Die Welt zu Tisch bei Feinden

Das Leben von demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern ist nicht immer einfach, wie Peter Dausend und Horand Knaup in ihrem ausgezeichneten Buch „‚Alleiner kannst du gar nicht sein‘“ illustrieren. Auch wenn es um die Ernährung geht, ist das oft ein Kampf: viel Fett, viel Zucker, wenig Gesundes und Stress kommt auch noch dazu.

Was ein Diktator isst

Wie gut, wenn man Diktator ist – wenn man weiß, was ein Diktator isst. Aber wie und was essen eigentlich Diktatoren? Und wie beeinflusst ihr Gaumen ihr politisches Urteilsvermögen, ihre Entscheidungen? Das fragte sich auch der polnische Journalist Witold Szabłowski und begann seine Recherchen. Sein kurzweiliges Buch Wie man einen Diktator satt bekommt wurde von Paulina Schulz-Gruner für den KATAPULT-Verlag ins Deutsche übersetzt und gibt Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten manch bekannter Gewalttäter der jüngeren Geschichte.

Über mehrere Jahre hinweg sprach Szabłowski mit fast ausschließlich männlichen Köchen verschiedener Diktatoren und wollte mehr über die Essgewohnheiten und -kultur der Tyrannen herausfinden. Er machte die Männer ausfindig, die für Saddam Hussein aus dem Irak, Idi Amin aus Uganda, den albanischen Potentaten Enver Hoxha sowie den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro ihre Speisen zubereitete. Lediglich Pol Pot, der kambodschanische Terrorherrscher, hatte eine weibliche Köchin, Yong Moeun, die Szabłowski interviewen konnte.

Da die betreffenden Diktatoren miteinander nicht unmittelbar etwas zu tun hatten, lassen sich die Kapitel voneinander vollkommen unabhängig lesen. Szabłowski geht aber bei allen fünf ähnlich vor: Er beschreibt kurz, wie er Yong Moeun und ihre männlichen Kollegen ausfindig machte und kontaktierte, was bei einigen wohl ziemlich schwer oder mit so manchem Umstand oder gar gefährlicher Situation verbunden war.

Diktatur bis in die Küche

Abu Ali, der Koch von Saddam Hussein beispielsweise, kochte vorher in irakischen Kriegsgebieten, Idi Amins Koch Otonde Odera für britische Kolonialherren und Ugandas Präsident Milton Obote und Yong Moeun war sogar für eine Weile die Frau des kambodschanischen Botschafters in Beijing. Manche der Diktatoren waren gut zu ihrem Küchenpersonal, überhäuften sie mit Geld und Edelkarossen, andere (oder manchmal dieselben) kürzten ihnen den Lohn, wenn das Essen versalzen oder zu scharf geworden war. Und für einige war das tägliche Kochen ein täglicher Kampf ums Überleben, denn mancher Terror hat sich bis in die Küchen von Präsidentenpalästen und -residenzen durchgezogen.

Wir erfahren also vor allem sehr viel über die Persönlichkeit des jeweiligen Diktators und seines Kochpersonals und damit auch über seinen Führungs- und Regierungsstil. Klar, in der Regel ist das nicht mit demokratischen Standards zu vergleichen, aber es gibt einen spannenden Einblick in so manches Wesen. Und natürlich erfahren wir von den Köchen und Yong Moeun, was ihre jeweiligen Diktatoren am liebsten aßen. Verschiedene Arten von Suppen (je nach Landesküche) sind übrigens bei mehreren Diktatoren mit dabei – die genauen Rezepte geben sie allerdings nicht preis.

Schwere Kost leicht kredenzt

Witold Szabłowski geht aber darüber hinaus. Er berichtet in abgespecktem Umfang von der jeweiligen Regentschaft der Diktatoren, wie sie ihr Volk unterdrückten, welche Kriege und Konflikte sie ausfochten. Das ist einerseits charmant, denn es ordnet die kulinarischen Erfahrungen aus den Gesprächen mit der Köchin und den Köchen in das „Wirken“ von Castro, Hoxha und Co. ein.

