„Ziggy, der Verführer aus Glitter, Exzess und Gosse“

Huihui… wir werden doch alle älter. An manchen Tagen fühlt mensch das besonders. David Bowie, der am 8. Januar 1947 geboren wurde, wäre vorgestern 78 Jahre alt geworden. Wäre er – wenn er nicht am 10. Januar 2016 im Alter von 69 Jahren gestorben wäre. Heute ist also der neunte Todestag des musikalischen, optischen, künstlerischen Chamäleons David Robert Jones. Bedeutet: Im kommenden Jahr ist’s schon zehn Jahre her, dass der Rock’n‘-RollRoleplayer, der er eben auch war, in New York City gestorben ist.

„Ein Prophet aus Licht, Schminke und Sex“

So lange mag es manchen gar nicht vorkommen. Mir jedenfalls sicherlich nicht. Sei’s drum. Wir haben dieses 78. respektive 9. Jahr einmal genutzt, um mehr oder weniger zu den Anfängen des künstlerischen Schaffens von David Bowie zurückzukehren und dafür die ComicBiografie Starman. David Bowie’s Ziggy Stardust Years von Reinhard Kleist auserkoren. Diese ist als erster Teil einer Duologie bereits im November 2021 im Carlsen Verlag erschienen und behandelt vor allem die Zeit um die Entstehung des Albums „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders“, die zugehörige Tour sowie in Rückblenden in die Jugend Jones‘, wie dieser zu Bowie und schließlich zu Ziggy wurde.

S. 72 Starman // © Reinhard Kleist / Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

Vom herausstechend von Kleist illustrierten und kolorierten „Space Oddity“, über erste Schritte in London, die Aufnahmesessions für „Hunky Dory“ wie „The Rise and Fall of Ziggy Stardust an the Spiders“, Konzert- und Groupie-Momenten, Song-Elementen (dies alles bunt, knallig, mutig, sexy und stark an den Comic-Style der 70s angelehnt koloriert von Thomas Gilke), Kostümen von und bei Kansai Yamamoto in Japan, Drogen und Suff, Exzess, Selbstzweifel, Unsicherheit, …

Das Umkrempeln der Vorstellungen von Normalität und Normierung

…die Familie spielt eine Rolle, Schizophrenie wie allgemein psychische Gesundheit (Bowie dachte lange wirklich, er würde „verrückt“ werden, wie Kleist in einem Interview ausführt). Die erste Ehe mit Angie Barnett und ihr Einfluss auf Bowies Verpuppung zu Ziggy. Managementwechsel und der Aufstieg gemeinsam mit Tony Defries. Der erste Kontakt zu Lou Reed, eine Cringe-Begegnung mit Andy Warhol, vor allem aber Iggy Pop in New York – und einem Bowie, der sich wie ein aufgedrehter Fanboy verhält. Selbstredend auch die Bisexualität Bowies, die schon früh in einer der wunderbar sepiafarbenen Rückblenden thematisiert wird, wie auch dessen Fake-Coming-Out als schwuler Pfau. Dazu Autor und Zeichner Reinhard Kleist im Gespräch mit dem Carlsen Verlag:

Reinhard Kleist

Heiß macht die biografische Graphic Novel, der mit dem Griff nach den Sternen, dem Abholen der Zurückgelassenen und den „Five Days“ beginnt und bis zum Ende von Bowies Glam Rock-Ära, also circa 1974, reicht, absolut. Dabei hat Kleist mitnichten eine Hagiographie, ein großes „David-Bowie-War-So-Genial-Und-Perfekt“-Fest geschrieben und inszeniert. Er setzt sich durchaus kritisch nicht nur mit den erwähnten Selbstzweifeln Bowies, der Vereinnahmung von seiner Performance als Ziggy (es/er solle vor und hinter der Bühne gelebt werden, so Angie) sowie dessen (divenhaften) Exzessen und wenn nötig auch künstlerischer Kaltblütigkeit auseinander.

Der außerirdische Messias

Jene Zeit, in der Bowie stark mit diktatorischem Momentum und nazistischem Habitus kokettierte, sich gar mit Adolf Hitler vergleicht, wird thematisiert (wenn hier aus Gründen der Verdichtung auch eine chronologische Verschiebung stattfindet, das tut dem Anliegen allerdings keinen Abbruch), genauso wie der nicht immer seichte Umgang mit der eigenen Lust, dem eigenen Ego. Dies alles wird Bowie später auf Stress und Schlafmangel sowie diverse Drogen zurückführen.

S. 137 Starman // © Reinhard Kleist / Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

Etwas, das in seiner Zeit in den USA weiter eskaliert und sich erst in den Berlin-Jahren, die er häufiger als die beste Zeit seines Lebens bezeichnet hatte, legen wird. Dies wird Reinhard Kleist dann allerdings im zweiten Band erzählen, den wir in Kürze und nicht erst im Januar 2026 besprechen werden. Hoffentlich bleibt er genauso mutig und teils brüllend komisch, bewegend und lakonisch wie dieser Starman.

Burn Baby Burn

Starman. David Bowie’s Ziggy Stardust Years zieht euch jedenfalls sofort hart rein. Was irgendwie unvermittelt kommt, da wohl nicht jede*r mit einer derartigen Intensität rechnet. Zumal das Spiel von Zeit- und Momentsprüngen und den Geschichten zu den Songs von „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders“ sowie eben „Space Oddity“ ganz schnell hätte ein heilloses, unübersichtliches Durcheinander ergeben können. Tut es nicht, dabei hilft sicherlich auch die unterschiedlich gestaltete Farbästhetik. Wirklich ein gelungene Comic-Biografie. Ja, gar eine so ambitionierte wie fantastische – konsequent bis zum flammenden Schluss. (Der noch um eine achtseitige Galerie ergänzt wird, aus der mensch sich sicherlich gern einen Druck aufhängen würde.)

S. 29 Starman // © Reinhard Kleist / Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

It goes without saying, but: Zum Lesen werden natürlich die zwei genannten Alben wie, ebenso passend, „The Man Who Sold the World“, gehört.

JW

PS: „New York liegt uns zu Füßen.“ – „Jetzt muss New York nur noch zu uns aufblicken.“

PPS: „Es sind eben keine Rollen! Wir sind diese Persönlichkeiten.“ – „Aber eigentlich wollen wir nur Fame, wir sind geradezu besessen davon!“ Na schau mal an, ganz so wie bei Are You the One?, Sommerhaus der Stars, Kampf der Reality-Stars, im Dschungel drinne (ab 24. Januar 2025!), dem großen Promi-Büßen oder im Forsthaus Rampensau.

PPPS: „Wir katapultieren dich ganz nach oben, wirst schon sehen.“ – „Mit Koks?“ – „Nein! Besser! Mit Erfolg!“

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Reinhard Kleist (Text und Illustrationen): Starman. David Bowie’s Ziggy Stardust Years; November 2021; 176 Seiten, durchgehend farb. Illustriert (Thomas Gilke und Reinhard Kleist); Hardcover, gebunden; Format: 20,1 x 26,6 cm; ISBN: 978-3-551-79362-1; Carlsen Verlag; 25,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert