Ein Haus für ganz Regensburg

Ilse Danziger ist eine gefragte Frau – nicht erst seit der Eröffnung der Neuen Synagoge Regensburg nach rund drei Jahren Bauzeit im Februar 2019, aber seitdem noch ein wenig mehr. Als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Regensburg war Ilse Danziger nicht nur an dem Bau einer neuen Synagoge interessiert, sondern maßgeblich hieran beteiligt. 

Eröffnet wurde die Neue Synagoge am 27. Februar 2019 – fünfhundert Jahre nachdem 1519 der Regensburger Rat seine jüdische Bevölkerung aus der Stadt vertrieben und das jüdische Viertel völlig zerstört hatte.

Kurz nach der Zerstörung wurde im Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels auf dem heutigen Neupfarrplatz, eine Wallfahrtskirche errichtet, die bis heute als christliches Gotteshaus dient. Direkt daneben schuf 2005 der israelische Künstler Dani Karavan das Misrach-Denkmal, ein Bodenrelief aus Beton, das den Grundriss der 1519 zerstörten Synagoge an ihrem alten Standort darstellt. 

Schriftband mit dem Gedicht „Gemeinsam“ von Rose Ausländer im Vorhof / ©thelittlequeerreview

Die neue Synagoge bedient sich am Brixener Hof 2, unweit vom Neupfarrplatz. Vor dem in diesem Jahr eröffneten Neubau wurde an gleicher Stelle bereits 1912 eine neue Synagoge eingeweiht. Doch auch diese fiel, wie so viele andere Synagogen, der Zerstörung in der Reichspogromnacht am 09. November 1938 anheim und wurde niedergebrannt.

Erhalten blieb ein kleiner Betsaal im Gemeindehaus, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit und darüber hinaus von der jüdischen Gemeinde in Regensburg genutzt wurde. Allerdings konnte dies auf Dauer keine Lösung sein, zumal die Gemeinde inzwischen wieder auf bald 1000 Mitglieder angewachsen war. Also musste endlich eine neue Neue Synagoge her. 2015 gewann das Berliner Architekturbüro Volker Staab den entsprechenden Wettbewerb und war somit zuständig für ein neues Gemeindezentrum samt Synagoge. Der Grundstein wurde 2016 gelegt und nach nicht einmal drei Jahren war der anspruchsvolle Bau bereits abgeschlossen. 

Das Gemeindezentrum fügt sich recht unaufgeregt in die Umgebungsarchitektur ein, für einen Eckbau an engen Gassen durchaus ein kleines Kunststück. Doch schnell fällt das Auge auf die große Fensterfront zur Bibliothek des gestaffelten Baukörpers und dann auf den nach innen gesetzten Haupteingang, was schon vor dem eigentlichen Gebäude einen wunderbaren Vorhof erlaubt und den Zugang somit zu etwas Besonderem werden lässt. Ein weiteres Highlight ist das über dem Innenhof schwebende Schriftband, das das Gedicht „Gemeinsam“ der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer abbildet. Eine gute, sensible und berührende Wahl. Dieser Ort, so scheint es, ist etwas ganz Besonderes. 

Heiliger Gebetsraum der Synagoge / ©thelittlequeerreview

Natürlich müssen wir eine Sicherheitsschleuse passieren bevor wir im Foyer des Gemeindehauses stehen und durch eine große Fensterfläche auf einen weiteren Innenhof blicken können, welcher den direkten Blick auf den Altbau des ursprünglichen Gemeindehauses erlaubt. Links vom Foyer gibt es einen Veranstaltungsraum, der um die zweihundert Menschen aufnehmen kann. Geplant ist, dass hier zahlreiche Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte, Versammlungen, etc. stattfinden, natürlich für alle Regensburger. Im Sommer lässt sich der Saal zum Innenhof öffnen – so gesehen eine Veranstaltungsperle.

Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich dann die jeweiligen Zugänge zur eigentlichen Synagoge. Ein großer, offener, beeindruckender Raum, der insbesondere durch das helle Holz (das wir im ganzen Haus finden) und seine einmalige Deckenkonstruktion besticht. Von der auf leicht verdrehten, Licht einlassenden Holzlamellen sitzenden Dachkuppel hängen schlichte Lampen, die derart zurückgenommen sind, dass man meint, sie würden schweben. Überhaupt ist die Kuppel mit 25 Metern Durchmesser schlichtweg beeindruckend. An nur einem Tag wurden die zwanzig vorgefertigten Segmente der Kuppel aneinander montiert und an vier Randträgern aus Stahl befestigt. Diese liegen wiederum auf vier Stahlstützen an den Gebäudeecken auf. Diese vermeintliche Eile war notwendig, da durch Gewicht und Form der Kuppel die einzelnen Segmente quasi in einem langen Arbeitsschritt aneinander gefügt und das Konstrukt sofort befestigt werden mussten. Zu sehen ist das natürlich im Saal alles nicht – womit wir wieder bei einer schwebenden Raumsituation sind.

Deckenkonstruktion im Heiligem Gebetsraum der Synagoge / ©thelittlequeerreview

Das ganze Haus ist wunderbar hell gehalten und auch die Teile des Altbaus sind zurückhaltend und respektvoll saniert. Überall begegnen wir edlem, aber schlichtem, Stein, weißen Wänden, hellem Holz und vor allem: Licht, Licht, Licht. Es ist ein wirklich einladendes Haus.

