Wieviel Leben steckt in der Kunst?

Von Nora Eckert

Als ich Ende 2018 zum ersten Mal eine Arbeit der unter dem Namen Puppies Puppies bekannten und international gefragten US-amerikanischen Künstlerin Jade Kuriki Olivo sah, hatte ich eigentlich nur Augen für den Film, den sie in ihrer Arbeit zitierte. Es handelte sich um den chilenischen Film Una mujer fantástica mit der hinreißenden Hauptdarstellerin Daniela Vega. Für mich ist es einer der besten Filme über trans*. Und bei der Wiederbegegnung in der Galerie versetzte mich das in eine wahre Euphorie. Trans*joy is real. Das war es und auch diese enorme Widerstandskraft und Stärke, die Daniela Vega bei aller Verletzlichkeit ausstrahlte.

Was mir erst heute aufgegangen ist, das ist die wirklich sehr intime Beziehung zwischen Olivos ästhetischer Aneignung des Films und seines trans*Themas, denn die Künstlerin hatte mal eben ihre eigene Transition mit dem Film parallelisiert. Spiegel spielten eine besondere Rolle, und zwar sowohl in einigen signifikanten Filmszenen als auch in Olivos Arbeit. Wen sehen wir, wenn wir in den Spiegel schauen? Gibt es Spiegel, die das Unsichtbare sichtbar machen, also unsere wahre Identität? Das trans*Sein offenbart uns, dass Wirklichkeit und Wahrheit nicht identisch sind, aber dass Wahrheit die Wirklichkeit sucht. Nein, wir suchen keine verlorene Zeit, sondern die Wahrheit in uns.

Impression der Ausstellung „Tranny“ der Künstlerin Jade Kuriki Olivo in der Galerie Barbara Weiss // Foto: Nora Eckert

Wenn man so will, geht es auch jetzt in der neuesten, mit „Tranny“ betitelten Arbeit von Olivo um Wirklichkeit und Wahrheit, um eine Wirklichkeit, die sich als konstruiert und aufgezwungen herausstellt, und einer Wahrheit, die konkret werden will. Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Ein aufmerksamer Gang durch die Ausstellung, die aus einem großen und einem kleinen Raum besteht, in der es auf allen Wänden eine wie durch Schablonen hergestellte Schrift und auf diese Weise visualisierte Sprache gibt, hüllt uns förmlich ein in lauter Botschaften, die Leben abbilden und zugleich Kunst sind. Sie verfolgen uns von Wand zu Wand. Wir können ihnen nicht entkommen. Die Konfrontation ist beabsichtigt, das Aggressive ebenso wie das Bekenntnishafte und Vermittelnde. Die großen weißen Wände sind in Textzonen aufgeteilt und manches steht in fetten schwarzen Lettern da – Begriffe, die für uns Transmenschen erfunden wurden: Transvestite, Tranny, Faggot, Transsexual, Shemale.

Die Texte handeln davon, wie es sich anfühlt, trans* zu sein, und zwar in uns und außerhalb von uns. Trans* leben wir nicht für uns allein, aber die Welt um uns, scheint nicht unsere, weil nicht für uns gemacht zu sein. Das ist eine elementare Erfahrung des trans*Seins inmitten einer potentiell transfeindlichen binär-heteronormativen Kultur, doch eine andere Welt gibt es nicht. Also geht es um eine Art soziales Handling, um die Eroberung sozialer Räume, bei dem das Scheitern inklusive ist, ebenso wie die Chance auf Gewinn. 

Das Leben wird dadurch zu einer Achterbahn der Gefühle. So steht es in einem Statement der Künstlerin und genau auf diese Weise erleben wir die von ihr gestalteten Kunsträume, die nie etwas anderes tun, als ihr Leben in Kunst zu übersetzen, direkt, provozierend, selbstbewusst, originell, überraschend. Und so lautet einer der Texte:

I’m sorry my identity is a part of my work

I think because society never lets me

forget

fully

that I’m a trans woman

day in and day out.

Das trans*Sein werden wir nie los, was immer wir auch anstellen, wie sehr wir unsere Körper verändern, wie perfekt wir Rollen spielen, die Gesellschaft um uns herum wird uns immer daran erinnern, wie anders wir sind, wie ausgrenzend die Cis-Norm ist, auch wenn wir ein Teil von ihr sind. Aber hier antwortet Olivo mit Selbstbewusstsein und dem Vorsatz, freundlich zu sich selbst zu sein.

Impression der Ausstellung „Tranny“ der Künstlerin Jade Kuriki Olivo in der Galerie Barbara Weiss // Foto: Nora Eckert

In dem Statement heißt es nämlich: „Mein Herz schmerzt, aber ich bin froh, eine Frau zu sein. Ich werde mein Bestes tun, um das Leben zu genießen, auch wenn die Gesellschaft es mir schwer macht. Von Staub zu Staub bin ich nur ein Fleck auf diesem Planeten und ich frage mich, wie ich dieses kurze Leben nutzen soll. Ich versuche, mich nicht von meinem Trauma überwältigen zu lassen, aber trotzdem freundlich zu mir selbst zu sein.“

Manchmal begegnet man Sensation ganz unerwartet – diese Ausstellung ist für mich eine solche Sensation. Schwarz auf weiß wird uns ein Leben ausbuchstabiert, klar und in graphischer Strenge. Und hier ist die Wahrheit dann doch wirklich.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

Zu sehen ist sie noch bis zum 26. Februar in der Galerie Barbara Weiss, Kohlfurter Str. 41/43, 10999 Berlin (Kreuzberg), dienstags bis samstags von 11 bis 18 Uhr.

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