Rotkäppchen und der böse Hund

Faschingszeit in München – Tötungszeit in München. Am Faschingswochenende wird ein älterer Mann leblos aufgefunden. Er ist eine Treppe hinuntergefallen – oder gestoßen worden? Das haben die beiden Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) gemeinsam mit ihrem Adjutanten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) im Tatort: Kehraus zu ermitteln.

Fasching in „Irmis Stüberl“

Von Bienchen getragen fliegen Batic und Leitmayr schnell in der Bar „Irmis Stüberl“ ein, deren Einlassstempel zur heutigen Faschingsparty bei dem Toten auf dem Handgelenk prangte. Vom Rotkäppchen bis zum „Indianer“ tummeln sich hier einige, die den Toten auf dem Gewissen haben könnten. Gerade mit dem Rotkäppchen (Nina Proll), das im wahren Leben auf den Namen Silke Weinzierl hört, gab es wohl eine Annäherung besonderer Art.

Läuft bei Silke Weinzierl (Nina Proll) // Foto: © BR/Lieblingsfilm GmbH/Peter Nix

Weinzierl hat bereits manch eine Niederlage im Leben erlitten, ist derzeit in akuter Geld- und Wohnungsnot, droht das Sorgerecht für ihren Sohn zu verlieren und wittert nun scheinbar die Chance, aus ihrer Misere auszubrechen. Dass der Tote sein Geld mit dem Handel von Gold verdiente und möglicherweise in manch ein Geldwäschegeschäft verwickelt war, führt zu manch folgenreicher Wendung für sie und das Ermittlerteam.

Überschätzung

Aus diesem zuerst so unspektakulär scheinenden Todesfall entspinnt sich eine teils tragische Geschichte, die die Zuschauerinnen und Zuschauer einerseits halbwegs unterhalten, aber mit zunehmender Dauer auch ein wenig nerven kann. Weinzierl unterschätzt an vielen Stellen das Risiko, das sie eingeht, überschätzt sich und ihre eigene Gewieftheit, schlägt Warnungen in den Wind und muss doch sehr schmerzhaft ihren Irrtum erkennen.

Hicks // Foto: © BR/Lieblingsfilm GmbH/Peter Nix

Bei alldem gerät die Aufklärung des Falls eigentlich in den Hintergrund. Was wir uns beim letzten Tatort aus dem Schwarzwald ein wenig wünschten – dass er um eine halbe Stunde gekürzt worden wäre – ist hier de facto eingetreten, denn der Fall kommt bereits durch eine etwas abstruse Situation zu einem Ende. Die sich um Weinzierl entspinnende Geschichte wird zum Hauptthema des gesamten Falls und überlagert diesen dann vollends. Aus einem nur mäßig spannenden Krimi wird auf diese Weise ein noch weniger fesselnder Thriller, den uns Regisseurin Christine Hartmann und die Drehbuchautoren Stefan Betz und Stefan Holz hier vorsetzen.

Alltagsrassismus und „Schnick-Schnacki“

Ein etwas besonderes Ärgernis: Der Begriff des „Indianers“ wird zwar anfangs durchaus korrekt eingeordnet – heutzutage sollte er nicht mehr verwendet werden – allerdings wird in der weiteren Folge doch noch einmal dieser Begriff unkritisch benutzt. Gerade für das vielleicht etwas gesetztere Publikum des Münchener Teams, das sich vielleicht schon „zu alt“ fühlen mag, um das eigene Vokabular zu überdenken, wurde hier eine Möglichkeit vertan, dass Batic und Leitmayr ein Vorbild abgeben.

Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, Mitte) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) zeigen Anna Pollinger (Monika Gruber) ein Bild. // © BR/Lieblingsfilm GmbH/Luis Zeno Kuhn

Ein kleines Schmankerl – bei den Kölner Kollegen Ballauf und Schenk würden wir vermutlich von Kamellen sprechen: Die Kabarettistin Monika Gruber hat an zwei Stellen einen soliden und dezent humorvollen Gastauftritt, Klischees über die Münchener Schickeria und böse Vermieterinnen inklusive. Auch wenn Gruber sich über die Möglichkeit gefreut haben dürfte, sich hier– wie sie selbst in einem Statement sagt – in einer ihr ähnlichen Figur als „redselig, [mit] zu viel Schminke, zu viel Schnicki-Schnacki“ zu zeigen und wenn sie damit kokettiert, dass sie „auch ohne Gage mitgespielt“ hätte, dürfte sie sich über diese doch gefreut haben.

Kabarett, Krieg und Kehraus

Ihre Kollegin Christine Prayon jedenfalls, deren jüngstes Buch Abschiedstour wir kürzlich besprochen haben, hat uns noch einmal verdeutlicht, wie sehr Kabarettistinnen und Kabarettisten unter den Auswirkungen von Corona leiden und gelitten haben. Ach ja, und ein Wiedersehen mit der vormaligen BVB-Tasse des Dortmunder Kollegen Peter Faber, der erst letzte Woche im Tatort: Liebe mich dramatisch seine Kollegin Martina Bönisch verloren hat, gibt es auch dieses Mal wieder.

Der Münchener Tatort: Kehraus reicht jedoch in Sachen Spannung und Unterhaltung nicht ansatzweise an seinen Kollegen aus Dortmund heran. Angesichts all der dramatischen Entwicklungen in der Ukrainewir haben hier ein paar Stimmen vereint – bietet Kehraus zwar die seichte Ablenkung, die mensch in dieser Situation manchmal sucht, aber eine gründliche und kritische Information über die russische Aggression ist in dieser Woche aus unserer Sicht leider vorzuziehen.

HMS

Tatort: Kehraus läuft am 27. Februar im Anschluss an den Brennpunkt zur Situation in der Ukraine um 20:30 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Kehraus; Deutschland, 2021/2022; Buch: Stefan Betz, Stefan Holtz; Regie: Christine Hartmann; Kamera: Peter Nix; Musik: Fabian Römer; Darstellende: Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Ferdinand Hofer, Nina Proll, Moritz Vierboom, Johanna Bittenbinder, Thomas Unger, Max Schmidt, Stefan Betz, Monika Gruber; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion von Lieblingsfilm (Produzenten: Robert Marciniak und Philipp Budweg) im Auftrag des BR

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