„Tatort: Unten“ ist erzählerisch ganz oben

Beitragsbild: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) sprechen mit Hedi (Gerda Drabek. // © ARD Degeto/ORF/Superfilm/Philipp Brozsek

Erst kürzlich haben wir in der Mediathek den Kölner Tatort Platt gemacht (2009) gesehen, der den famos-vielseitigen Udo Kier im Zentrum der Ermittlungen im Obdachlosenmilieu sah. Wie bei den Ballauf & Schenk-Tatorten nicht selten, wurde die Ermittlungsarbeit mit einigermaßen wohlfeiler Sozialkritik und einem nahezu märchenhaften Ausgang versehen. Der neue Wiener Tatort Unten, mit dem sich ebenfalls sehr freundschaftlich verbundenen Ermittler-Duo Bibi Fellner und Moritz Eisner bewegt sich ebenfalls im Obdachlosenmilieu und spart auch nicht mit Sozialkritik, ohne dabei jedoch in Kitsch und Hannelore-Kraft-Sprech abzudriften und darüber hinaus die Spannung zu vergessen.

Der typische Mord im Obdachlosenmilieu?!

Ausgangspunkt ist der Fund der Leiche eines Obdachlosen, namentlich Gregor Aigner (Jonathan Fetka). Zunächst sieht es für Bibi (Adele Neuhauer), Moritz (Haral Krassnitzer) und ihren Assistenten Manfred Schimpf (Thomas Stipsits) nach einem typischen Fall in „diesem Milieu“ aus: Ein Streit um Alkohol, Drogen und Geld ist eskaliert und schlussendlich gab es einen Toten. Zumal das Pärchen, das den Toten gefunden hat, Tina (Maya Unger) und Indy (Michael Steinocher), einen mehr als verdächtigen Eindruck machen, insbesondere als sie vom Tatort verschwinden. Als Bibi und Moritz von der Witwe des Opfers erfahren, dass dieser seine Lebensversicherung auf Tina übertragen hatte, scheint der Fall recht klar.

Hat Jonathan „Indy“ Lechner (Michael Steinocher, Mitte) aus Eifersucht oder Habgier gemordet? Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) verhören den Verdächtigen. // © ARD Degeto/ORF/Superfilm/Philipp Brozsek

Bei ihrer Suche stoßen die beiden auf das Wohnheim „Lebensraum“, in dem Gregor eine Meldeadresse hatte und auch die beiden Hauptverdächtigen häufiger unterkamen. Hier begegnen sie dem besorgten Heimleiter Franz Zanger (Michael Pink), der gerade erst die junge Mutter Johanna Wallner (Sabrina Reiter) und ihren Sohn Tobi (Finn Reiter) aufgenommen hat. Der Heimleiter verweist die beiden an die ärztliche Leiterin des Heims, Dr. Steiner-Reeves (Jutta Fastian), die ebenfalls eine Drogengeschichte hinter dem Mord vermutet. Doch nicht alles passt zusammen, zumal Bibi den Toten noch aus früheren Zeiten kannte und er sich noch immer als Investigativjournalist sah. Mehr und mehr scheint der Fall größere Ausmaße anzunehmen, doch Beweise gibt es erstmal keine…

Immer dichter werdendes Spannungsnetz

Puh… Das ist die recht komplexe und schon sehr geraffte Ausgangslage. Allein dort wären noch zwei, drei Nebensituationen anzubringen, doch das Konzept des Falls lässt sich auch so erfassen. Tatort: Unten schafft es recht gekonnt, all diese Punkte zu balancieren und von den Ermittlungen im Umfeld des Obdachlosen auf seine Vergangenheit einzugehen, einen Schwenk ins Investigativ- und manchmal auch Verschwörer-Milieu zu machen, Kritik am österreichischen Sozialsystem zu üben, die oberen und unteren Zehntausend zu zeigen, ohne sie gegeneinander auszuspielen, dabei eine die Spannung immer weiter steigernde Geschichte zu erzählen und auch auf manch einen sehr düsteren und inhumanen Einschlag nicht zu verzichten. Dabei gibt es immer wieder den Fellner & Eisner-Tatorten eigenen Humor, der niemals in Verbalslapstick abgleitet und doch bei allem Drama ein wenig heiteres Licht in jeden Fall bringt. Insbesondere natürlich im Austausch mit ihrem Vorgesetzten Ernst Rauter (Hubert Kramar).

Was weiß Dr. Steiner-Reeves (Jutta Fastian)? Auch über den fast leeren Aktenschrank? Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) sprechen mit ihr. // © ARD Degeto/ORF/Superfilm/Philipp Brozsek

Unten ist mal einer dieser eher seltenen Tatorte, in dem Nebenhandlungsstränge nicht nur zum Füllen der Zeit oder zur Ablenkung der Zuschauer*innen dienen, sondern tatsächlich Teil eines eng verwobenen Handlungsnetzes sind. So dürfte es bei aller Ernsthaftigkeit der Geschichte und vieler sehr düsterer und abgründiger Momente durchaus Freude machen, zu überlegen, wie hier etwas zusammenpasst. Auch wenn sich durch das ausführliche Auslegen dieses Netzes am Anfang einige Längen ergeben, lohnt es sich dran zu bleiben, alles wird schließlich fein zusammengeführt und dürfte die Zuschauer*innen zufrieden in den späten Abend entlassen.

Überhaupt ist das Ende hochspannend und mit sicherer Hand inszeniert, da ist es beinahe schade, dass es nicht mit einer noch größeren Geste endet, was aber das Gefühl einer runden Geschichte nicht schmälert. Tatort: Unten lohnt sich also allemal und funktioniert auch als alleinstehender Thriller sehr gut.

Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) sprechen mit der Obdachlosen Sackerl-Grete (Inge Maux). // © ARD Degeto/ORF/Superfilm/Philipp Brozsek

Tatort: Unten läuft heute um 20:15 Uhr im Ersten und ist anschließend für 30 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Unten; Österreich 2020; Regie: Daniel Prochaska; Drehbuch: Thomas Christian Eichtinger und Samuel R. Schultschik; Kamera: André Mayerhofer; Musik: Karwan Marouf; Darsteller*innen: Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer, Maya Unger, Michael Steinocher, Jutta Fastian, Hubert Kramar, Thomas Stipsits, Inge Maux, Michael Pink, Günter Franzmeier, Klaus Huhle; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion des ORF, hergestellt von Superfilm; Lizenzerwerb der ARD Degeto für die ARD. 

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