Geburtstag mit den Neuen

Beitragsbild: Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider) beim Mittagessen in der „Heidequelle“, im Hintergrund der Gastwirt – gespielt von Drehbuchautor Clemens Meyer.

Lasst bundesweit die Rotkäppchen-Korken knallen: Der Polizeiruf 110 begeht mit der heutigen Folge ganz offiziell sein 50-jähriges Jubiläum. Und selbst als relativer Polizeiruf 110-Neuling, jedenfalls was das regelmäßige Schauen der Filme angeht, muss ich sagen: An der Saale hellem Strande mit Peter Kurth und Peter Schneider in den Hauptrollen als neuem Team Koitzsch und Lehmann ist ein durchaus gelungener, inszenatorisch und handlungstechnisch besonderer Film genau eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

Jeder Mensch hat eine Geschichte

Aber mal von vorn: Kriminalhauptkommissar Henry Koitzsch und Kriminalkommissar Michael Lehmann, ein Quereinsteiger bei der Polizei, stecken bei den Ermittlungen in einem bereits drei Monate zurückliegenden Mordfall fest. Da lag Uwe Baude tot vor der Tür seines Hauses. Von Anfang an gab es keine Anzeichen auf ein Motiv des Täters oder auf diesen, der spurlos in der Nacht verschwand. Auch die paar Zeugen waren nicht sonderlich hilfreich. Bleibt nur noch eine Funkzellenabfrage: Alle Personen, die in der Tatnacht in der Nähe telefoniert haben, werden vorgeladen.

Maik Gerster (Till Wonka) verliert die Nerven und findet kein richtiges Trampolin. // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Dabei sitzen den beiden Ermittlern ganz unterschiedliche Personen gegenüber: Der vermeintlich verwirrte ehemalige Eisenbahner Günter Born (Hermann Beyer), der vorbestrafte und hypernervöse Maik Gerstern (Till Wonka), die ins Leben und die Liebe verliebte, in ihren Aussagen inkonsistente Katrin Sommer (Cordelia Wege) oder die benachbarten Vollzeit-Alkoholiker*innen Olaf (Sebastian Weber), „Silli“ (Tilla Kratochwil) und Rainer (Thomas Gerber). Dabei zeichnen sich in den Aussagen nicht nur Widersprüche, sondern auch menschliche Schicksale und Dramen ab, die die beiden Ermittler nicht immer kalt lassen.

Das klingt nun erst einmal nicht schlecht, aber auch nicht sehr speziell. Speziell sind jedoch zwei Dinge: Einmal, in welcher Form die verschiedenen Figuren gezeichnet sind. Neben ein oder zwei Personen, die eher als Gimmick auftauchen (wie der von Torsten Ranft wunderbar drüber gespielte Bernd Brinkmann), sind die meisten als Menschen sichtbar und lassen uns Zuschauer*innen ein Gefühl für sie entwickeln. Das ist schon mal was wert. Zusätzlich werden die Vernehmungen immer wieder um kurze Rückblenden zum Abend der Tat ergänzt und führen sie dort zusammen, das ohne die Situation unübersichtlich werden zu lassen.

Katrin Sommer (Cordelia Wege) telefoniert in der Mordstraße – hat sie auch etwas mit dem Verbrechen zu tun? // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

So steht es auch um die beiden neuen Ermittler, die mit Peter Kurth (u. a. bekannt aus den ersten beiden Babylon Berlin-Staffeln und dem Frankfurter Tatort) und Peter Schneider trefflich besetzt sind, nicht nur, da sie selber mit Halle verbunden sind, sondern auch, weil sie ihren Koitzsch und Lehmann in der Kürze der Zeit so lebendig werden lassen, dass wir das Gefühl haben können, den beiden hier nicht das erste Mal zuzusehen. Dabei gleichzeitig das Interesse geweckt wird, ihnen erneut zuzuschauen: Zu groß ist die Neugierde, was sich noch mit Koitzschers altem Freund Roman Schuster (Thomas Lawinky), der wegen eines Mordes im Rotlichtmilieu im Gefängnis sitzt, und dessen Frau Marina (Anita Vulesica), die die Geschäfte weiterführt und unter dem Schutz von Koitzsch zu stehen scheint, entwickeln kann. Auch das Wirken von Lehmann und Familie, samt seines Schwiegervaters: Polizeiruf-Urgestein Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller), mit dem er natürlich nicht nicht über die Ermittlungen spricht.

Tragikomisch, charmant und überraschend

Die Entscheidung An der Saale hellem Strande als DEN Jubiläumsfilm auszustrahlen fiel laut der MDR-Redakteurin Meike Götz erst nach der Entscheidung für den Film, dann aber mit Blick auf die außergewöhnliche Erzählweise und das spezielle Konzept recht rasch. Die Entscheidung ist natürlich auch strategisch clever, schalten heute doch sicherlich viele Personen ein, die möglicherweise eher aus Nostalgie denn aus Gewohnheit schauen und womöglich gewinnt man so verlorene und auch ganz neue Zuschauer*innen. Die Mischung aus der eben etwas anders erzählten Geschichte und einer doch geerdeten Story, in der Menschen und nicht möglichst großer Krach im Vordergrund stehen, könnte sich durchaus als Erfolgskonzept herausstellen.

Olaf Berger (Sebastian Weber) und Silke „Silli“ Berger (Tilla Kratochwil) werden von Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) (l.) und Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider) (r.) befragt. // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Zu verdanken ist das natürlich auch dem ausgewogenen und im Großen und Ganzen unterhaltsamen Drehbuch von Clemens Meyer (der nach eigener Aussage auch einen gewissen Fargo-Vibe einbringen wollte) und Thomas Stuber, der auch Regie führte. Nur zu Beginn des letzten Drittels sehen wir leider einige Längen und Redundanzen in der Geschichte, das jedoch schmälert den ersten Hallenser Polizeiruf nicht so sehr, dass es wirklich dramatisch wäre. Zu gut fängt er sich anschließend und lässt uns mit einer tragikomischen Posse ins Finale kommen, das dann auch zu überraschen weiß.

AS

PS: Charmant übrigens ist auch die Unterteilung der Folge in einzelne Kapitel, die für langjährige Polizeiruf-Fans sicherlich aufgrund ihrer Titel ein besonderes Schmankerl sein dürfte.

PS II: Um 23:35 Uhr strahlt Das Erste eine 45-minütige Version von Polizeiruf 110: Die Krimidokumentation aus. Die 90-Minuten-Fassung lief bereits am 22. Mai im MDR und ist in der Mediathek verfügbar. Überhaupt finden sich gerade einige ältere Fälle in der Mediathek.

Neues Polizeiruf 110-Team: Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider) // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande: Am 30. Mai 2021 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und bis zum 30. November 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande; Deutschland, 2020/202; Drehbuch: Clemens Meyer und Thomas Stuber; Regie: Thomas Stuber; Kamera: Nikolai von Graevenitz; Musik: Bert Wrede; Darsteller*innen: Peter Kurth, Peter Schneider, Till Wonka, Hermann Beyer, Eva Weissenborn, Cordelia Wege, Andreas Schmidt-Schaller, Anita Vulesica, Thomas Lawinky, Sebastian Weber, Villa Kratochwil, Thomas Gerber, Harald Polzin; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der filmpool fiction in Zusammenarbeit mit der in Halle/Saale ansässigen Produktionsfirma 42filmim Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks für Das Erste 

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