Man wünscht sich ja wirklich, dass man mal andere Parteien als die SPD ihrer Bigotterie überführt. Ok, in der Affäre Amthor hätte man auch über das Agieren der CDU schreiben können. Aber die SPD liefert halt immer Beispiele, die alles überstrahlen. Und dieses Mal hat erneut der Ex-Vorsitzende Sigmar Gabriel dafür gesorgt, dass sich seine Partei mal wieder zerlegt.
Der frühere Vizekanzler, Außen-, Wirtschafts- und Umweltminister, Parteivorsitzende und sonst noch einiges Weitere hatte während der Hochzeit der Coronakrise für ein Quartal einen mit einem monatlichen Salär von 10.000 Euro dotierten Beratervertrag bei Tönnies. Genau, bei dem Laden, der gerade die Kreise Gütersloh und Warendorf wieder in den Lockdown geschickt hat. Wir wollen uns aber gar nicht mit der Thematik an sich beschäftigen, sondern mit der innerparteilichen Hygiene und wie sauber die Verantwortlichen mit Gabriel in dieser Affäre umgehen.
Weil die SPD ja nirgendwo Sümpfe trocken legen darf
Da wäre zum Beispiel Stephan Weil, als Ministerpräsident von Niedersachsen Nachfolger in einem weiteren früheren Amt Gabriels, der Gabriels Beratertätigkeit „befremdlich und peinlich“ findet. Nun, befremdlich und peinlich ist auch, was Volkswagen mit dem Dieselskandal alles ins Rollen brachte – eine Firma, bei der Weil seit Jahren im Aufsichtsrat sitzt.
Ein weiteres Statement kommt vom SPD-Kreisvorsitzenden von Gütersloh, Thorsten Klute, der sagte: „Für uns ist das eine richtig blöde Sache, wir kämpfen hier vor Ort seit Jahren gegen diesen Sumpf rund um die Werkverträge in der Fleischindustrie.“ Hm, welche Partei rühmt sich nochmal ihres Stammlandes NRW und hat dieses seit 1967 mit Ausnahme der Rüttgers-Jahre (2005 – 2010) sowie aktuell seit 2017 unter dem CDU-Vorsitzkandidaten Armin Laschet regiert? Richtig, die SPD. Gab es denn da nie Gelegenheit, diesen „Sumpf rund um die Werkverträge“ trockenzulegen?
Esken und NoWaBo erklären die Sache mit dem Mindestabstand
Ganz besonders sauer stößt ein Statement der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf. Sie sagten dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Ehemalige Vorsitzende sind der SPD keine Rechenschaft schuldig, wenn sie nach ihrer aktiven Zeit Tätigkeiten für andere aufnehmen […] Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“
Ernsthaft? Gut, Rudolf Scharping wurde nach seinem Vorsitz irgendwann noch Verteidigungsminister, dann Vorsitzender des Bundes Deutscher Radfahrer. Andrea Nahles wird ab 1. August ihren Job als Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation antreten, mit dem sie ihr Parteifreund, Vizekanzler Olaf Scholz, jüngst versorgt hat – übrigens auch üppig mit einem Jahressalär von bis zu 200.000 Euro, wie das Handelsblatt berichtete, also mehr als Sigmar Gabriel für seine Beratertätigkeit bekommen hat (auch wenn er vermutlich noch weitere Einkünfte gehabt haben dürfte).
Putinversteher sind also aufrechte Sozialdemokraten?
Aber geschenkt. Denn ausgerechnet in dieser Woche machte noch ein Ex-Parteivorsitzender von sich reden: Gerhard Schröder, bislang letzter SPD-Bundeskanzler und heute Aufsichtsratsvorsitzender beim Mineralölkonzern Rosneft sowie der NordStream AG. Zur Erinnerung: Die beiden Firmen sind quasi russische Staatsunternehmen (mit Minderheitsbeteiligungen aus anderen Ländern), also Unternehmen, die de facto vom russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin kontrolliert werden. Genau, der Putin, der sich jetzt eine neue Verfassung hat geben lassen, um gefühlt ewig regieren zu können. Der grüne Männchen in die Ukraine geschickt hat. Der in seinem Land unablässig gegen Homosexuelle hetzt.
Für Männer wie Schröder wurde der Begriff „Putinversteher“ erfunden. In dieser Woche sagte er auf Einladung der Linkspartei (was an sich schon abstrus genug ist) als „Sachverständiger“ im Wirtschaftsausschuss zur Gaspipeline Nord Stream 2 aus. Und ausgerechnet in dieser Woche erdreisten sich die aktuellen Vorsitzenden, öffentlich zu erklären, dass sich aus den Grundwerten der Partei ergebe, „an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält“ und dass „aufrechte Sozialdemokraten“ sich daran hielten? Also wirklich!
Esken und Walter-Borjans verkennen offenbar, welche Karenzregelungen ihre eigene Partei – und zwar nicht zuletzt wegen des Engagements von Schröder – als Regierungspartei auf den Weg gebracht hat. Gabriel hat sich an geltendes Recht gehalten. Ob es moralisch angemessen ist, für jemanden wie Tönnies zu lobbyieren – oder ihn, wie Gabriel sagt zu beraten – sei dahingestellt. Aber die Schärfe, mit der die beiden Vorsitzenden Gabriels Handeln verurteilen ist nicht angemessen und entspricht wohl eher einem gut gewetzten Tönnies-Schlachtermesser.
HMS
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