Hat der arme Mann denn nicht schon genug mitgemacht, möchte mensch sich angesichts der Geschichte, die der seit 2012 von Jörg Hartmann gespielte Dortmunder Kriminalhauptkommissar Peter Faber bereits hinter sich hat, fragen. Verlust der Familie, mehrmals, Unmengen an Dämonen innen wie außen, trotz großer Ermittlungserfolge nicht immer wohlgelitten bei Arbeitgeber und Kolleg*innen, vormals häufige Konfrontation mit einem Serienkiller und zuletzt noch der Tod seiner Kollegin, besten Freundin und schon auch Geliebten Martina Bönisch (Anna Schudt).
Niemals geht sie so ganz
Im Grunde kann der Tatort aus Dortmund, was die Entwicklung der Figuren angeht, als einer der stringentesten gelten, wenn natürlich auch das Motto ein abgeschlossener Fall pro Folge zumeist eingehalten wurde. Nichtsdestotrotz haben die Macher*innen über gut zehn Jahre und 22 Episoden vor allem mit dem aus guten Gründen Arschloch-Charakterkopf Faber und der resoluten Bönisch ein komplexes Gespann geschaffen, dem zu folgen über Jahre so viel Freude wie zuweilen Schmerz mit sich brachte.
Anna Schudts Ausstieg auf eigenen Wunsch hat, das geben wir gern zu, uns durchaus etwas getroffen. Eben weil dieses Team (neben dem ebenfalls gesprengten Berliner Duo Karow-Rubin) zu den stärksten der Krimi-Reihe gehörte. Nun also, bald ein Jahr nach dem beinahe schon fulminanten Liebe mich!, wird sich im Tatort: Du bleibst hier der Frage gestellt, wie mit der klaffenden Lücke, die Schudt/Bönisch hinterlässt, umgegangen wird.
Blutspritzer
„Es ist sein Film“, sagt Drehbuchautor Jürgen Werner, der über die Hälfte der Dortmunder Folgen geschrieben und ihn vor zehn Jahren geboren hat, über die Rolle Jörg Hartmanns, der erstmalig den Großteil des Drehbuchs verantwortet. Es hätte wohl keine passendere Premiere geben können. Eine gelungene ist es dazu, jedenfalls für jene Zuschauer*innen, die das Team, zu dem seit bald fünf Jahren auch Jan Pawlak (Rick Okon) und zuletzt Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) gehören, schätzen und sich gern auf eine so spannende wie dramatische Reise mit ihnen einlassen wollen, die durchaus einigen Sprengstoff bereithält…
Zu Beginn sieht auch Peter Faber eher so aus, als sei neben ihm eine Granate explodiert. Zu sehr hat ihn der Tod Bönischs mitgenommen. Wie ein Einsiedler lebt der Krankgeschriebene nun am Stausee in Herdecke, verkriecht sich vor der ganzen Welt. Martinas dieser Folge den Titel gebenden Aufforderung „Du bleibst hier“ nachkommend, hat er sich immerhin nicht das Leben genommen…
…in Dortmund hingegen dreht die Welt sich weiter. Blutspuren im Dortmunder Westpark rufen Rosa Herzog, Jan Pawlak und Gerichtsmedizinerin Dr. Gerda Leitner (Sybille Schedwill) auf den Plan. Scheinbar gehören sie zu Andreas Richter, dem Chef einer Dortmunder Immobilienfirma, deren Geschäftsmodell es ist, Immobilien im Kreuzviertel aufzukaufen und in begehrte Luxusobjekte umzuwandeln. Jedoch: Von Richters Leiche fehlt jede Spur. Besuche bei seiner Noch-Frau Natalja (Valery Tscheplanowa) samt ihrem durch gestrecktes Ecstasy halbseitig gelähmten Sohn Jannik (Linus Moog), den jugendlichen Dealer-Freunden im Park und in der Nachbarschaft des Vermissten bringen erst einmal wenig Erkenntnisse, sondern vielmehr Fragen.
