„Nach der Arbeit“

Die Debatte darum, was Arbeit wert ist, ist lang, alt und wurde bereits vielfach durchgekaut. Die SPD und allgemein linke Parteien haben sie vermeintlich in das Zentrum ihres politischen Handelns gerückt – dabei heraus kommt meist die nächste soziale Wohltat, die nur selten seriös gegenfinanziert ist. Und an dem Kampf von „Arbeit“ gegen „Kapital“ haben sich ein paar Revolutionen und ein ganzer Kalter Krieg entzündet.

Dabei ist Arbeit im Idealfall deutlich mehr als nur Broterwerb. Sie strukturiert uns den Alltag, gibt vielen Menschen einen Sinn. Wie gesagt, im Idealfall. Den Wert der Arbeit für unser Leben gilt es jedoch immer wieder zu hinterfragen und das geschieht im Buch Wovon wir leben der österreichischen Autorin Birgit Birnbacher, das dieser Tage im Zsolnay Verlag erschienen ist.

Arbeit oder Freiheit?

Hauptakteurin in diesem Buch ist Julia, Ende 30, und gerade mehrfach arbeitslos geworden. Einerseits hat sie ihren Job als Krankenschwester verloren, nachdem sie eine Patientin aufgrund eines Fehlers in der Pflege unbeabsichtigt und unerwartet in Gefahr gebracht hat. Andererseits ist kürzlich aber auch ihre Lunge kollabiert, weshalb sie unter starker Kurzatmigkeit leidet und diese Krankheit erst einmal auskurieren muss.

Dafür geht sie von der Stadt, in der sie ihre Arbeit hatte, zurück in das Bergdorf, in dem ihre Familie lebt. Dort angekommen muss sie jedoch feststellen, dass ihre Mutter vor einiger Zeit das Weite gesucht und bei einer italienischen Privatbahn angeheuert hat. Wollte sie früher als Flugbegleiterin die Welt sehen, will sie nun offenbar zumindest zwischen Sterzing, Sorrent und Sizilien das Land in Stiefelform kennen (und, wie wir später erfahren: dort auch lieben) lernen.

Wieder daheim?

Der Vater wiederum ist davon alles andere als begeistert, hat er doch nun niemanden mehr, der – oder vielmehr die – ihm das Essen kocht, die Wäsche wäscht, sich um den Haushalt kümmert und so weiter. Das Idealbild des störrischen alten, weißen Mannes also, der nicht im Ansatz kritikfähig, dafür aber umso missmutiger ist. Dass sich Julia zwischenzeitlich auch um den nach einer Fehldiagnose behinderten Bruder kümmern muss, als dieser sein Pflegeheim kurzfristig verlassen muss, dürfte keiner weiteren Erwähnung bedürfen.

Zur selben Zeit wie Julia kommt aber auch ein „Städter“ namens Oskar in das Dorf. Dieser scheint vor einer unangenehmen Realität zu fliehen und hat erst kürzlich ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein Jahr gewonnen. Nach anfänglichem Zögern lässt Julia sich auf ihn ein und als er Wurzeln zu schlagen beginnt, unterstützt sie ihn (wenn auch zuerst etwas widerspenstig), um schließlich noch einmal den Sprung zu wagen und zurück in die Stadt zu gehen und eine neue – vermeintlich erfüllendere – Tätigkeit zu erlernen.

Meine Heimat – nicht mehr das, was sie mal war

Das Dorf, in dem mensch in der Jugend aufgewachsen ist, dient für viele als Refugium, eine Zuflucht, in der eine Erholung vom stressigen Alltag möglich ist. Viele Menschen kehren an den Ort ihrer Jugend zurück, um irgendetwas aus ihrem Leben loszuwerden oder „zu sich zu finden“. So ergeht es auch Julia, die sich ein wenig Ruhe im elterlichen Zuhause wünscht. Von der Mutter umsorgt, vom Vater vielleicht etwas genervt, aber dennoch gerne in der Nähe der Verwandtschaft.

