Zu Halle an der Saale

Kaum zu glauben, aber doch wahr: Nach bald drei Jahren zeigt Das Erste heute Abend um 20:15 Uhr den zweiten Polizeiruf 110 aus Halle an der Saale mit Peter Kurth als brummigen Einzelgänger Henry Koitzsch und Peter Schneider als dessen beinahe schon über-empathischem Kollegen Michael Lehmann. Der Titel Der Dicke liebt ist dabei vermutlich nicht nur eine Anspielung auf die Episoden-Hauptfigur, den Mathelehrer Krein, gespielt von Sascha Nathan.

Zu innig?

Diesem Lehrer liegen seine Schüler*innen sehr am Herzen. Er ist engagiert, interessiert und zugänglich. Einen besonderen Zugang hat Krein zur achtjährigen Inka (Merle Staacken). Als diese verschwindet, wird Krein schnell kritisch beäugt. Lehmann hofft noch, das Mädchen lebend zu finden, während Koitzsch schon eine düstere Vorahnung hat…

Lehrer Krein (Sascha Nathan) wird von einem wütenden Mob gestellt // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

…und tatsächlich wird kurz darauf die Leiche des Mädchens gefunden. Erste Ermittlungen führen die beiden Kommissare zur Otto-Möhwald-Schule, die Inka besuchte. Hier trifft Henry Koitzsch erneut auf Monika Hollig (Susanne Böwe) – Koitzschs Blind Date aus der ersten Folge. Doch für einen romantischen Ausbau bleibt keine Zeit. Immer stärker gerät nun Lehrer Krein unter Verdacht. War sein Verhältnis zu Inka womöglich zu innig? Eine Art Bürgerwehr-Initiative hat ihr Urteil in jedem Fall gefällt

Zu düster?

Wer sich noch an die erste Halle-Episode erinnert, die ebenfalls von Clemens Meyer geschrieben und von Thomas Stuber inszeniert wurde, hat sicherlich noch die besondere Bildsprache, die Art wie Halle nicht nur als Ort, sondern Charakter einbezogen wurde und die eher nüchtern-düstere Erzählweise im Kopf. Nicht zuletzt ebenso das eher unübliche Ende für einen Sonntags-Krimi. (Wobei die Polizeirufe sich ohnehin nicht so häufig an die Formel „Ende gut, alles gut“ halten.)

Henry Koitzsch (Peter Kurth) trifft Reinhold (Andreas Leupold) und Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) in der Gerichtsmedizin // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

So ist auch dieser Polizeiruf 110: Der Dicke liebt anders als manch ein Sonntagsfilm. Bildsprache (Kamera: Nikolai von Graevenitz), Erzähltempo und -ton sowie die Musik von Bert Wrede heben sich deutlich ab, womöglich macht gerade die lange Entwicklungszeit einen Unterschied. Ebenso arbeitete das Team aus Hauptdarsteller- und Nebendarsteller*innen und Macher*innen bereits einige Male zusammen und viele kommen aus der Gegend, was natürlich einen anderen Zugang schafft. So passt es, wenn Regisseur Thomas Stuber sagt: „Ich würde überall nach etwas Besonderem oder Eigenständigem suchen.“

Zu hart?

Gesucht und gefunden, kann mensch zu diesem dramatischen und tragischen Krimi da eigentlich nur sagen. Sicherlich – sich auf das Geschehen einzulassen, dürfte nicht für jede*n leicht sein. Sobald es um Kinder geht, wird es ohnehin für einige schwierig und sehr speziell. (Höre ich zuletzt auch immer öfter in diversen True-CrimePodcasts, wenn es dafür auch erstaunlich viele Folgen zu Kindesentführgen/-missbrauch/-tötung gibt.)

Inka Werner (Merle Staacken) auf ihrem Schulweg // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Doch lässt sich zu Der Dicke liebt sagen, dass das Buch von Clemens Meyer (als Autor u. a. auch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und mit seinem Roman Im Stein auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis gewesen) sowie die gesamte Aufbereitung dieser Episode zwar hart mit den Menschen ins Gericht gehen, dabei aber die Menschlichkeit nicht vermissen lassen. Ebenso ist der durchweg gut gespielte Film an keiner Stelle reißerisch oder auf optische Schockeffekte aus- beziehungsweise angelegt. Da gibt es ganz andere Filme, Serien und Dokumentationen zu solchen Themen, die weit weniger bewusst mit ihrem Sujet umgehen.

Wilhelm (Florian Geißelmann) im Verhör mit Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Wer sich also nicht zu sehr vor dem Bereich sträubt, sollte sich diesen zweiten Halle-Polizeiruf unbedingt ansehen. Der wirkt, wie auch der erste (und die meisten Braschs), sehr nach. Dass durchweg die Spannung gehalten wird und wir tatsächlich lange nicht so recht wissen, inwieweit Lehrer Krein nun wirklich Täter oder doch Opfer der Umstände ist, macht ihn umso intensiver.

AS

PS: Peter Kurth und Susanne Böwe sind übrigens seit langem verheiratet. Auf die Frage, wie es sei, gemeisam zu arbeiten, sagt die Schauspielerin: „Mit großem Vertrauen, Respekt und Humor arbeiten wir miteinander, leider viel zu selten. Wir kennen uns schon fast 26 Jahre und sind immer noch Freunde, meistens glücklich miteinander verheiratet und gute Kollegen. Wir tauschen uns immer über unsere Arbeiten aus. Wenn es dann zur Aufnahme beim Drehen oder zum Spielen auf der Bühne kommt, sind wir beide voll konzentriert auf diesen Moment und nehmen den anderen nur in seiner Figur wahr. Das ist immer noch überraschend und schön. Wenn die Arbeit dann vorbei ist, fällt alles ab und wir sind wieder ein Ehepaar, das einen ausgefüllten Alltag hat, mit Kindern, Enkeln, Haushalt und allem, was zum Leben dazugehört.“ Sympathisch.

Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) treffen während der Ermittlungen in der Schule auf Monika Hollig (Susanne Böwe) // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

PPS: Kommende Woche geht es im Tatort mal wieder nach Köln und diesmal ist es anders. So jedenfalls der Episodentitel.

Polizeiruf 110: Der Dicke liebt: Peter Kurth (Rolle: Henry Koitzsch) und Peter Schneider (Rolle: Michael Lehmann) (v.l.) // © MDR/filmpool fiction/Felix Abraham

Polizeiruf 110: Der Dicke liebt ist am 21. April 2024 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und anschließend für zwölf Monate in der ARD-Mediathek zu sehen.

Polizeiruf 110: Der Dicke liebt; Deutschland 2024; Buch: Clemens Meyer; Regie: Thomas Stuber; Bildgestaltung: Nikolai von Graevenitz; Musik: Bert Wrede; Darsteller*innen: Peter Kurth, Peter Schneider, Sascha Nathan, Susanne Böwe, Sophie Lutz, Johannes Kienast, Matthias Walter, Katrin Hansmeier, Andreas Schmidt-Schaller, Merle Staacken, Thomas Gerber, Romy Miesner, Jona Levin Nicolai; eine Produktion der filmpool fiction in Zusammenarbeit mit der in Halle/Saale ansässigen Produktionsfirma 42film im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks für Das Erste.

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert