Beitragsbild: Neues Team im Bremer-Grau: BKA-Expertin Linda Selb (Luise Wolfram, Mitte) erläutert Mads Andersen (Dar Salim, links) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, rechts), was die Tatort-Analyse ergibt. // © Radio Bremen/Christine Schroeder
Neuer Job, neues Team, alte Stadt – fast alles neu macht der Mai im Bremer Tatort. Das alte Ermittlerteam aus Sabine Postel und Oliver Mommsen hat Platz gemacht für ein dynamisches Dreiergespann. Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und Dar Salim übernehmen am Montagabend (!) als Liv Moormann, Linda Selb und Mads Andersen in ihrem ersten Fall Neugeboren die Ermittlungen.
Und in der Tat dürfte der Titel nicht nur auf das neue Team anspielen, sondern auch auf den Fall. Neben der Suche nach einem entführten Neugeborenen, die den Großteil der Bremer Polizei beschäftigt und stetes Hintergrundrauschen für den Hauptfall liefert, geht es um den Mord an dem Drogendealer Jannik Waltz (Raffael Armbruster).
Dieser wurde in einem Industriegebiet aufgefunden, aber dort nicht ermordet. Das Tötungsdelikt ereignete sich in seiner heimatlichen Wohnsiedlung in einem sozialen Brennpunkt Bremens, in der wohl nicht zufällig seine On-Off-Beziehung Jessica Stiehler (Johanna Polley) in derselben Nacht ein, womöglich sogar sein, Kind zur Welt brachte. Sie, ihr als Fußballprofi gescheiterter Vater Rudi (André Szymanski), der treusorgende Bruder Marco (Gustav Schmidt) aber auch ein paar andere Anwohner und Bekannte könnten durchaus ein Motiv gehabt haben, Jannik zu töten.
Kinder als Statussymbol
Erst einmal zum Inhalt: Die Story und die Szenerie scheinen zwar eingangs ein wenig trostlos, aber mit der Zeit fügen sich die einzelnen Puzzleteile zusammen. Sehr schön ist die gesellschaftliche Komponente, die einerseits von der verlassenen und erfolgreichen Karrierefrau Sophie Völkers (Morgane Ferru) berichtet, deren Kind entführt wurde, dem aber theoretisch alle Chancen im Leben offenstünden.
Und andererseits finden wir uns bei den Ermittlungen im Mordfall in einem sozialen Brennpunkt, wo Chancen und Perspektiven so rar gesät sind wie Corona-Impfstoff zu Jahresbeginn. Wer hier etwas auf sich hält, der holt sich zu Hartz IV ein Kind. Als Statussymbol. Und wegen des Kindergelds. Diese Dichotomie, die gesellschaftlichen Unterschiede, arbeiten die Macherinnen und Macher um Regisseurin Barbara Kulcsar sehr gut heraus und legen dennoch einen Schwerpunkt auf die Situation in den sozialen Brennpunkten des zweigeteilten Stadtstaats (Liv Moormann kommt übrigens aus Bremerhaven nach Bremen).
Gelungene Premiere
Man muss neidlos anerkennen, die Premiere des neuen Teams ist überwiegend gelungen. Die Einführung der beiden neuen Charaktere – BKA-Ermittlerin Linda Selb kennen wir bereits als Nebenfigur aus einigen vorherigen Fällen – läuft sehr gut und lange nicht so unbeholfen wie beispielsweise bei Stephanie Reinsperger vor wenigen Monaten im Dortmunder Tatort. Mads Andersen befindet sich zwar im Aufbruch in seine dänische Heimat, Liv Moormann übernimmt, aber auch nur so halb, denn irgendwie ist direkt Tagesgeschäft und in diesem finden alle drei besser zusammen als Faber und Co. im Pott.
Das spiegelt sich auch in so manchem Dialog oder Verhalten wider. Liv Moormann scheint stets sehr offen(siv) an Menschen und Situationen heranzugehen und muss manchmal vielleicht doch erst einmal ein wenig zurückgepfiffen werden. Da ist noch nicht ganz sicher, ob das einfach eine Eigenschaft der Figur sein soll oder hier das Drehbuch von Christian Jeltsch vielleicht nicht ganz ideal gescriptet ist. Aber das dürften vermutlich auch die nächsten Fälle zeigen. Auf jeden Fall darf die gesunde Mischung aus einem ernsten, etwas düsteren Fall und ironisch-menschlichen Auflockerungen sehr gern beibehalten werden. Wir sind jedenfalls gespannt darauf.
HMS
Tatort: Neugeboren: Am Montag, 24.5.2021 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one; zudem ist er erneut bis zum 12. Oktober 2022 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Neugeborgen; Deutschland, 2021; Regie: Barbara Kulcsar; Drehbuch: Christian Jeltsch; Kamera: Stefan Sommer; Darsteller*innen: Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram, Dar Salim, Johanna Polley, Gustav Schmidt, André Szymanski, Morgane Ferru, Bruno Alexander, Nikolay Sidorenko, Christian Aumer, Rona Özkan; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Bremedia Produktion im Auftrag der ARD Degeto und Radio Bremen für die ARD 2021
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun.
Comments