„En cadenas vivir es vivir“

Für die meisten Menschen hierzulande dürfte der 26. Juli keine besondere Bedeutung haben. Das ist auf Kuba anders: Nein, es ist nicht Nationalfeiertag (der ist an Neujahr), aber dennoch ein Tag, der in der öffentlichen Wahrnehmung überaus hochgehalten wird. Auf den Tag genau vor 70 Jahren versuchte Fidel Castro die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt des Landes, zu stürmen.

Gibt es Vampire auf Kuba? // © Manuel Rivera-Ortiz

Der Putschversuch wurde niedergeschlagen, Castro wurde der Prozess gemacht und kam keine zehn Jahre später dennoch an die Macht. Eine erstaunliche Parallele übrigens zum Hitlerputsch, der sich im November zum hundertsten Male jährt. Und auch hier ist der Ausgang bekannt.

Reise in ein sozialistisches Land

Kuba hat sich danach dennoch dem Sozialismus zugewandt und dieser prägt das Land bis heute – auch wenn er zwischenzeitlich mit nicht wenigen Elementen des Kapitalismus versehen ist. Touristen werden als Haupteinnahmequelle zur Kasse gebeten, unheilvolle Allianzen mit zwielichtigen Staaten machen Kuba noch heute zumindest zum Teil zu einer Art Paria-Staat.

Reisen auf Kuba ist ein Abenteuer – für Touristen und Einheimische // © Manuel Rivera-Ortiz

Diesen hat der New Yorker Künstler und Fotograf Manuel Rivera-Ortiz besucht. Der Autor ist puertoricanischen Ursprungs und beabsichtigte mit seiner Reise im Jahr 2002 eine Reise in seine eigene Vergangenheit zu tätigen. Seine Eindrücke hat er in dem Bildband CUBA — Finding Home festgehalten, der bereits 2021 im Kehrer Verlag erschienen ist.

Schattenwirtschaft in Schwarz-Weiß

Kuba lebt heute vielfach von seiner Natur, seinen Menschen und davon, wie diese sich durchbeißen. Anders als im wohlhabenden Westen ist das eigentlich reich gesegnete Kuba arm – und hat dies auch entscheidend selbst zu verantworten. Der Sozialismus und die ideologische Allianz mit der Atommacht Sowjetunion im Kalten Krieg mögen anfangs eine Entspannung vom zuvor herrschenden Turbokapitalismus gebracht haben. Langfristig aber haben sie das Land in die Armut geführt, während der Schwarzmarkt blüht und diejenigen ein gutes Leben führen, die die Schattenwirtschaft für sich zu nutzen wissen.

Mit dem Oldtimer auf der Straße – ein typisches Bild im heutigen Kuba //
© Manuel Rivera-Ortiz

Das hält Rivera-Ortiz in seinen Schwarz-Weiß-Fotografien immer wieder fest. Frauen und – vor allem – Männer mit ihren Oldtimern sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken und ohne sie fehlt sogar etwas. Die überwiegend jungen, männlichen Fahrer dieser Wagen verdienen meist mehr als Akademikerinnen und Akademiker. Privatpersonen, die ein Zimmer an Touristen feilbieten, haben Zugang zu Devisen, ärmliche Bauern, die ihre Felder mit Rindern bestellen und große Teile ihrer Ernte an den Staat abgeben müssen, leben hingegen in Armut und oft von der Hand in den Mund.

Party in Ruinenatmosphäre

Daneben verfallen in Havanna die Gebäude, weil das Material fehlt, um sie zu reparieren. Trinidad hingegen, eine malerische Stadt an der Südküste, besteht fast nur aus sauber gepflasterten Straßen, in denen Menschen sitzen, arbeiten, auf dem Fahrrad fahren. Nur die in dem Städtchen fast omnipräsente Musik können wir in diesem Bildband leider nicht vernehmen.

