Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschäftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.
Eine Woche nach dem sympathischen ARD-Interview mit Linken-Chef Bernd Riexinger hatte seine Co-Chefin Katja Kipping am Sonntag ihren Termin mit Shakuntala Banerjee im ZDF. Die beiden trafen sich im Plattenbaubezirk Dresden-Prohlis, wo Kipping unter anderem mit ihrem „Roten Wohnzimmer“ (unter freiem Himmel) Station machte.
Rote Laterne und Warnsignale
Und ähnlich wie bei Riexinger vergangene Woche ging es auch direkt um die Wahlergebnisse der Linkspartei. Kipping räumte ein, dass die Landtagswahl in Sachsen vergangenes Jahr (- 8,5 Prozent im Vergleich zur Wahl 2014) ein „tiefer Schlag“ gewesen sei und dass die Aufarbeitung mit dem Landesverband nun laufe. Joa, das ist mit elf Monaten (Wahltermin war der 1. September 2019) scheinbar eine lange Analyse, aber zumindest geht sie ehrlich mit dieser Einschätzung um. Die generelle Schwäche der Partei über viele Wahlen hinweg tut sie dann aber nicht vollständig als „einseitiges Bild“ ab, sondern geht tatsächlich auf ihre Analyse ein. Das Ergebnis lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen mit: „Wir müssen real umsetzbare Politik und Konzepte auch für den Bund liefern.“ Gut, dafür wäre in acht Jahren Vorsitz ja durchaus Zeit gewesen…
Ob gendern aus ihrer Sicht tatsächlich ein Problem in Prohlis sei, beantwortet Kipping nicht. Stattdessen antwortet sie leicht patzig, dass bei der zuvor eingespielten einminütigen Bilanz ihres Vorsitzes vollkommen vergessen worden sei, dass ihr Schwerpunkt im Bundestag stets die Sozialpolitik gewesen und hier viel erreicht worden sei – ebenso wie mit dem auch heute noch über keine Mehrheit verfügenden ersten linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen oder der ersten Regierungsbeteiligung der Partei im Westen, nämlich in Bremen. Wichtige Projekte seien dort angestoßen worden. Wie gut, dass Bremen noch immer fast überall die Rote Laterne hat und Thüringen vermutlich die Braune. Aber geschenkt.
Blechlawinen als Naturkatastrophe?
Auf den Klima-Zug springt auch Kipping auf. Natürlich sei das eine soziale Frage. Und nach ihrer Einschätzung kann sich hierzulande jemand, der viel Geld hat „den Umzug in ein überschwemmungssicheres Gebiet leisten. Wer… an den verlärmten Straßen wohnen eher die armen Menschen.“ Deshalb sei es ein großer Fehler, wenn man denke, dass man Klimaschutz und soziale Sicherung gegeneinander aufrechnen könne. Was der Zusammenhang zwischen klimabedingten Hochwässern und vielbefahrenen Straßen ist, lässt sie jedoch offen. Oder sollen Blechlawinen künftig etwa als Naturkatastrophe gelten?
Parteiinterne Kritik an der Position (sozialer Schutz stehe laut der hessischen Linken-Politikerin Janine Wissler an oberster Stelle) wischt Kipping jedenfalls weg. Damit mag sie vielleicht mehr Weitsicht beweisen als die hessischen Freunde, die zudem Kippings ansonsten eher realpolitischen Ansatz doch recht deutlich ablehnen.
Spannend und entlarvend in der Außenpolitik
Bei der Außenpolitik ist Kipping dann aber doch bei ihren Wiesbadener Kolleginnen und Kollegen. Die SPD erkenne bereits selbst, dass eine neue Friedens- und Bündnispolitik erforderlich sei. Die NATO schaffe sich gerade von allein ab, weshalb die Linke das gar nicht in Koalitionsverhandlungen diskutieren müsse. Erstens muss die Linke erst einmal in Koalitionsverhandlungen kommen, in denen die NATO eine wesentliche Rolle spielt, und zweitens wird die SPD bestimmt gerne hören, dass Kipping hier Verhandlungsmasse preisgibt.
