Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschäftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.
Eine Woche nach Saskia Esken stand gestern ihr Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans Rede und Antwort beim Sommerinterview, diesmal im ZDF mit Theo Koll. Und in Kürze lässt sich festhalten, dass NoWaBo zwar nicht gerade der Typ Schwiegersohn/-vater ist, den man sich wünscht, aber er dennoch trotz teils streitbarer Aussagen und unglaublich vieler Ausweichmanöver sympathischer rüberkam als seine SPD-Co-Vorsitzende.
Von Umfragen und Anschlussverwendungen
Koll steigt mit den acht Monate nach Amtsantritt immer noch miserablen Umfragewerten der Ex-Volkspartei ein, auch wenn sie sich nach der Verkündigung des Kanzlerheilands Scholz immerhin auf 18 Prozent gestiegen sind. Zu den vom Führungsduo ausgerufenen 30 Prozent ist es aber dennoch noch ein Stück. Ex-Kanzler Gerhard Schröder rechnet dennoch bereits heute mit einem Kanzler der Union nach der nächsten Wahl.
Anders als seine Vorgänger Schröder oder Gabriel will NoWaBo nach Ende seines Vorsitzes (schön, dass der jetzt schon ins Spiel gebracht wird – wird auch langsam mal wieder Zeit für einen Wechsel an der SPD-Spitze) keine Lobbyaufträge für die Wirtschaft aufnehmen. Hilfreich ist dabei allerdings bestimmt, dass NoWaBo nach dem frühesten Ende seines Vorsitzes (also heute) mindestens 68 Jahre alt ist und das Rentenalter bereits erreicht hat – Schröder und Gabriel waren ja doch jeweils etwas jünger.
Coup oder Scheitern?
Ob die Scholz’sche Ausrufung ein Coup oder ein Scheitern der Parteiführung sei, will Koll nach einem einminütigen Einspieler über die bisherige Amtszeit des Tandems wissen. NoWaBo windet sich in der Bredoullie ein wenig, denn Scholz war ja ihr unterlegener Kontrahent im Rennen um den Parteivorsitz, soll nun aber gut genug sein, das Land zu führen. Wie gesagt, er windet sich, legt sich schließlich aber doch fest, dass es ein Coup gewesen sei. Aha… Hoffentlich entpuppt der sich nicht als Coup d’etat.
Nicht einmal gewunden hat er sich vor der Wahl zum Parteivorsitzenden als Esken sich bei Markus Lanz weigerte, Olaf Scholz einen „standhaften Sozialdemokraten“ zu nennen. NoWaBo saß damals seelenruhig daneben – Gesicht verzerrt – aber eingegriffen hat er nicht als Esken sich mehr als unglücklich verstieg. Er schiebt Eskens Aussage auf „die Schlussphase […] des Stichwahlkampfes“ und das „Adrenalin“. Man gehe als Partner da nicht dazwischen und übernehme die Rolle des Kommentators. Aber wofür braucht’s denn dann eine Doppelspitze? Und was macht Saskia Esken, wenn sie das nächste Mal in der Schlussphase eines Wahlkampfs unter Adrenalin steht? Wirft sie vielleicht der CDU Volksverhetzung oder der Linken Kapitalismus vor? Und wird NoWaBo dann auch wieder danebenstehen? Glücklicherweise gibt es nächstes Jahr ein paar Wahlkämpfe, in denen wir es herausfinden, wenn die beiden dann noch Vorsitzende sind.
Bündnisoptionen
Das Gespräch wechselt nun zu den Koalitionsoptionen. NoWaBo erklärt die Linke zu einer demokratischen Kraft, die AfD nicht – einige Punkte der Linken aber auch wiederum nicht. Der 30-Stunden-Woche, die die Linke jüngst vorschlug, steht NoWaBo grundsätzlich offen gegenüber, aber man müsse Auswirkungen vor allem finanzieller Art natürlich berücksichtigen. Hier hätte der Finanzminister Scholz bestimmt auch eine Meinung zu.