Pfefferpotthast
Die stellen sich Herzog und Pawlak auch, als sie durch Zufall den Vater ihres zum Waldschrat mutierten Chefs, Josef „Jupp“ Faber (Wolfgang Rüter) kennenlernen, der ebenfalls in der Gegend wohnt und dessen Haus von Richter aufgekauft wurde. Sohn Peter hat ihm den Rücken gekehrt, nachdem der Vater ihn in jungen Jahren ins Internat steckte und so hat Jupp in der nachbarlichen Gemeinschaft um Friseur Martin Engel (Andreas Schröders) und der beherzten Sylvia Schiefer (Tanja Haller), die er aufsucht, wenn er „Kohldampf“ hat, eine Art Ersatzfamilie gefunden.
Als den Ermittelnden das Verschwinden eines örtlichen Dealers, der auch das gestreckte Ecstasy vertickt haben soll, bekannt wird, kommen weitere Fragen auf: Übt Natalja hier Rache? Oder tut Vater-Faber alles Mögliche, um seine Nachbarschaft und den Kiez zu schützen? Natürlich bleibt der Sohn bei dieser Gemengelage nicht lange am Stausee und sieht sich neben der Gegenwart nun noch intensiv mit der Vergangenheit konfrontiert.
Tatort mobil
Sowohl menschlich als auch ermittlungstechnisch ist so manches los in diesem Tatort, der jedoch nicht abdriftet. Es ist also ein Glück, dass diese Verarbeitungsfolge, in der es um Verlust, Einsamkeit und Zukunftssorgen in verschiedenen Facetten geht, von den Dortmund-Urgesteinen Jürgen Werner und Jörg Hartmann verantwortet wird. „Seine Kreativität, sein Herz und seine Seele stecken in jeder Szene und jedem Dialog“, meint Werner über Hartmann noch im Pressedossier und dies ist durchaus merklich. Dennoch lässt Hartmann sich mit seinem Buch, das mit Richard Huber einen Regisseur fand, der mit den Tatorten Sturm und Inferno zwei der besten der Reihe inszenierte und für seine Arbeit an Tina mobil und Der Club der roten Bänder mit diversen Preisen ausgezeichnet wurde, nie auf eine Faber-Ego-Show ein.
Es geht in Du bleibst hier um das Weitermachen, trotz der Verluste. Es geht darum, wie sich das Team neu gestalten kann — wir wollen nicht vergessen, dass Rosa Herzog lebendig begraben werden sollte, ihre RAF-Mutter auftauchte und Pawlak für sie gelogen hat, der wiederum um seine inhaftierte Frau und abweisende Tochter kämpft — und wie eben jene bereits erwähnte klaffende Lücke nach und nach geschlossen werden kann. Dass der Fall immer wieder in ein Krankenhaus führt, scheint beinahe sinnbildlich für die Wunde, die der Tod Bönischs hervorgebracht hat.
Es geht weiter
Der neue Dortmunder Tatort ist also sowohl Fortentwicklung wie auch Wendepunkt und teilweise Neubeginn. Ein sehr vielversprechender dazu. Wenn er von den Zuschauer*innen, wie so oft, wohl auch gespalten aufgenommen werden dürfte. Jene, die sich pure Krimikost wünschen und das Menschsein der Ermittler*innen ohnehin ablehnen, wird Du bleibst hier definitiv nicht zum Dranbleiben verleiten. Alle anderen erwarten fesselnde, emotionale und manches Mal gar witzige 89 Minuten.
AS; Mitarbeit: HMS
PS: Nichts mit du hast die Haare schön — in Du bleibst hier haben alle drei Ermittelnden die Haare teils durchgehend, teils abwechselnd ganz furchtbar. Aber es gibt ja den Salon Engel.
PPS: „Ich hab damals nen blaues Kleid mit Biene Maja Söckchen getragen… Wenn Ihnen das weiterhilft.“
Tatort: Du bleibst hier läuft am Sonntag, 15. Januar 2023, um 20:15 Uhr im Ersten und um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Du bleibst hier; Deutschland 2022/2023; Regie: Richard Huber; Drehbuch: Jürgen Werner; Musik: Dürbeck & Dohmen; Kamera: Knut Hake; Darsteller: Jörg Hartmann, Stefanie Reinsperger, Rick Okon, Sybille Schedwill, Andreas Schröders, Wolfgang Rüter, Valery Tscheplanowa, Linus Moog, Tanja Haller, Carl Benzschawel, Lea Taake, Doris Plenert, Angelika Bartsch, Jana Giesel, Rafael Stachowiak, Martin Horn, als Gast: Anna Schudt; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Bavaria Fiction GmbH (Niederlassung Köln) im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks für Das Erste
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