Spannend und entlarvend wird es allerdings als es um China und die Situation in Hongkong geht. Banerjee erklärt, dass sie aus der Linken von oberster Stelle keine Kritik am Vorgehen Pekings vernommen habe. Kipping redet sich raus, kritisiert, teils zurecht, dass die Bundesregierung bei Saudi-Arabien oder Rüstungsexporten oft viele Augen zudrücke, wenn es um Menschenrechtsverletzungen gehe. Warum sie oder eine einflussreiche Stimme aus ihrer Partei Peking gegenüber keine klare Haltung beziehen, wird dabei allerdings auch nicht klarer, zumal sie sagt: „Menschenrechtsverletzungen gilt es zu kritisieren, egal wer sie begeht.“
Banerjee bohrt nach – tolle journalistische Leistung – und sagt, dass der Parteivorstand zu vielen menschenrechtspolitischen Themen Solidaritätsbeschlüsse gefasst habe, nicht jedoch zu Hongkong. Kippings Antwort: „Ja, aber wir haben uns mit dem Thema auseinandergesetzt und auch klar dazu bezogen, ähm… seufz [und dabei die Augen verdreht; Anm. d. Red.]… ja.“.
Aber Banerjee bohrt weiter nach – wirklich tolle journalistische Leistung – und sagt, dass die Partei einen Beschluss gefasst habe, in dem sie sich an die Seite italienischer Aktivisten stelle, die eine Hochgeschwindigkeitsstrecke verhindern wolle, nicht jedoch zu der Demokratielage in Hongkong oder zu Umerziehungslagern für Uiguren in China. Kipping ist jetzt sichtlich genervt und will das Thema einfach beenden.
Banerjee beißt sich fest – China bleibt Thema
Banerjee lässt sich aber nur bedingt darauf ein und will „die Verbundenheit zum ehemaligen kommunistischen China“ zum Thema machen. Kipping wiederum behauptet, dass China kein sozialistischer Staat sei, sondern ein Beispiel dafür, dass ein Einparteiensystem und Kapitalismus vom Staat gelenkt hervorragend zusammenpassen. Nun ja, Kapitalismus ist erst einmal keine Staatsform, ein Einparteiensystem jedoch ein deutliches Anzeichen für Sozialismus. Ebenso wie die Überwachungsmaschinerie, die China aufgebaut hat. In der DDR gab es die Stasi, in China gibt es heute Social Scoring. Die Wirkprinzipien sind sich so ähnlich wie es die alte SED mit der heutigen Linkspartei ist.
Kipping jedenfalls erwartet, dass mit allen Regierungen (hier fehlt bestimmt nicht zufällig das Attribut „demokratisch“) das Gespräch gesucht werde. Die Rolle ihrer Partei beschreibt sie folgendermaßen: „Ja Mensch, und wenn alle auf die draufhauen, müssen nicht wir noch draufgehen, sondern wir müssen dann eher sagen: ‚Bei aller berechtigter Kritik müsst ihr trotzdem das Gespräch suchen.‘“
Das erinnert an eine Aussage von Kippings Vorgänger Gregor Gysi vor etwa zehn Jahren in einem Sommerinterview. Er sagte damals zu der Ablehnung seiner Partei zum Engagement Deutschlands in Afghanistan, dass, wenn alle dafür seien, wenigstens die Linke dagegen sein müsse, damit die, die ebenfalls gegen ein deutsches Engagement seien, ein Sprachrohr hätten.
Wie bitte? Fundamentalopposition, nur damit halt irgendwer dagegen ist? Und ähnlich bei Kipping: Wenn alle jemanden zurecht kritisieren, dann müssen wir das ja nicht auch noch tun? Geht’s noch? Was ist das für ein Verständnis von offenem Dialog? Kippings abschließende Äußerungen und die durchaus berechtigte Kritik an den Anti-Corona-Demos am Wochenende in Berlin sowie die aus ihrer Sicht sozial verfehlte Politik der Bundesregierung kann bei solchen Positionen nur eine Fußnote sein.
Die Linke kann nicht getrost als „demokratische Partei“ bezeichnet werden
Dieses Interview spricht Bände, wenn es um das tatsächliche Rechts- und Demokratieverständnis der Linkspartei geht. Einer solchen Partei Verantwortung im Bund, im Land, auf kommunaler Ebene oder auch nur in der Elternvertretung zu geben scheint mir also auch 30 Jahre nach dem Mauerfall völlig menschenverachtend. Es bleibt zu hoffen, dass der Verfassungsschutz hier genau hinhört, ebenso wie möglichst viele Wählerinnen und Wähler, potentielle Sympathisantinnen und Sympathisanten der SED-Nachfolgepartei. Und dass sie alle ihre Schlüsse aus Kippings Einlassungen ziehen. Das Schlimme ist allerdings, dass sie selbst dabei noch sympathischer wirkte als ihr Co-Vorsitzender am vergangenen Wochenende.
HMS
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