Damit sind wir dann auch wieder bei der gefragten Gemeindevorsitzenden Ilse Danziger. Vor unserem Besuch Mitte Mai hatten wir versucht einen Termin zu vereinbaren, doch kam auf eine E-Mail keine Reaktion, also einfach mal hingehen. Glücklicherweise fand sich just in diesem Moment eine Besuchergruppe am Gemeindehaus ein und eine erstaunte Frau Danziger fragte, ob wir dazugehören. „Nein, aber wir möchten gern das Haus sehen und mit Ihnen sprechen, haben auch eine Mail geschrieben, aber…“ – aha, aha, alles kein Problem, wir vereinbaren einen Termin für den folgenden Tag um neun Uhr morgens.

©thelittlequeerreview

Zur vereinbarten Zeit am nächsten Tag empfängt uns die zuvorkommende Assistenz Elena Semmler mit Kaffee, der Bitte um ein klein wenig Zeit und einer Entschuldigung – die Mail war tatsächlich im Spam gelandet. Dann wäre das also geklärt (auch wenn ich nun erwäge den Provider zu wechseln..). Während wir auf die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde warten, die bei unserer spontanen Verabredung übersehen hatte, dass sie bereits einen Termin um kurz vor neun hat, zeigt uns Elena das Haus. Sie erzählt engagiert vieles zum Gebäude. Als sie über die Installation der Kuppel spricht, leuchten ihre Augen. Inzwischen kommt auch Rabbiner Josef Chaim Bloch an, bereitet sich auf den Besuch einer Gruppe von Grundschulkindern vor und freut sich darauf. Sagt auch, er sei Rabbiner, rede gern über den Glauben, die Tora, etc., aber nicht das Haus als solches. Ein Architekt sei er nicht, was solle er über Steine reden. Apropos Steine – die benötigten insgesamt gut neun Millionen Euro, die Neubau und Sanierung des Altbaus gekostet haben werden, sind zum Teil auch durch den Förderverein Neue Regensburger Synagoge e.V. finanziert worden. Man kann für mindestens 500 Euro einen symbolischen Baustein erwerben und somit die Finanzierung der Neuen Synagoge unterstützen. Der Förderverein hat inzwischen knapp eine Million Euro gesammelt, weitere Teile wurden vom Bund, dem Freistaat Bayern, sowie der Stadt Regensburg übernommen. Letzteres ist eine Ausnahme, da sich die Stadt üblicherweise nicht an der Finanzierung sakraler Bauten beteilige. Hier jedoch sah man sich in Pflicht, der jüdischen Gemeinde etwas zurückzugeben, das ihr in der NS-Zeit geraubt worden war, sagte die Regensburger Bürgermeisterin (und Archäologin) Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) vor kurzem der Jüdischen Allgemeinen.

Blick in den Innenhof / ©thelittlequeerreview

Ilse Danziger betont in unserem Gespräch, dass die Stadtgesellschaft überhaupt sehr engagiert hinter der Gemeinde und auch dem Bauprojekt des neuen Gemeindezentrums mit Synagoge stehe. Umso mehr wünsche sie sich ein offenes Haus, Schleuse hin oder her, anders gehe das eben nicht. Aber Veranstaltungen, Besichtigungen, wie an diesem Tag von Schülergruppen und überhaupt, die Kinder und Jugendlichen in die Gemeinde einzuladen, das sei ihr wichtig. Obwohl die Gemeinde keinen Religionsunterricht anbietet, es geht nicht ums schulen, es geht ums erfahrbar machen. 

Die Anfragen sind da, ein Kulturprogramm steht, Kooperationen werden fortgeführt und neu gebildet. Doch nun wird es auch mal Zeit, sich ein wenig zurückzunehmen, sagt die Vorsitzende. Seit 30 Jahren im Vorstand, mit 67 Jahren eigentlich Rentnerin, einen Ehemann, der mit ihr reisen möchte, die Enkel, da ist es auch mal gut. Doch dieses Projekt, klar, das musste, wollte, sie unbedingt noch vorantreiben und zu einem guten Schluss kommen sehen. Auch wenn es noch viel zu tun gebe, so wurden bei der Sanierung Grundsteine gefunden, die von der Zerstörung 1938 übrig geblieben waren. Die sollen noch dokumentiert, kommentiert und eingebunden werden.

Am 04. Juli wurde Ilse Danziger die Bezirksmedaille der Oberpfalz verliehen, eine ganz besondere Auszeichnung, denn die Zahl der lebenden Träger darf die 50 nicht überschreiten. Ach, und der quasi vergessene Termin um kurz vor neun? Das waren nur die Herren, die für ihre Laudatio für diese Bezirksmedaille verantwortlich zeichnen.

Chanukkia im Heiligen Gebetsraum der Synagoge / ©thelittlequeerreview

Ein paar kleine Anmerkungen:

Im Stadtwandel Verlag ist ein sehr schön gemachter Architekturführer Jüdisches Gemeinde-Zentrum mit Synagoge Regensburg von 32 Seiten erschienen. Dieser sei jedem interessierten Leser ans Herz gelegt. 

Am 15. September wird eine Ausstellung im Haus eröffnet: „Josel von Rosheim (1478-1554) zwischen dem Einzigartigen und Universellen. Ein engagierter Jude im Europa unserer Zeit“. Zu sehen sein wird diese bis zum 06. Oktober.

Außerdem hält Prof. Dr. Michael Brocke, Direktor des Ludwig Salomon Steinheim-Instituts in Essen, am 17. September um 19 Uhr einen Vortrag zum Thema „Was die jüdischen Grabsteine erzählen“.

Noch mehr Informationen zum Schwerpunkt Jüdisches Regensburg findet ihr in der dazugehörigen Broschüre (pdf).

AS

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