Season von Heartstopper mehr als deutlich macht. Wenn auch nicht auf die Skins-Art, das war aber ohnehin nie Ton und Attitüde der ganzen Nummer.
Nee, ganz und gar nicht. Heartsopper ist etwas ganz Eigenes, meist auch sehr Wunderbares, das mehr und mehr zu unterhalten vermag. Da wird mensch beinahe wehmütig, dass eine vierte Staffel wohl das Ende markierten dürfte. Dann wiederum hat Alice Oseman einen recht weiten und immerfort erweiterbaren Figuren- und Handlungskosmos geschaffen. Wie Marvel, nur weniger realistisch.
Nein, im Ernst: Heartstopper ist toll. Wer es kennt, weiß das wohl. Wer noch nicht: Geht zurück auf Los, schaut die erste Staffel und lest die Graphic Novels. Es passt, egal wie alt ihr seid.
AS
PS: Charlie liest Queer London: Von der Antike bis heute von Peter Ackroyd und Isaac The Ethical Slut von Dossie Easton und Janet W. Hardy sowie Genderqueer von Maia Kobabe. Passt.
PPS: „You had sex at school?“ Ja… wer denn bitte nicht?!
PPPS: Ja, demnächst befassen wir uns noch mit der Marvel–Disney+-Joe-Locke-Serie Agatha All Along.
Die dritte Staffel von Heartstopper ist seit dem 3. Oktober 2024 auf Netflix verfügbar.
Heartstopper – Staffel 3; Großbritannien 2024; Buch: Alice Oseman; Regie: Andy Newbery; Musik: Adiescar Chase; Darsteller*innen: Kit Connor, Joe Locke, William Gao, Yasmin Finney, Tobie Donovan, Jenny Walser, Fisayo Akinade, Corinna Brown, Kizzy Edgell, Rhea Norwood, Chetna Pandya, Stephen Fry, Nima Taleghani, Leila Khan, Georgina Rich, Joseph Balderrama, Bel Priestly, Momo Yeung, Annette Badland, Hayley Atwell, Eddie Marsan, u. v. a.; acht Folgen à ca. 30 Minuten; FSK: 6, auf Netflix
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