Die Frau und der (Draht)Esel

Deutschland hat erstmals eine Außenministerin und im Krieg Russlands gegen die Ukraine schlägt sich Annalena Baerbock nicht nur nach unserer Einschätzung sehr gut. Nur wenige, nicht nur ihre Kritikerinnen und Kritiker, hatten das von ihr erwartet, nach größtenteils verhunztem Wahlkampf als relativ junge Frau sprach für viele ohnehin kaum etwas für sie. Und das obwohl ihr Amtsvorgänger wohl einer der größten Totalausfälle war – Afghanistan lässt grüßen.

Verkehrsministerin? Ham’wa nüsch!

Mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium haben sich Frauen nun zwei der letzten Bastionen der lange Zeit von breitbeinigen Männern dominierten deutschen Politik erkämpft. Nur zwei weitere Regierungsämter hatte noch nie eine Frau inne: Chefin des Bundeskanzleramts sowie Verkehrsministerin. Scheinbar traute noch keine der seit 1949 regierenden Parteien einer Frau zu, Straßen oder Radwege zu bauen.

Letzteres ist zwar nicht das unmittelbare Anliegen der Britin Hannah Ross, aber es hängt doch damit zusammen. In ihrem Buch Revolutions – Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten setzt sie sich mit dem anfangs etwas kurios wirkenden Zusammenhang von Frauen, ihren Rechten und dem Fahrrad auseinander. Allerdings ist das alles andere als kurios, sondern vielmehr äußerst spannend und aufschlussreich. Zum heutigen Internationalen Frauentag – seit drei Jahren ein gesetzlicher Feiertag im Land Berlin – erscheint das Buch in der Übersetzung von Daniel Beskos im mairisch Verlag.

Frau und Fahrrad – eine Geschichte

In zwölf Kapiteln zuzüglich Prolog und kurzem Zielspurt gibt uns Ross einen gar nicht so kleinen Einblick in die Geschichte und aktuelle Lage des Verhältnisses zwischen Frau und Fahrrad, sehr oft mit einem Seitenblick und/oder humorvollen Seitenhieb auf die intervenierenden Herren der Schöpfung. In den ersten drei Kapiteln geht es um die titelgebende Revolution, nämlich wie das Fahrrad allgemein die Welt eroberte und wie es erst einmal nicht wirklich zur Frau kam.

Aber es geht auch darum, wie sich selbstbewusste Frauen dann einfach des Fahrrades annahmen, jahrzehntelange Verleumdung, Sexismus und Promiskuitätsvermutungen inklusive. Zeitlich bewegen wir uns aber weiterhin in der Zeit der langen, schweren und für das Fahrradfahren absolut ungeeigneten, gesellschaftlich aber dennoch erwarteten Röcke – Bridgerton und Sisi lassen grüßen – aber nicht mehr ganz so braven und hörigen Frauen – Bridgerton und Sisi lassen erneut grüßen, (selbst wenn wir uns leider an keine Fahrradszenen in der Serie erinnern; Sisi reitet immerhin die Hälfte der etwas gezogenen Zeit).

Aufbegehren

Hannah Ross // Foto: © Michael Tant

Dass das Fahrrad die bereits genannte Revolution aber befeuerte, wird im zweiten Teil deutlich. Ross berichtet nicht nur von Frauen, die sich ihr Recht aufs Fahrrad erkämpften, sondern auch von Frauen, sie sich ihre Rechte auf dem Fahrrad erkämpften. Und sie berichtet von Frauen, die auf dem Fahrrad für das Recht kämpften.

Suffragetten nutzten es im Kampf um Frauenrechte, im Zweiten Weltkrieg gab es Frauen – darunter sehr bekannte wie Simone de Beauvoir –, die das Fahrrad nicht nur zur Entspannung, sondern eben auch für den Kampf gegen die Besatzer nutzten. Überaus inspirierend sind auch die Passagen über Fahrrad fahrende Frauen in Afghanistan und Saudi-Arabien, denn dort sind die Verhältnisse noch heute bekanntermaßen sehr schwierig (und werden am Hindukusch gerade täglich noch schwieriger).

In Flammen

Das ist sehr eindrücklich, bekommen wir doch ein Bild, wie die größere Mobilität den Aktions- und somit Wirkradius der Frauen im Kampf um ihre Rechte deutlich erweiterte. Und dennoch müssen wir an dieser Stelle die wohl einzige wirklich inhaltliche Kritik an Revolutions üben: Ja, der Kampf für Frauenrechte war hart, lang und schwierig und ja, vor mehr als hundert Jahren waren die gesellschaftlichen Verhältnisse noch deutlich anders als heute.

Brandanschläge der Suffragetten – diese wurden unter anderem durch das Fahrrad erleichtert – mögen damals als Akt der Gewalt vielleicht das nötige Mittel gewesen sein, um die völlig berechtigen Ziele und mehr, gleiche, Rechte für Frauen zu erreichen. Aus heutiger Perspektive wäre eine kritische Einordnung oder noch besser eine Distanzierung von diesem Vorgehen, die leicht in einem Halb- oder Nebensatz möglich ist, auf jeden Fall wünschenswert und erforderlich gewesen. Gewalt ist Gewalt und wenn sie gegen Minderheiten angewandt wird, ist sie grausam. Wenn sie zur Befreiung eingesetzt wird, mag sie legitim sein, aber zwischen gezielter Entfesselung und PR-Aktionen liegt eben nicht nur heute ein großer Unterschied (wir freuen uns übrigens schon auf den 1. Mai).

