Zu heiß gekocht

Auch wenn es heute, an einem der wohl heißesten Tage des Jahres kaum zu glauben sein dürfte: Der Winter naht. Die Lebkuchen finden gerade ihren Weg in die Regale und in vier Monaten sitzen wir schon alle unter den Weihnachtsbäumen. Weiße Weihnacht wiederum wünschen sich viele, aber dafür braucht es eben eine gewisse niedrige Temperatur (und Niederschlag).

Die aktuell hohen Temperaturen laden jedenfalls dazu ein, sich eingehender mit Hitze zu beschäftigen. Ob wir es wollen oder nicht, der Klimawandel ist real, der September vielleicht noch heiß und die Zahl der „Jahrhundertsommer“ ist bereits nach weniger als einem Viertel des Jahrhunderts erstaunlich hoch.

Von Kälte- und Hitzetoten

Im Winter sind es die Kältetoten und vornehmlich Obdachlose, über die wir sprechen, aber die Zahl der Hitzetoten in den heißen Sommern nimmt kontinuierlich zu. Hitze beeinträchtigt unseren Körper massiv und für uns wird es Zeit, dass wir das Problem gesamtgesellschaftlich erkennen und angehen. Ein erster Ansatzpunkt hierfür könnte Hanns-Christian Gungas Buch Tödliche Hitze – Was extreme Temperaturen im Körper bewirken und wie wir uns schützen können sein, das im Frühsommer 2023 bei Quadriga erschienen ist.

Auf etwas mehr als 160 Textseiten zuzüglich überaus umfangreicher wissenschaftlicher Quellen erläutert Gunga knapp und dennoch umfangreich, wie Hitze auf unseren Körper wirkt und versucht vor allem Aufmerksamkeit zu schaffen. Er erklärt zuerst die biologischen und biochemischen Reaktionen, die Hitze in unserem Körper auslöst und widmet sich danach der Frage, wie Hitze sich auf unsere Gesundheit auswirkt.

Er geht anschließend auf einige besondere Aspekte ein, beispielsweise wie Hitze in der Stadt uns besonders belastet, unter welchem Stress die Erde unter Hitze steht und wie Hitze auch und vor allem im kosmischen Kontext – also in Bezug auf die Weltraumforschung – wirkt und welche Rolle sie dabei spielt. Ein wirkliches Fazit gibt es nicht, nur etwa zwei Seiten am Ende des letzten Kapitels, auf denen er erläutert, was seine Motivation war, dieses Buch zu verfassen und zu veröffentlichen.

In astronomischen Höhen

Gungas Einlassungen sind dabei an vielen Stellen überaus komplex und dennoch lehrreich. Gleich von Beginn an wird den Leserinnen und Lesern an dieser Stelle sehr viel abverlangt und vor allem die biologischen und medizinischen Erläuterungen gehen oft über das hinaus, was wir im Alltag vielfach wissen und gebrauchen. Es ist zwar sehr eindrücklich, wenn er uns den aktuellen Forschungsstand oder auch Forschungslücken zur Problematik aufzeigt, aber vielen Nicht-Forschenden dürfte das mit großer Wahrscheinlichkeit fast zu komplex sein.

Das gilt für die den Körper und die individuelle Gesundheit unmittelbar betreffenden Kapitel und Inhalte, aber vor allem auch manch speziellere. Ja, es ist interessant und lehrreich, etwas über die Temperaturen und Umweltbedingungen auf anderen Planeten zu erfahren, denn sollten wir beabsichtigen, andere Planeten zu besiedeln, ist es gut zu wissen, welche Bedingungen hierfür herrschen müssen und welche Planeten oder Monde sich vielleicht grundsätzlich dafür eignen.

Fokus und Randaspekte

Aber gleichzeitig geht das vermutlich an den Bedürfnissen und Interessen vieler Menschen vorbei. Wo es darum geht, Aufmerksamkeit zu schaffen und sich zu schützen (und zwar jenseits von allgemein bekannten Empfehlungen wie „Suchen Sie Schatten und trinken Sie ausreichend“), hätten vielleicht andere Tipps einen besseren Dienst getan. Im Kapitel zu Städten geht es tatsächlich nur wenig um die Erläuterung, warum sich Städte aufheizen und was dagegen getan werden kann (Stichwort: Schwammstadt) – das wird fast als Vorwissen vorausgesetzt. Nein, hier hält sich Gunga viel mit der zwar nicht unwichtigen, aber dennoch sehr partikularen Frage auf, wie Krankenhäuser (und als Beispiel die Charité in Berlin) kühler und klimaeffizienter gestaltet werden können.

Und auch im Kapitel „Erde und Hitze“ würden wir erwarten, dass wir beispielsweise Informationen über das Schmelzen der Polkappen, den Anstieg des Meeresspiegels oder die Auswirkungen von Hitze auf Meeresströmungen zu bekommen – klassische Klimaaspekte also. All das findet aber, wenn überhaupt, nur sehr am Rande statt. Vieles ist bereits in der allgemeinen Debatte bekannt, das ist klar, aber gerade eine solche Zusammenstellung würde mensch an dieser Stelle erwarten.

Ein Fachbuch?

Stattdessen – und das zieht sich durch die Lektüre des ganzen Buchs – scheint es, dass Tödliche Hitze vor allem für eine enge Fachöffentlichkeit geschrieben wurde und die Forschungsstände in den Bereichen, die Hanns-Christian Gunga interessieren und seine eigene wissenschaftliche Arbeit berühren, aufarbeiten soll. Das ist für diese kleine Fachöffentlichkeit vermutlich spannend und wertvoll, für eine breitere Öffentlichkeit bietet es jedoch nur bedingt Informationen.

Wie bereits angedeutet, der gesunde Menschenverstand oder allgemein Bekanntes („Schatten und viel trinken“) sind vielfach zweckdienlich. Wenn Aufmerksamkeit und Aufklärung der Folgen von zu großer Hitze auf unseren Körper, unseren Planeten und unser Leben geschaffen werden soll, dann müsste sie wohl etwas greifbarer für eine große Öffentlichkeit präsentiert werden. So lehrreich Hanns-Christian Gungas Ausführungen in Tödliche Hitze auch sind, das Niveau, auf dem er die Informationen hier präsentiert, ist vielfach vermutlich zu hoch, als dass er damit eine breite Öffentlichkeit über die Gefahren und Schutzmöglichkeiten aufklären wird.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Hanns-Christian Gunga: Tödliche Hitze – Was extreme Temperaturen im Körper bewirken und wie wir uns schützen können; Juni 2023; 192 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-86995-137-9: Quadriga Verlag; 18,00 €

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