Blicken wir einmal fünf Jahre zurück: Kurz vor der Pandemie war die Klimakatastrophe in aller Munde. Die letzte Regierung unter Angela Merkel, deren lange erwartete Biografie in zwei Wochen erscheint, hat ein Klimaschutzgesetz erlassen, das die Ampel nun bereits verwässert hat. Fridays for Future hatte mit Druck auf den Straßen dafür gesorgt, denn die Pariser Klimaziele drohten unerreichbar zu werden (und scheinbar plant der designierte US-Präsident Donald Trump erneut gänzlich aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen).
Kommende Woche startet nun der nächste Klimagipfel, dieses Mal in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku – dies ohne Olaf Scholz, der dort nicht hinreisen wird. Die Klimaproblematik hat jedoch lange nicht mehr die Hitze, die sie noch vor fünf Jahren hatte – junge Menschen haben sich vielfach der AfD zugewandt. Da ist es gut, dass der NDR in einem seiner letzten Fälle mit Klaus Borowski (Axel Milberg) einen Tatort zeigt, der im Milieu der Klimaaktivist*innen spielt.
Frauenleichen am Strand
Die 19-jährige Clara Weidenfeld wird leblos am Strand aufgefunden, doch ihr Freund Benno Sitter (Jonathan Berlin, der sich auch privat immer wieder für die Klimabewegung einsetzt), das wird schnell klar, ist nicht der Täter. Stattdessen gibt es schnell zwei weitere junge Frauenleichen am Strand.
Und irgendwie fällt im Laufe von Borowski und das ewige Meer immer wieder der Name Zenaida (Milena Tscharntke). Wer ist die Frau, die alle zu kennen scheinen, aber über die niemand etwas Genaueres sagen kann? Aufschluss erhoffen sich Borowski und seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) vor allem von der Programmiererin Sofia Hoffmann (Pauline Fusban), die bei ihrer Großmutter Antonella (Tatja Seibt, Polizeiruf 110: Hildes Erbe) lebt, aber der örtlichen Klimabewegung dennoch zugetan ist.
Intelligenter Suizid?
Von einem vermeintlichen Beziehungsdrama entwickelt sich dieser Fall für Borowski und Sahin – die nach dem Ausstieg des Traditionsermittlers gemeinsam mit Karoline Schuch künftig das Kieler Team bilden wird – bald in eine ganz andere Richtung. Die zunehmenden Todesfälle, die fast wie kollektiver, sukzessiver Suizid junger Menschen aussehen, lassen nicht nur Borowski an der Intelligenz und dem Überlebenswillen menschlicher Wesen zweifeln.
Das macht den Fall von Regisseurin Katharina Bischof und dem Autor*innen-Duo Katharina Adler und Rudi Gaul so spannend. Die Musik von Jessica de Rooij und Hendrik Nölle sowie die vielen Szenen mit aufziehenden Wolken in allen Grautönen oder sogar fast in dem Pechschwarz von Erdöl unterstreichen die Düsternis in diesem Fall.
Was ist real(istisch)?
Es gäbe nun noch eine andere Thematik, über die an dieser Stelle geschrieben werden könnte. Allerdings ist sie so essenziell für diesen Fall, dass wir an dieser Stelle darauf verzichten wollen, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Dennoch hat auch bei uns in der Redaktion eine kurze Diskussion eingesetzt, ob die Entwicklung des Falls denn auf die erzählte Weise realistisch sei.
Der Verfasser dieser Zeilen meint: ja, ist sie. Es ist eine Thematik, die beispielsweise bereits in einem Fall aus Stuttgart aufgegriffen wurde und auch in anderen Filmen und Serien. Und um einmal eine Metapher zu bemühen, die viele verstehen dürften: Genau wie sich bei manchen Körperteilen die Frage stellt, ob es tatsächlich auf die Größe ankommt oder doch vielmehr darum, was mensch mit ihnen anstellt und wie sie genutzt werden, verhält es sich auch hier. Zumindest mir scheint diese Entwicklung einigermaßen logisch nachvollziehbar, auch wenn der alte weiße Mann Borowski am Ende natürlich doch seine Weisheit nutzt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Der Sterblichkeit bewusst
So bleibt am Ende festzuhalten: Der Tatort: Borowski und das ewige Meer behandelt nicht die ewige Liebe oder gar das ewige Leben, ganz im Gegenteil. Wir werden uns unserer Sterblichkeit erneut bewusst und auch der Sterblichkeit unserer Erde. Dass die Macherinnen und Macher hier zwei zentrale Zukunftsthemen miteinander verknüpfen, hätte mehr als schiefgehen können.
Ist es aber nicht. Regie und Drehbuch, die Montage und auch die darstellerischen Leistungen überzeugen bei diesem sich anfangs eher langsam entwickelnden Fall. Hier gibt es gute Unterhaltung für den Sonntagabend und der Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ist erneut erfüllt.
HMS
Das Erste zeigt den Tatort: Borowski und das ewige Meer am Sonntag, 10. November 2024, um 20:15 Uhr; auf one ist der Film um 21:45 Uhr zu sehen. Anschließend ist der Tatort für zwölf Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Borowski und das ewige Meer; Deutschland 2024; Drehbuch: Katharina Adler, Rudi Gaul; Regie: Katharina Bischof; Bildgestaltung: Robert von Münchhofen; Musik Jessica de Rooij, Hendrik Nölle; Darsteller*innen: Axel Milberg, Almila Bagriacik, Thomas Kügel, Milena Tscharntke, Johanna Götting, Pauline Fusban, Jonathan Berlin, Tatja Seibt, Thea Ehre; Eine Produktion der Nordfilm GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste
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