Kuba besitzt ein reiches koloniales Erbe – viele Menschen sind afrikanischer Herkunft und Nachfahren von Sklaven // © Manuel Rivera-Ortiz

Dafür nimmt uns Rivera-Ortiz mit auf eine Party, die nur verschwommene Bilder produziert. Dank seines einführenden Texts erfahren wir aber, dass es sich wohl um eine Zusammenkunft handelt, bei der viele homosexuelle junge Menschen – wohl vor allem junge Männer – zur Musik tanzen. Mariela Castro, die Tochter von Fidels Bruder und Nachfolger Raúl, war eine Vorkämpferin für die Rechte von Schwulen und Lesben und das hat das Land deutlich vor viele andere gebracht, was die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung betrifft – wenngleich natürlich alles weit davon entfernt ist, makellos zu sein.

Stadt und Land

Weit entfernt sind auf Kuba sowieso viele Dinge. Ist das Tal der Stadt Viñales im Westen zwar beschaulich und übersichtlich, ist es gleichermaßen famos und mit seinen Mogote genannten Felsen, die einfach aussehen, als wären sie mit einem Schnips in die Landschaft geworfen worden, Die Arbeit der Tabakbauern, aus deren Ernte später die berühmten Cohibas gedreht werden – bedauerlicherweise gibt es bei Rivera-Ortiz keine Bilder aus einer Zigarrenfabrik – findet nur wenige Meter davon entfernt statt.

Die Tabakernte wie hier in Ciego de Ávila ist harte Arbeit // © Manuel Rivera-Ortiz

Die Stadt aber – und es ist egal, ob es Havanna, Cienfuegos, Trinidad oder auch Orte wie die vom Autoren hier nicht portraitierten Santiago, das der Nationalhymne ihren Namen gebende Bayamo oder Che Guevaras Stadt Santa Clara sind – spielt sich in einem ganz anderen Orbit ab. In ihr drängen sich oft Massen von Fahrzeugen, die Luft stinkt und steht und die Menschen – sie leben.

Ein anderes Land

Das und noch vieles mehr sehen wir, wenn wir mit Manuel Rivera-Ortiz die Reise in dieses ferne Land wagen. Kuba ist eine Welt für sich. Ich war vor acht Jahren dort, stand am gerade erst wenige Tage alten Grab des nur einen Monat zuvor verstorbenen Fidel Castro. Diese Reise war die Erfüllung eines Lebenstraums. Für mich war Kuba eine Erfahrung, die ich einmal im Leben machen musste. Machen wollte.

Die kilometerlange Promenade Malecón gehört zu Havanna wie Rum und Zigarren zu Kuba. Junge Kubaner gehen an dessen Küste baden // © Manuel Rivera-Ortiz

Manuel Rivera-Ortiz‘ Kuba war ganz anders. Und das Kuba von heute ist vermutlich auch ganz anders. Ich will es gar nicht wissen, ich will Kuba so in Erinnerung behalten, wie ich es kennenlernen durfte, musste. Manuel Rivera-Ortiz scheint einen ähnlichen Ansatz bei seiner Reise auf die größte Karibikinsel verfolgt zu haben, der uns – wie angedeutet – bei der Lektüre seines kurzen einleitenden Textes erläutert wird. Bei diesen grandiosen Fotografien sieht also jeder und jede etwas Eigenes. Und das ist gut so, denn die Individualität ist das, was gerade im Sozialismus zu kurz kommt. Es könnte also wohl kaum einen besseren Band geben als diesen, um über Kuba nachzudenken.

HMS

Manuel Rivera-Ortiz: CUBA — Finding Home; Mai 2021; Text in englischer Sprache von Manuel Rivera-Ortiz; Gestaltet von Kehrer Verlag (Paul Spehr); Hardcover gebunden; 192 Seiten; 121 S/W-Duplex-Abbildungen; Format: 24,0 x 20,0 cm; ISBN: 978-3-96900-030-4; Kehrer Verlag; 38,00 €

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