Überdies bietet der Autor seinen Leserinnen und Lesern mit einer ungewöhnlichen und leichten Kost – Essen bei und von Diktatoren – manchen schwer im Magen liegenden Inhalt, nämlich zu Saddams Kriegen am Golf, Pol Pots Terrorregime oder Idi Amins Schreckensherrschaft. Manch einen Inhalt über Politik, Geschichte und Weltgeschehen bekommt Szabłowski auf diese Weise vermutlich an ein Publikum herangetragen, das er mit einer Kriegsreportage oder einer historischen Aufarbeitung der sozialistischen Revolution auf Kuba nicht erreicht hätte. Gerade in sozialistischen Regimes, das ist auffällig, waren sowohl Hunger als auch Probleme der Versorgung mit Nahrungsmitteln von Diktator und Bevölkerung übrigens teils sehr groß.

Garnitur dient der Optik

Gleichzeitig haben diese Teile häufig aber nicht unbedingt mit dem eigentlichen Zweck des Buchs zu tun. Es ist schön und interessant, etwas über den Konflikt in Kuwait zu erfahren und wie Saddams Herrschaft den Irak noch heute prägt, aber für die eigentliche Story – die Essgewohnheiten der Diktatoren – ist es größtenteils unerheblich. Vermutlich hätte man jedes Kapitel um 15 bis 25 Prozent kürzen können und die Betrachtung des eigentlichen Themas hätte nicht gelitten. Aber auch hier gilt wie bei einem guten Essen: Die Garnitur macht das Essen nicht nur optisch attraktiver.

Was tatsächlich ein wenig stört, ist, dass häufig nicht zu Beginn des jeweiligen Unterkapitels klar ist, wer gerade der handelnde Akteur ist, beziehungsweise, worum es jeweils geht. Erst erzählt einer der Köche von seinen Erlebnissen in der Küche und mit dem Diktator und unmittelbar danach ist Witold Szabłowski unterwegs und informiert sich (und die Leserinnen und Leser) zu den Folgen der sunnitischen Herrschaft im Irak. In beiden Fällen schreibt er jedoch als Ich-Erzähler, erst als Koch, dann als Witold, ohne einen Wechsel der erzählenden Person kenntlich zu machen. Interessanterweise hat uns das bereits bei dem Roman Die Redaktion des KATAPULT-Gründers Benjamin Fredrich gestört, einem weiteren Buch aus dem Verlag.

Ein Leibgericht

Die meisten der fünf nach Mahlzeiten benannten Kapitel spickt Szabłowski schließlich mit einem kurzen „Snack“, einer Anekdote aus dem Leben von Pol Pots Köchin Yong Moeun. Sie scheint für ihn das Herzstück der Sammlung zu sein. Während das Kapitel über den Koch von Enver Hoxha relativ abrupt und mit verhältnismäßig wenig Information abbricht (lesenswert ist es dennoch), scheinen seine Aufzeichnungen von und mit der Kambodschanerin Szabłowskis Lieblingsgeschichte zu sein. Und in der Tat sind die Perspektiven Yong Moeuns auf Pol Pots kulinarische und auch manch politische Vorlieben recht detailliert und eindrucksvoll. Auch die Kapitel zu den Köchen von Saddam Hussein und Idi Amin sind aber sehr eindrücklich und aufschlussreich.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass Witold Szabłowski eine etwas skurrile und dennoch ansprechende Perspektive einnimmt, um uns manches Leid und viele Anekdoten aus den Kochtöpfen von fünf Diktatoren näherzubringen. Das ist charmant, witzig, skurril und informativ, manchmal aber handwerklich nicht zu hundert Prozent ausgefeilt. Darüber lässt sich aber mit einem Augenzwinkern hinwegsehen, denn Wie man einen Diktator satt bekommt, hält trotz fehlender Kochanweisungen manchen historischen Leckerbissen bereit und verknüpft dies mit der schweren Kost von Konflikt, Leid, Unterdrückung und – ironischerweise – Hunger.

PS: Wer wirklich nicht ohne die Rezepte kann: Bei uns liegt das Buch Zu Tisch bei Diktatoren – Die Lieblingsspeisen der Tyrannen, das die Lieblingsrezepte einiger Diktatoren enthält (und in einigen Fällen Szabłowskis Recherchen um weitere Informationen und Leibspeisen ergänzt). Unsere Rezension hierzu folgt, denn auch wir sind gespannt. Und haben nun ehrlicherweise doch auch Hunger, wenn’s auch nicht gleich Schildkrötensuppe sein muss.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Witold Szabłowski: Wie man einen Diktator satt bekommt; Aus dem Polnischen von Paulina Schulz-Gruner; Oktober 2021; Hardcover mit Lesebändchen; 320 Seiten; diverse Abbildungen; ISBN: 978-3-948923-28-0; KATAPULT Verlag; 24,00 €; auch als eBook erhältlich

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