Erholung und Erschöpfung

Teil drei von Revolutions befasst sich aus vollkommen anderer Perspektive mit dem Fahrradfahren, nämlich als Freizeit- und Erholungsaktivität. Hannah Ross geht darauf ein, wie sich Fahrradclubs und -urlaube durchgesetzt haben, wie Frauen sich auch hier erst einmal durchkämpfen mussten, um sich Gehör zu verschaffen und welch weite Strecken passionierte Fahrerinnen in Angriff nahmen. Quer durch Großbritannien – was übrigens eine andere Powerfrau, Christine Thürmer, auch zu Fuß bewanderte – oder rund um die Welt, es gab und gibt bemerkenswerte Frauen, die sich Ziele gesetzt und meist erreicht haben, obwohl die Sterne nicht immer gutstanden.

Denn, so der letzte Teil, wenn Ziele zu einem zumindest vorübergehenden Lebensinhalt werden, dann befinden wir uns im sportlichen Wettstreit. Im aktiven Fahrradleistungssport gibt es bis heute Diskriminierung von Frauen, so wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch. Hannah Ross erzählt auf den letzten knapp 100 Seiten von inspirierenden Frauen, die sich professionell dem Fahrradfahren gewidmet haben. Dabei kommen interessante und anregende Geschichten heraus, aber gleichzeitig weist sie auf viele noch heute oder zumindest bis vor wenigen Jahren bestehende Diskriminierungen hin, auch in Bezug auf Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung.

Ob es die Nicht- oder nur schwer mögliche Zulassung zu Profiradrennen ist, deutlich geringere Preisgelder und Medienpräsenz (was sich wohl gegenseitig bedingt), schlechtere Sponsorenverträge oder kaum beziehungsweise schlechte Konditionen für einen Mutterschutz, der Leistungssport ist alles andere als gleichberechtigt. Die amerikanische Fußballspielerin Megan Rapinoe, auf die auch Ross verweist, ist ein glückliches Beispiel für eine Frau, die sich in ihrem Sport einen Namen gemacht hat und sehr öffentlichkeitswirksam dafür kämpft, dass so viele andere Frauen auch zu ihrem Recht kommen. Allein dass Ross auf diese heutigen Missstände aufmerksam macht, ist es schon wert, ihr Buch Revolutions zu lesen.

Who is who?

Was bleibt sonst von diesem sehr vielseitigen und überraschenden Buch festzuhalten? Der Fokus und viele der inspirierenden Geschichten, die Ross erzählt, drehen sich wohl auch aus sprachlicher und kultureller Nähe um Frauen aus Großbritannien und den USA, einige auch um Französinnen, Italienerinnen oder Deutsche, wenn sie etwas Besonderes geleistet haben. Es gäbe auf jeden Fall noch viel mehr spannende Geschichten zu erzählen – 2004 beispielsweise gab es die Geschichte der lesbischen deutschen Radrennfahrerin Judith Arndt, deren Partnerin Petra Rossner damals nicht in das Olympiateam aufgenommen worden war. Arndt gewann Olympisches Silber im Straßenrennen, aber die wohl homophob motivierte Angelegenheit um Rossner machte durch Arndts alles andere als ladyhafte Zieleinfahrt große Schlagzeilen.

Vermutlich gäbe es solcher Geschichten noch zuhauf und es ist klar, dass Ross sie nicht alle in ihre doch schon sehr umfängliche Zusammenstellung aufnehmen konnte – so umfänglich übrigens, dass ein Personenregister oder auch ein Verzeichnis der wichtigsten Werke einiger der von ihr genannten Autorinnen von Fahrradbüchern dem ansonsten sehr schön aufgemachten Buch gut getan hätte, denn manche der Akteurinnen tauchen häufiger auf. Wer hier nicht ausführliche Notizen bereits während der Lektüre macht, kann sich unter Umständen ein klein wenig kompasslos fühlen.

Frauen und manche Esel – eine Kulturgeschichte

Auch das Thema Nachhaltigkeit und wie noch mehr Fahrradfahren zur Entlastung der staugeplagten Innenstädte beitragen kann, findet sich leider erst im Nachwort. Wie eingangs gesagt, Hannah Ross will vermutlich nicht Verkehrsministerin werden, also sei es ihr verziehen. Glücklicherweise haben wir aber eine aktive Jugend, die sich der Klimathematik angenommen hat und für diese ist Revolutions auf jeden Fall auch ein lohnendes Buch.

In Summe ist Hannah Ross‘ Revolutions ein wirklich spannendes Buch, eine gute Aufarbeitung der Beziehung zwischen Frau und Drahtesel unter Einbezug von so manch mensch-/männlichem Esel. Manch kleinere Schwäche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ross eine gar nicht so kleine, aber auf jeden Fall feine und oft auch witzige Kulturgeschichte zu inspirierenden Frauen auf und mit dem Fahrrad zusammengestellt hat. Zum Internationalen Frauentag, aber auch weit darüber hinaus ist das Buch eine ideale Anregung – auch und gerade für Männer – sich mit der Wertschätzung und dem Verhalten gegenüber sowie den noch heute oft allzu gering geschätzten Rechten von Frauen auseinanderzusetzen. Und wer weiß, vielleicht bekommen wir ja doch in nicht allzu ferner Zukunft auch einmal eine Verkehrsministerin.

HMS

Hannah Ross: Revolutions – Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten; Aus dem Englischen von Daniel Beskos; März 2022; Hardcover mit Überzug aus Surbalin Seda, mit Lesebändchen; 320 Seiten; ISBN: 978-3-948722-14-2; mairisch Verlag; 24,00 €

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