Die Kunst liegt auf der Straße

Beitragsbild: HEAD BANGER BOOGIE, Installation view // © Ser Serpas/Jens Ziehe/Galerie Barbara Weiss, Trautwein & Herleth

Eine Ausstellung in der Galerie Barbara Weiss in Kreuzberg gibt mit den neuesten Skulpturen der US-amerikanischen Künstlerin Ser Serpas eine Anleitung zur Kunstherstellung aus Zivilisationsmüll.

Von Nora Eckert

Ihre Ausstellungen beginnen mit ausgedehnten Wanderungen durch den Stadtraum. Mit ihrem Gang durch die Straßen, über Plätze und auf Höfe hält sie Ausschau nach Material für ihre Skulpturen. Ser Serpas ist ausschließlich an dem interessiert, was wir Sperrmüll nennen und wegwerfen, und was den urbanen Raum permanent vermüllt. Manchmal freilich ist das auch ein kostenloser Schnäppchenmarkt. In einer Stadt wie Berlin gibt es davon trotz einer funktionierenden Stadtreinigung mehr als genug.

Ser Serpas, say me and object, 2022 // © Jens Ziehe/Galerie Barbara Weiss, Trautwein & Herleth

Berlin ist reich an Müll. Aber was ist daran Kunst? Alles, denn Kunst ist, was wir zur Kunst machen und erklären. Und das Erstaunliche, es funktioniert und fasziniert, es provoziert und bringt uns zum Nachdenken. Kunst hat schon immer unsere Wahrnehmung beeinflusst und gelenkt. Ihr Blick für alles brennt sich förmlich in unser Gehirn ein und wächst zu einem stets abrufbereiten Bildreservoir. Serpas‘ Skulpturen enthalten ein solches invasives Potenzial.

Die Pop Art lehrte uns „All is pretty“, die Postmoderne das „Anything goes“ und Ready-made, Objektkunst und Arte povera, dass beispielsweise ein Urinal und ein auf einem Stuhl montiertes Rad genauso ästhetisch ist wie die alltäglichen Materialien Erde, Holz oder Metall in ihrer puristischen Präsentation. Seit Joseph Beuys sozialer Plastik besitzen wir zudem einen erweiterten Kunstbegriff, wie er es nannte, indem eine plastische Kunst in soziale und politische (Denk-)Räume hineinwächst und sich dort andockt, verbunden mit der Botschaft „Jeder Mensch ist ein Künstler“.

Ser Serpas, deserved killing field desert, 2022 // © Jens Ziehe/Galerie Barbara Weiss, Trautwein & Herleth

Ser Serpas‘ Kunst kommt also keineswegs aus dem Nichts. In der Galerie Barbara Weiss sind es vor allem Einrichtungsgegenstände, die entweder für sich oder in Kombination mit anderen Materialien stehen. Da gibt es den Lattenrost, der als bloßer Rahmen ein wildes Zickzack in die Luft zu schreiben scheint. In einer anderen Ecke sehen wir ein auf Eck gestelltes quadratisches Regal, das in einem Autositz ruht. Dann gibt es da die zwei Einkaufswagen aus dem Supermarkt, die ineinander montiert sind und durch die sich eine Matratze schlängelt. Oder es ist dieser ausgediente Kühlschrank, hoch aufragend und mit einem Sockel aus Holzbrettern, der einen geradezu majestätischen Anblick bietet. Alles, was wir in der Ausstellung sehen, ist exklusiv für diesen Ort entstanden. In einem Nebenraum sind zudem all die Materialien gestapelt, die keine Verwendung fanden, aber einen gut gefüllten Fundus bilden.

Ihre Skulpturen sind, wie ich es sehe, anregende Beispiele für einen erweiterten Kunstbegriff. Denn es geht Serpas keineswegs nur darum, Aussortiertes und Weggeworfenes mal eben als Kunst zu definieren oder zu framen – wie man heute auf Neudeutsch sagt. Denn mit den Skulpturen, die herausgehoben, ihrer ursprünglichen Nutzung enthoben in der Galerie präsentiert werden, sozusagen mit Verfremdungseffekt, steht auch die Frage im Raum: Was macht eine solche Kunst mit uns? Die denkproduktive Verunsicherung gehört also mit dazu, ist Teil eines nicht allein ästhetischen Programms. 

Ser Serpas, fucked layabout forgiving, 2022 // © Jens Ziehe/Galerie Barbara Weiss, Trautwein & Herleth

Die 1995 in Los Angeles geborene Ser Serpas ist gerade dabei, sich im internationalen Kunstbetrieb einen Platz zu erobern – und sie tut es wohl mit Erfolg. Sie war in den letzten vier Jahren in New York und Los Angeles zu erleben, in Zürich, Tiflis, Paris und jetzt Berlin. Sie arbeitet nicht nur skulptural, sondern ist auch durch Performances hervorgetreten und sie schreibt Gedichte. Vielleicht ist Letzteres der Grund, weshalb sie ihren Skulpturen ebenso witzige wie bizarre Titel verleiht. Die erwähnten Einkaufswagen heißen „fucked layabout forgiving“, der Kühlschrank „traveled well seething“ oder das Regal im Autositz „deserved killing field desert“.

Politisch erscheint mir diese Kunst, indem sie einen Blick auf Lebensverhältnisse unter kapitalistischen Bedingungen eröffnet. Private Räume entleeren sich nach außen, werden gewissermaßen öffentlich. Unser Leben präsentiert sich hier als absolut konsumorientiert und als erbarmungslos in der Verschwendung von Ressourcen. Faszinierend finde ich überdies, dass ihre Kunst aus Stadterkundungen heraus entsteht, aus der bewussten und unkonventionellen Aufmerksamkeit für einen im positiven wie prekären Sinn sozialen Stadtraum, der aus lauter Fragmenten besteht.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

Ser Serpas, traveled well seething, 2022 // © Jens Ziehe/Galerie Barbara Weiss, Trautwein & Herleth

Zu sehen ist die Ausstellung HEAD BANGER BOOGIE noch bis zum 25. Juni in der Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Str. 41/43, 10999 Berlin (Kreuzberg), dienstags bis samstags von 11 bis 18 Uhr.

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert