NoWaBo und Saskia Esken – das klang nach Auf-Bruch, nach Spannung, nach neuen Ideen und Erfolg, nach Steuer und Feuer. So jedenfalls sollte die SPD-Basis denken und zu einem Teil auch gedacht haben dürfen als es vor gut zwei Monaten um die Wahl der neuen Vorsitzenden der von Satirikern „Volkspartei“ genannten Splittergruppe ging. Nun wird die Kritik daran, diesen Erwartungen nicht nur nicht gerecht zu werden, sondern auch völlig ohne Not immer noch eine Schippe Nonsens draufzuhauen nach und nach vernehmbarer. Am gestrigen Sonntag befasste sich nun der Bericht aus Berlin mit diesem Problem und lud Kevin Kühnert, inzwischen stellvertretender Vorsitzender der SPD, der mit seinen JUSOS eine wesentliche Rolle zur Wahl der beiden beitrug, zum Gespräch.
Hamburg bringt Berlin bei, wie man Politik macht
Zuerst geht es aber nach Hamburg. Es steht die Bürgerschaftswahl am 23. Februar bevor und der Nachfolger von Olaf Scholz im Amt des Bürgermeisters, Peter Tschentscher, bemüht sich mit der SPD stärkste Kraft zu bleiben, doch die Grünen sind gefährlich nah. Dass Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans während des Wahlkampfs nicht in Hamburg auftreten, so der Bericht, werde offiziell mit Terminschwierigkeiten begründet. Glaubhafter klingt da aber SPD-Mitglied Jürgen Hoffmann: „[…], dass man die nicht als Vorsitzende wählen könnte und die auch nichts in Hamburg zu suchen haben.“ Boom.
Tschentscher bemerkt spitz, was er nach der Wahl vorhabe: „Ich werde erstmal ausschlafen am Montag nach der Wahl, dann fahr ich wahrscheinlich nach Berlin und erklär’ denen, wir helfen gerne, wenn ihr noch Empfehlungen wollt wie man Politik so macht, guckt nach Hamburg. Wir sind sehr bereit zu helfen.“
Weiter führt der Bericht mehr kritische Stimmen an, bringt auch zuletzt verstärkt aufbrechende Meinungsverschiedenheiten und Ego-Probleme zwischen dem Vorsitzenden-Duo aufs Parkett und stellt im Grunde die Frage – was nun?!?
Die JUSOS können zuhören
Auf diese Frage angesprochen, konstatiert Kevin Kühnert erst einmal, dass es früher die „eherne Regel“ gegeben habe, allen, die neu im Amt seien, erst einmal 100 Tage Zeit zu geben sich zu bewähren. Nowabo und Esken hingegen hätten nicht einmal 100 Sekunden zugesprochen bekommen, so als hätten die Leute „Weltwunder erwartet“. Nun ja, dazu lässt sich dann aber auch sagen, dass die beiden neuen Vorsitzenden den Leuten quasi Weltwunder versprochen hatten und die JUSOS massiv dabei halfen, den Eindruck der Machbarkeit zu unterstreichen, ja gar zu verstärken. So spricht auch Moderator Oliver Köhr dann davon, dass doch eine gewisse Erwartungshaltung geweckt worden sei. Im Übrigen darf man vermuten, dass ein Kevin Kühnert den in der Stichwahl um das SPD-Top-Tandem unterlegenen Mitbewerbenden Olaf Scholz und Klara Geywitz sicherlich keine 100 Tage gewährt hätte, vermutlich nicht mal 100 Sekunden Applaus.
Kühnert weist darauf hin, dass die Gespräche im Koalitionsausschuss nun erst begonnen hätten und das mit einem Partner, CDU/CSU, der eher lustlos sei und dies könne man den neuen Vorsitzenden wahrlich nicht in die Schuhe schieben. Ja, aber… wenn man mit völlig überzogenen, sich teils widersprechenden und nahezu mit jedem Interview ändernden Forderungen durch die Gegend zieht, sollte man nicht allzu erschrocken dreinblicken, wenn die Gesprächspartner auch mal mit den Schultern zucken.
Unterhaltsam bleibt es auch, als Kevin Kühnert erläutert, dass die JUSOS im Herbst sehr genau hingehört hätten, als es darum gegangen sei, dass die Kampagne von Esken und Nowabo sich in erster Linie nie um ein Raus-aus-der-GroKo gedreht habe, sondern primär darum einen „grundsätzlichen Richtungswechsel in der SPD einzuleiten“. Aha… Das klang vor nicht allzu langer Zeit alles noch ganz anders. Aber ganz anders. So anders, dass ich es schwer beeindruckend finde, dass Kühnert es schafft diese Erklärung abzuliefern ohne mit der Wimper zu zucken. Das ist politisches Talent, jedenfalls wenn man mit wenigstens einem zynischen Auge drauf schaut.
Alles tutti bei der SPD
Die vermeintlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden neuen Vorsitzenden klärt er dann dankenswerterweise auch gleich auf, samt der impliziten Unterstellung, man habe sie bewusst falsch verstehen können wollen. Nowabo warb so bspw. für Steuerentlastungen, Esken lehnte das im Prinzip ab, er fand das doof. Die meinten aber gar nicht einander, nein, nein. Nowabo wollte lediglich darauf hinweisen, dass wenn es um Steuerentlastungen ginge, man nicht immer nur über den Spitzensteuersatz reden sollte, wie es, nun wieder Kühnert „Konservative und Neoliberale so gern machen, um die Leute an der Nase herumzuführen“, sondern vor allem über den Durchschnittssteuersatz. Und Esken bezog sich dann wohl lediglich auf diese konservativen und neoliberalen Schnösel in ihrer Eliten-Blase?! Klar, warum nicht.
Dank gekonnter Schuldzuweisungen an andere und der völligen Weigerung im eigenen Haus nach Fehlern zu suchen oder wenigstens auf kritische Stimmen innerhalb der eigenen Partei zu hören ist alles tutti bei der SPD. Puh. Auf zu den 30 %! Ach was, wenn dann richtig – absolute Mehrheit! Whoop Whoop! Zum Glück kann KevKev sich gut artikulieren, sonst wäre das gestern Abend nicht nur seltsames rhetorisches Flüchten sondern richtig peinlicher Mist gewesen. Dafür warte ich dann wohl einfach auf das nächste Interview mit Saskia Esken.
AS
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