Das klappt in ihrem Fall nicht so gut, wie sie sich das erwünscht hatte. Das hängt auch damit zusammen, wie sich ihre Heimat entwickelt hat. Wir erfahren beispielsweise gleich zu Beginn, dass es früher drei große Arbeitgeber in der Gegend gab, sich aber auch hier die Welt weiterdrehte. Damit haben sich auch manche Strukturen überlebt, sei es der weggebrochene Alltag in der Fabrik oder das Feierabendbier im örtlichen Wirtshaus.

Ziege oder Ziegel

Das Wirtshaus scheint ohnehin der Kulminationspunkt dieses Lebens zu sein. Zum Feierabend der Treffpunkt des örtlichen Lebens. Aber was ist, wenn es nichts mehr zu feiern und nur noch viel Abend gibt? Bei Birnbacher artet dieser gerne in langen, übermütigen und bierseligen Kartenspielen aus, bei denen schon einmal Ziege oder Ziegel (in Hausform) den Besitzer wechseln – nicht immer ganz konfliktfrei.

Manchmal hält das Leben eben unerwartete Wendungen parat. Ob es die Sehnsucht nach der Ferne oder der Heimat ist, eine Krankheit, ein Schock oder auch ein langes Augenverschließen, es gibt diese Momente im Leben, in denen wir fragen, Wofür wir leben – nicht zufällig dürfte Birgit Birnbacher einen ähnlich klingenden Titel für ihr Buch gewählt haben.

Pflege im Zentrum

Gerade die Arbeit – um wieder auf den Ausgangsgedanken zurückzukommen – ist für viele Menschen der Ort, der einem Leben Sinn stiften soll. Manchmal klappt das, manchmal aber ist Arbeit das, „was eben getan werden muss“. Und dazu gehört es auch, das Holz zu schlagen – nicht ungefährlich –, sich um die Tiere zu kümmern oder der Haushalt inklusive Pflegearbeit.

Gerade letzteres ist in vieler Menschen Augen eine „typische Frauenaufgabe“. Und so wird auch von Julia erwartet, dass sie sich um Haushalt, Vater, Bruder und Ziege kümmert (wobei es mit der letztgenannten Elise noch am herzlichsten ist) – als Krankenschwester ist das ja umso selbstverständlicher, oder? Gerade mit dem umfangreichen – und meist wenig honorierten – Bereich der Pflegearbeit werden wir bei Birnbacher häufig konfrontiert und beginnen uns an mancher Stelle zu fragen, wie selbstverständlich diese eigentlich ist und sein sollte.

Wie ein ruhiger Gebirgsbach

So lässt sich also festhalten, dass wir uns in Wovon wir leben gleich mit mehreren komplexen Gedanken auseinandersetzen. Es geht um das Leben im und die Rückkehr aufs Dorf, den Wandel der sozialen Strukturen im Großen wie im Kleinen. Es geht um die Arbeit, den Stellenwert, den diese in unserem Leben einnimmt und was es mit uns macht, wenn unsere eigentliche Tätigkeit aus welchen Gründen auch immer nicht mehr in unserem Alltag stattfindet.

All das bettet Birgit Birnbacher in die Geschichte von Julia ein, die nach Sinn suchend ihr Leben lebt und sich fast wehrlos dem ergibt, womit sie sich konfrontiert sieht. Ein wenig scheinen ihr die Ambition und der Antrieb zu fehlen, aber wenn sie auf der Suche ist und kein definiertes Ziel vor Augen hat, ist das nachvollziehbar. Ihre Geschichte, diese Geschichte, plätschert dahin wie ein ruhiger Gebirgsbach, mal gerade und schwungvoll fließend, mal aufgestaut und mal mit kleinen oder größeren Hindernissen und Stromschnellen.

HMS

Die Buchpräsentation von Wovon wir leben findet am morgigen Donnerstag, 2. März 2023, in der Alten Schmiede Wien um 19:00 Uhr statt. Über das Jahr gibt es diverse Lesungen, so u. a. auf der Leipziger Buchmesse Ende April.

Birgit Birnbacher: Wovon wir leben; Februar 2023; 192 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN 978-3-552-07335-7; Zsolnay Verlag; 24,00 €

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