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Beitragsbild: Zvi Spielmann (Dov Glickmann, vorne r.) und seine Tochter Maya Spielmann (Orit Nahmias, vorne l.), Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz, hinten, l.) und seine Kollegin aus Cottbus Alexandra Luschke (Gisa Flake, hinten, r.) // © rbb/Maor Waisburd

Wann ist Schuld abgegolten? Ist manche Schuld wie die der Deutschen am Holocaust es nie? Muss vergeben werden? Kann versöhnt sein? Was ist dafür nötig? Restitution? Können wir unsere Schuld einfach „zurückzahlen“? Haben wir als Deutsche ein Recht auf Versöhnung?

Um diese Fragen geht es neben der offensichtlichen Whodunit-Frage im heutigen deutsch-polnischen Polizeiruf 110: Hermann (dem ersten ohne die Figur Olga Lenski). Natürlich können, wollen und werden sie hier nicht beantwortet; was Historiker*innen und Überlebende nicht aufzulösen wissen, schaffen auch Drehbuchautor Mike Bäuml und Regisseur Dror Zahavi nicht in 90 Minuten.

Tote im Bauschutt

Ausgangspunkt der Handlung ist der Fund der Leiche der Bauingenieurin Karla Nowak in Słubice. Das Opfer arbeitet aktuell an einem großen Prestige-Projekt für den Immobilienentwickler Karl Winkler (Sven-Eric Bechtolf), dessen Assistent Jan Terweg (Julius Feldmeier) immer an seiner Seite ist, in Cottbus, ihre Wohnung aber befand sich in Frankfurt (Oder) und wurde kurz vor ihrem Tod durchsucht.

Zvi Spielmann (Dov Glickmann, r.) und seine Tochter Maya Spielmann (Orit Nahmias, l.) sind ebenfalls in Cottbus – aber sind sie auch verdächtig? // © rbb/Maor Waisburd

Ebenfalls in Cottbus befinden sich Zvi Spielmann (Dov Glickman) und seine Tochter Maya Spielmann (Orit Nahmias) aus Israel, deren Mietwagen im Tatzeitraum in der Nähe der Wohnung Nowaks gesehen wurde. Nowak sei angeblich im Besitz wichtiger Dokumente gewesen, die beweisen sollten, dass Zvi Spielmanns Restitutionsanspruch, den er für eines der Objekte auf dem Sanierungs-Areal geltend macht, rechtmäßig sei. Aber auch Elisabeth Behrend (Monika Lennartz), die in dem Haus aufgewachsen ist, und ihr Sohn Jakob (Heiko Raulin) behaupten, Nowak hätte ihnen Dokumente angeboten, die zweifelsfrei ihren Besitzanspruch beweisen würden.

Für die Ermittlungen schlägt Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) seine Zelte also kurzeitig in Cottbus auf. Im dortigen Polizeipräsidium trifft er auf seine ehemalige Kollegin Alexandra Luschke (Gisa Flake) und seinen früheren Dienststellenleiter Markus Oelßner (Bernd Hoelscher), der die Ermittlungen allerdings wegen persönlicher Animositäten eher nicht unterstützen will.

„Am Arsch“

Zunächst einmal: Was für ein spannender, verwobener und menschlicher Polizeiruf 110! Und auch was für ein angemessener, denn, wie oben erwähnt, ist das Thema um die Rückerstattung jüdischen Eigentums nach dem Zweiten Weltkrieg weder in Ost- noch Westdeutschland abschließend geklärt und auch in geklärten Fällen herrscht natürlich nicht immer gegenseitiges (Ein)Verständnis. Ein dem Film zugrunde liegender Fall um ein Gut im brandenburgischen Groß Galgow beschäftigte wohl bis vor kurzem noch Schlichter, sei nun aber erfolgreich abgeschlossen, wie Jörg Taszman im Hintergrund zum Film schreibt. 

Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz, l.) und Alexandra Luschke (Gisa Flake, r.) prüfen die Echtheit wichtiger Dokumente // © rbb/Maor Waisburd

Hermann aber geht weiter, beschäftigt sich eingehend mit Schuld, Verzeihen, Vergebung, Aufarbeitung und der Frage, wie mensch weiterleben kann und will. Gleich zu Beginn des Films sehen wir Zvi „Hermann“ Spielmann und Tochter Maya in eben jenem Mietwagen, wie sie versucht, ihren Vater, der erstmals seit seiner Befreiung aus dem KZ wieder in Deutschland ist, zu überzeugen, die Deutschen hätten sich geändert. Er sagt, er habe sich vor allem eines gemerkt: Etwas, das die Deutschen im KZ sagten, bevor sie töteten und misshandelten: „Am Arsch.“

Das Bedürfnis nach Versöhnung

Dieses weite Konfliktfeld bildet dann auch den Kern dieses Polizeiruf 110: Hermann – jene, die meinen aufgearbeitet zu haben und auf Seite der Deutschen womöglich gar über eine Versöhnung hinaus einen Abschluss der Schuld finden wollen (hier in Form von Jakob Behrend, der jedoch auch fortwährend von „den Juden“ spricht), jenen, denen die mögliche Sensibilität fehlt (in Form von Kommissarin Luschke) und jenen, die weiter aufarbeiten aber auch versöhnen und ebenso verstehen wollen, wie Raczek (was Gregorowicz souverän glaubwürdig vermittelt). 

Zvi Spielmann besucht mit Kriminalhauptkommissar Adam Raczek seine alte Wohnung in Cottbus // © rbb/Maor Waisburd

Regisseur Dror Zahavi sagt dazu, es gehe um „das Bedürfnis der Deutschen nach Versöhnung und die Schwierigkeit der ersten Holocaust-Generation, dies zu leisten. Es ist für mich durchaus nachvollziehbar, dass ein Holocaust-Überlebender Deutschland nicht betreten und mit den Deutschen nichts zu tun haben will. Ich kenne aus Israel mehrere solche Menschen.“

Über die komplexen Fragen, die noch um eine tatsächliche Schuld erweitert werden, verliert der Polizeiruf nie den Fall aus den Augen, präsentiert uns immer wieder Möglichkeiten, wer nun Täterin oder Täter sein könnte; auch bleibt lange offen und spannend, ob Karla Nowak die Spielmanns und die Behrends gegeneinander ausspielen wollte oder ob eine der beiden Parteien lügt. Ebenso wie viel Winkler und mit ihm sein Assistent Terweg wussten. 

Fragen, die bleiben

Dass hier nicht nur alles sauber ineinandergreift, sondern auch nachvollziehbar bleibt, liegt nicht zuletzt auch an einem primär großartigen Ensemble, bei den Episodenrollen angeführt von Dov Glickmann als titelgebendem Herrmann, der eine tiefe Resignation, aber auch ausgesprochenen Kampfeswillen in seine Figur, die so viel gesehen und nicht vergessen hat, legt und einer wirklich triumphal zwischen niedergeschlagener Müdigkeit und ohnmächtigem Schuldbewusstsein spielenden Monika Lennartz.

Zvi Spielmann und die Deutsche, Elisabeth Behrend (Monika Lennartz, vorne, r.) sehen sich nach über siebzig Jahren das erste Mal wieder (rechts neben ihr Heiko Raulin als Sohn Jakob) // © rbb/Maor Waisburd

Damit, so finden wir, schafft der Polizeiruf 110: Hermann etwas, das viele Film- und Serien-Events lange so nicht geschafft haben: Unbequeme Fragen zu stellen und sich zu trauen, sie nicht abschließend und vor allem nicht moralisierend zu beantworten. Sich dies auch gar nicht auf die Fahnen zu schreiben. Stattdessen steht am Ende eine Frage, die deutlich macht, dass es noch viel zu lernen und zu heilen gibt.

AS

PS: In der kommenden Woche veröffentlichen wir unsere Besprechung zu David Baddiels Und die Juden?

PPS: Ebenso lest ihr bald unsere Besprechung zu Faking Hitler, der RTL+-Serie um die gefälschten Hitler-Tagebücher im Stern, die sich teilweise mit ähnlichen Fragen befasst.

Polizeiruf 110: Hermann läuft am Sonntag, 5.12.2021, um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:40 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Polizeiruf 110: Hermann; Deutschland, 2021; Regie: Dror Zahavi; Drehbuch: Mike Bäuml; Kamera: Gero Steffen; Musik: Jörg Lemberg; Darsteller*innen: Lucas Gregorowicz, Gisa Flake, Dov Glickmann, Orit Nahmias, Monika Lennartz, Julius Feldmeier, Heiko Raulin, Sven-Eric Bechtolf, Bernd Hoelscher, Gabriele Völsch, Fritz Roth, Klaudiusz Kaufmann; Laufzeit ca. 90 Minuten; Eine Produktion der Eikon Media GmbH im Auftrag des Rundfunk Berlin-Brandenburg für Das Erste

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