Koll scheint aber unsere Analyse des Interviews mit Esken letzte Woche gelesen zu haben, denn er fragt nach den Unterschieden, die sich bei einer Koalition mit der Linkspartei ergäben und die NoWaBos Co-Vorsitzende letzte Woche völlig überging. In der Außenpolitik sieht Koll große Differenzen und nennt auch einige: Bundeswehreinsätze, NATO-Mitgliedschaft, etc. NoWaBo hat zu allem etwas zu sagen, nur nicht zu der eigentlichen Frage. Da würde man von einem Parteivorsitzenden erwarten, dass er klare Positionen und Bekenntnisse (zum Beispiel zum westlichen Werte- und Verteidigungsbündnis, internationaler Verantwortung, Asylrecht, etc.) einnimmt. Fehlanzeige!
Koll hakt unter Bezugnahme auf Außenminister Heiko Maas‘ Reise nach Moskau in der vergangenen Woche nach. Es ging unter anderem um den Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin, der vom russischen Geheimdienst orchestriert worden sein soll. Gleichzeitig zu der Reise soll eine Linken-Politikerin die Forderung nach Ende der Strafmaßnahmen gegen Russland versandt haben. Darauf kann man nicht – wie NoWaBo es tut – mit „einer dynamischen Wirtschaft, die auch Neues wagt“ und „die Bekämpfung des Klimawandels“ antworten, sondern hier gehören ein klares Bekenntnis zum Völkerrecht, zur Souveränität der Bundesrepublik und eine scharfe Abgrenzung, vielleicht sogar Sanktionsdrohungen her. Aber scheinbar ist NoWaBo hier näher bei Gerhard Schröder als an früherer Stelle im Interview.
Beinfreiheit oberhalb und unterhalb der Mitte, stets in Ausweichposition
Auf Scholz‘ Kanzlerkandidatur angesprochen erwartet NoWaBo, dass das vom vorletzten Kandidaten Peer Steinbrück auf die Agenda gesetzte Thema der „Beinfreiheit“ keine Relevanz habe, da man Scholz kein nicht zu ihm passendes Programm überstülpen werde. Wieso nur geben dann die Parteivorsitzenden diese strategisch völlig unnötigen Koalitionsdiskussionen vor und lassen das nicht den Kandidaten selbst machen? Oder unterbinden es für den Moment, was noch besser wäre? Oder ist es einfach so, dass sie Scholz die Beinfreiheit einfach nicht zugestehen?
Egal, Wahlen werden – nicht wie Koll sagt – in der Mitte gewonnen, sondern mit der Mehrheit. Aha. Trivia des Tages. „Die Mitte ist erst mal von sich ausgehend ein Punkt“, sagt NoWaBo. Aha, Trivia 2 des Tages. Zumal er „die Mitte“ anhand von Einkommensgruppen definiert (und die untere Hälfte dabei in der Vergangenheit vernachlässigt worden sei). Üblicherweise gibt es in diesem Zusammenhang aber keine Einkommensgruppen, sondern links oder rechts von diesem Punkt. Erneut: Falsche Antwort NoWaBo, weil mal wieder ausgewichen.
Nächstes Ausweichmanöver in der abschließenden Frage: Nach der Wahl lieber Juniorpartner oder Opposition (aka „Mist“ laut Franz Müntefering)? NoWaBo strebt an, so stark zu sein, dass andere überlegen müssen, ob sie Juniorpartner der SPD sein wollen. Was keine Antwort auf die Frage ist, weshalb Koll erneut nachhakt, NoWaBo aber erneut ausweicht. Abschließende Frage unsererseits daher: Sind er und Saskia Esken nicht damals angetreten und gewählt worden, weil sie eben nicht den typischen ausweichenden, wachsweichen Politikersprech haben? Wollten sie nicht mehr „Standhaftigkeit“ in die Sozialdemokratie bringen? So wie dieses Interview lief, können sie damit jedenfalls nicht überzeugen.
HMS
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