Beitragsbild: links Coverdetail Der Apparat/The Apparatus, rechts Eindrücke aus dem Band // © Lukas Ratius/Verlag Kettler
Nach der Wahl ist vor der Wahl, was zum Ende dieses Superdupermegawahljahres manche nicht werden hören wollen, andere in schmuckhaft-demokratische Begeisterung versetzen dürfte. Was allerdings immer ist, ist Politik. Und hierzulande – glücklicherweise – Demokratie. Die macht zwar Arbeit, die aber lohnt sich. Kunst macht auch Arbeit, heißt es, sei aber schön. Jemand, der beides nun miteinander in seiner neusten Arbeit verknüpft hat, ist der Fotograf Lukas Ratius in seinem im Verlag Kettler erschienenen, zweisprachigen Band Der Apparat/The Apparatus.
Der Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft
Dabei spielt der Saarbrücker Ratius bereits im Titel mit unserer Wahrnehmung, beziehungsweise der gängigen Interpretation, der Wortes „Apparat“. Vorangestellt ist dem Band ein Zitat des in Algerien geborenen, französischen Philosophen Jacques Rancière, in dem er von dem Begriff „Staatsapparat“ als „gefangen in der Voraussetzung eines Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft“ spricht. Ein anderes „die da oben“ im weiteren Sinne, wenn wir so wollen. Dieser Eindruck verfestigt sich natürlich auch durch die ikonenhaften Bilder von Politiker*innen und Ereignissen.
Lukas Ratius, einer der Macher des Dokumentarfilms 18+ Deutschland, hat für seine Fotoreportage eine andere Herangehensweise gewählt. Er liefert keinen Band von Staatsempfängen, Pressekonferenzen mit Minister*innen oder die Städte durchfahrenden Autokolonnen. Nein – Ratius wendet seinen und den Blick seiner Kamera quasi auf das Innenleben des Apparats. Ganz konkret auf die „Bandbreite und Kleinteiligkeit der administrativen und politischen Institutionen des Bundeslandes Saarland.“
Ja, was ist das denn?!
Bezogen auf Der Apparat ist Bandbreite auch mal keine forsch gewählte Eigenbeschreibung, die am Ende in der Darstellung von zwei, drei Eindrücken verpufft. Nein, in seinen zwischen Mai 2018 und März 2020 während 76 Terminen entstanden Fotografien ist in der Tat die ganze Bandbreite und wortwörtlich die Kleinteiligkeit zu sehen. Im Vordergrund stehen dabei 62 Fotografien, die im Anhang dankenswerterweise erläutert werden.
Wir empfehlen jedoch erst einmal durch den Band zu gehen, die Bilder wirken zu lassen. Womöglich zu rätseln, was genau hier zu sehen ist. Auf dem ersten Bild sind es recht eindeutig Zollbeamte die sich unter einen LKW beugen; auf einem anderen ganz klar ein Mitglied oder jedenfalls Fan der Partei Die Linke, sein Anstecker verrät das; zum Abschluss gibt es ein Buffet (und vermutlich großes Oho!, wenn mensch sieht, welches beziehungsweise wessen).
Der Apparat/The Apparatus // © Lukas Ratius/Verlag Kettler Der Apparat/The Apparatus // © Lukas Ratius/Verlag Kettler
Bei anderen ist das nicht so klar: Ist das hier ein Flokati oder sind es Sträucher? Und wo, verdammt? Was ist das für einen beleuchtete Baustelle und in welchem Raum befindet sich Landesflagge des Saarlands auf der Seite daneben? Ist das dasselbe Gebäude? Kabelsalat neben erlegtem Rehwild lassen hier zumindest auf eine räumliche Distanz schließen. Was ist in diesen nummerierten Koffern? Den Ausschnitt welches Badezimmers sehen wir? Haarproben sind einer Hand auf einem Notebook, das auf einem mit Spielkarten ausgelegten Tisch steht, gegenübergestellt. Wird hier in einer Behörde gezockt? An welch rauschendem Bach plätschert hier das Wasser?
Abläufe und Kontext
Darüber hinaus gibt es Bilder, die uns tatsächlich unmittelbar wahrnehmbare Abläufe zeigen: Straßen- und Straßenbahnreinigung, die Verabschiedung eines Haushalts, einen Oberbürgermeister während seiner Amtsantrittsrede oder einen Richter vor einer Sitzung. Wir sagten ja: Kleinteiligkeit. Diese wird noch ergänzt durch die im Anhang im kleineren Format eingebrachten Fotos. Dadurch bekommen wir zusätzlich zu den gesehenen Bildern und deren Beschreibung noch mehr Kontext einzelner Termine wie Parteitage, Workshops, Tage der offenen Tür, Ortsbegehungen und so weiter.
Erst hier, in dieser nun chronologischen Anordnung, ist es auch der Fall, dass uns das eine oder andere prominente Gesicht begegnet. Auf den größeren Abbildungen verzichtet Ratius bis auf ein, wenn wir so wollen zwei, Ausnahmen komplett darauf. Und auf einem davon ist das Gesicht auch nur Abbildung in der Abbildung.
Keine Satire, dafür schöne Demokratievermittlung
Dabei folgt Der Apparat, wie auch der Fotograf Rolf Sachsse in seinem Nachwort anerkennend festhält, keinem literarischen Narrativ. Er spinnt sich also nicht aus, die Geschichte der Verwaltung zu erzählen. Die Bilder wirken ein wenig wie zufällig platziert, was den Eindruck hier in den Alltag zu blicken noch verstärkt. Dass Ratius darüber hinaus bei seinem nahen Blick nicht versucht vorzuführen, Satiriker zu sein oder die Arbeit von bundesweit Millionen Angestellten ins Absurde zu tragen, sondern uns als Betrachter*innen wirklich einen klaren Blick gibt, ist sehr fein.
Somit mag der 128-seitige Band mehr zur Demokratievermittlung (nein, das ist nicht nur was für Schüler*innen) und vor allem Verständnis von Struktur und Ablauf beitragen als manch gestelzte Broschüre, als manches verklausulierte Sachbuch zum Thema; definitiv hilft er mehr „Die-Da-Oben“-Ressentiments abzubauen als viele der schon manches Mal zu Krawall und vor allem in Bezug auf jeweils eine ARD und eine ZDF-Sendung zur Egonummer des Moderators (jap, männlich) verkommenden Polit-Talkshows. Dass Der Apparat dabei noch so gut aussieht und sich fein anfühlt, ist umso besser.
Der Apparat/The Apparatus // © Lukas Ratius/Verlag Kettler Der Apparat/The Apparatus // © Lukas Ratius/Verlag Kettler
Ach ja: Zum von uns erwähnten Punkt Nach der Wahl ist vor der Wahl: Die nächste planmäßige Wahl ist eine Landtagswahl am 27.03.2022 Wo? Im Saarland.
PS: Der Band ist mit Silber auf der Shortlist des Deutschen Fotobuchpreises ausgezeichnet worden.
Lukas Ratius: Der Apparat/The Apparatus; erschienen im Juli 2021; Softcover; 128 Seiten; 17 x 24 cm; deutsch/englisch; Texte: Lukas Ratius, Rolf Sachsse; Gestaltung: Carina Schwake (a-oh-books); ISBN: 978-3-86206-912-5; Verlag Kettler; 38,00 €
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