Wer hat Angst vor der Wirklichkeit?

Dass die CDU ein Problem hat, wenn es um die Repräsentanz von Frauen geht ist nichts Neues. Der Frauenanteil in der Partei liegt bei 26 Prozent, wie Kristina Dunz gestern nochmals in der Rheinischen Post betonte. Da hilft es auch nichts, dass die CDU zwei weibliche Vorsitzende in Folge hatte, die erste Kanzlerin stellte, ebenso die erste Verteidigungsministerin (und die zweite) und nun die erste Präsidentin der Europäischen Kommission. Dieser Problemsituation ist sich auch die Noch-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bewusst, wie sie erst jüngst im Bericht aus Berlin-Sommerinterview zu Protokoll gab. Sie verwies auf die Arbeit der Satzungskommission und bat darum, die Ergebnisse dieser abzuwarten, sprach sich allerdings auch konkret für eine Frauenquote, also Parität, aus. 

Kuban so yay, Hamker so nay

Nun hat sich die Satzungskommission nach elfstündigen Verhandlungen unter Führung des CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak auf einen Kompromiss geeinigt, der für Gruppenwahlen von Vorständen gilt. Schrittweise soll die verpflichtende Quote angehoben werden: ab dem 1. Januar 2021 auf 30 Prozent, ab dem 1. Januar 2023 auf 40 Prozent und dann final ab dem 1. Januar 2025 auf 50 Prozent, so dass diese zur übernächsten regulären Bundestagswahl gelten würde. 

Nach einigem Zuspruch und auch notwendiger Zustimmung innerhalb der Kommission, überraschenderweise auch vom Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban, gibt es natürlich bereits auch kritische Stimmen. So sagte beispielsweise die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, der Passauer Neuen Presse: „Bei der CDU frage ich mich, ob sie angesichts einer Bundeskanzlerin, einer EU-Kommissionspräsidentin und derzeit noch einer Parteivorsitzenden sowie drei von fünf Spitzen ihrer Bundesministerien in weiblicher Hand überhaupt diese Frauendebatte braucht.“

Nach dieser Einlassung dürften einige CDUler einigermaßen entzückt geseufzt haben. Nicht nur, weil sich eine erfahrene Frau, die es ohne Quote geschafft hat, gegen die Quote ausspricht, sondern auch, weil sie mit dem beliebten, wenn auch letztlich einzigen Argument kommt, dass Frauen in der Partei doch seit Langem die höchsten Positionen bekleideten. Dass das natürlich nur ein Scheinargument ist, inhaltlich so entleert wie die Digitalstrategien Anja Karliczeks, spielt keine Rolle. Abgesehen davon, dass die Parteivorsitzende auch eine der drei genannten Spitzen der Bundesministerien ist. Angela Merkel wird nicht erneut kandidieren, Annegret Kramp-Karrenbauer tritt im Dezember als Parteivorsitzende ab und bisher haben sich nur Männer um ihre Nachfolge beworben. Die EU-Kommissionspräsidentin ist für viele Menschen in der Wahrnehmung einfach nur weit weg. Und damit bleibt das Problem der CDU: Es gibt zu wenige Frauen auf Kreis- und Landesebene und das führt auch dazu, dass weniger Frauen eintreten und weniger Frauen die Partei wählen.

Eine Art neue Normalität?

Dass die CDU im Weiteren ein Problem mit „diesen Homos“ hat, ist auch nicht so neu und dass AKK in diesem Zusammenhang einiges zu lernen hatte ebensowenig. Nun will sie diskriminierte  homosexuelle Angehörige der Bundeswehr entschädigen. Ebenso hat die Satzungskommission beschlossen, den Bundesverband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) als festen Bestandteil der Union anzuerkennen und ihn offiziell zur Sonderorganisation zu machen. Man habe jetzt „die Chance, unsere CDU in der gesellschaftlichen Realität ankommen zu lassen und sich für die Rechte aller im Bereich LGBTQ einzusetzen“ heißt es in einem Entwurf Ziemiaks zu diesem Thema. Die ursprüngliche Initiative ging vom Berliner Landesverband der CDU aus.

Sofort meldete sich die Werte Union zu Wort und kündigte an, ebenfalls einen solchen Status anzustreben; sie sei auch weit mitgliederstärker. Mag sein, doch besteht sie seit gefühlt fünf Minuten und reitet auf einer populistischen Stimmungswelle, inhaltlich jedoch völlig entleert. Die LSU beweist seit 1998, dass sie entgegen vieler Widerstände so einiges durchbekommt und in die Partei hineinwirken kann und ebenso eine Außenwirkung hat, die für die von vielen doch als eher konservativ wahrgenommene Partei CDU sehr nützlich ist. 

Beide Vorschläge müssen noch auf dem für Anfang Dezember geplanten Bundesparteitag positiv beschieden werden. Und das dürfte möglich, aber nicht selbstverständlich sein.

Heißt das also nun – Frauen rein, Männer raus; Homos hoch, Heten unterbuttern? Und dann wählen nur noch alternative urbane Hipster mit grünen Fondsanleihen die CDU? Nein, Blödsinn. Aber es gibt genug engagierte junge Frauen, ohne die die CDU nicht dort wäre, wo sie ist. Es gibt so, so viele Homos, die auf verschiedenen Ebenen für die Partei oder ihr nahestehende Organisationen tätig sind.

Zugegeben, die CDU mag einen hohen Altersdurchschnitt bei ihren Mitgliedern haben, was aber noch lange nicht heißt, dass die alle nur Heimchen am Herd als Ehefrau und heterosexuelle Fußballspieler als Söhne wollen. Genau so wenig wählen nur die Mitglieder diese Partei. Und, ohne Scheiß, der Partei sterben ihre Wähler weg und nicht jeder junge Wähler ist ein stänkernd-konservativer JU-Anhänger.

Merkel, „Mutti“, zieht, denn wir kennen sie. Sie gewinnt die Wahlen, die Milchkanne ohne 5G (vermutlich gar ohne W-LAN) eher nicht. Es stimmt, was in Ziemiaks Entwurf steht: Es ist Zeit in der gesellschaftlichen Realität anzukommen. In der wirklichen Neuen Normalität, die doch eigentlich längst da ist. Wer jetzt so tut, als sei das nicht nötig oder sagt „es reiche jetzt auch mal“, macht sich entweder etwas vor oder, schlimmer noch, ist der festen Überzeugung, Veränderung sei böse und definiert sich zusätzlich gern als jemand, der traditionelle Werte hochhalte. Meiner Ansicht nach handelt es sich dann um ein ignorantes Arschloch, das auch den Begriff Konservatismus nicht kapiert hat.

Wie will man 2025 oder gar 2029 noch Wahlsieger werden und den Anspruch haben die Mehrheit der Gesellschaft zu repräsentieren, wenn man sie nicht durch die Tür lässt? Also: mehr – lesbische – Frauen in Parteiämter, mehr Sichtbarkeit von LSBTQ*-lern, die Welt wird nicht untergehen, sogar ganz im Gegenteil. Und mindestens genau so wichtig – gerade deswegen wird auch die CDU nicht untergehen. 

AS

Peace ✌️🌈

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