Phenix Kühnert erzählt in „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ ihr noch junges trans*Leben als eine Achterbahn zwischen ratlos und selbstbewusst, zwischen verletzlich und selbstsicher.
Von Nora Eckert
Wenn es stimmt, was Google mir verriet, dann ist sie heute 25. Kann man über sein Leben schreiben, wenn der größte Teil davon – zumindest statistisch betrachtet – noch vor einem liegt? Was hätte ich damals mit 25 zu berichten gehabt? Hätte ich über meine Kindheit, über meine Schulzeit, meine Eltern, Geschwister und Verwandtschaft, meine Freund*innen, meine spießigen Mitschüler*innen, meine heimlichen Leidenschaften und über mein Schwulsein mit ebenso viel Hingabe erzählen wollen, wie sie das in zahllosen zwischen Lust und Frust angesiedelten Alltagsszenen tut?
Wäre mir gelungen, was Phenix Kühnert gelingt, nämlich all das in ein Buch hineinzupacken, was ihr im leichten Plauderton offenbar mühelos in die Tastatur flutschte? Mir erschien es, als hätte sie mal eben das alte Couplet von Marlene Dietrich und Margo Lion „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“ neu getextet. Sie ist dabei so offen und spontan, dass die eine oder andere Ungereimtheit gar nicht ins Gewicht fällt, weil wir im Eiltempo schon wieder auf einem neuen Schauplatz sind. Ja, das Leben ist mitunter wirr. Und dann die Einsicht, wie wichtig man als junger Mensch das alles nimmt.
Gut, sie wird das Couplet vermutlich nicht kennen, so wie ich ihre Vorbilder nicht kenne: Kim Petras, Gigi Gorgeous und Andreja Pejić. Natürlich hatte ich gegoogelt, um herauszufinden, was ich im Leben möglicherweise verpasst habe (und war hinterher nur erleichtert). Aber wenn ich ein Vorbild nennen sollte, dann war das eher so jemand wie Janis Joplin. Die passte mit ihrer schrillen Unangepasstheit in eine Zeit der Jugendrevolte – „try just a little bit harder“ hieß das bei ihr. Joplin kennt man aber nicht mehr, wie ich neulich in einem Kreis von Twens überrascht feststellte.
Was ich mit Phenix (ihren Familiennamen lasse ich ab jetzt mal weg) jedoch teile: Wir waren gleich alt, als wir mit dem starteten, was wir Transition nennen, um endlich die Weiblichkeit zu leben, die schon immer in uns war, aber noch keinen Namen besaß. Mit der Entdeckung des trans*Seins verdoppelt sich sogleich die eigene Lebensperspektive durch ein Vorher und ein Nachher. Auch besitzt jeder Anfang eine besondere Magie und erst recht, wenn dieser unter dem Sternzeichen trans* steht. Denn dann steht eine veritable Revolution ins Haus, die vor dem Badezimmerspiegel startet oder auch – wie im Fall von Phenix – mit der Lust auf High Heels.
Weil es zwischen ihr und mir diese biographische Parallele gibt, drängten sich beim Lesen immer wieder eigene Erinnerungen in die Lektüre hinein, um festzustellen, wie sich einerseits bestimmte Erfahrungen wiederholen und uns Transmenschen treu bleiben, ob wir wollen oder nicht, und wie auf der anderen Seite das Damals und das Heute dann doch völlig anders aussehen.
Bewunderungswürdig fand ich ihre Reflektiertheit in Sachen trans*. Das waren wir auf keinen Fall. Wir haben es in eher hedonistischen Zeiten einfach gelebt, ohne uns über ein Warum oder über so etwas wie gesellschaftliche Relationalität Gedanken zu machen. Wir wussten, dass wir nichts zu erwarten haben, also konnten wir kaum enttäuscht werden. Die Enttäuschungen, so entnehme ich dem Buch, spielen heute eine größere Rolle, als ob wir in unserem trans*Leben damals bei aller Recht- und Therapielosigkeit unbehelligter lebten. Klingt unglaublich, ja.
Phenix lässt uns jedenfalls an ihren Wahrnehmungen als Transfrau mit einer herzerfrischenden Direktheit teilhaben. Und sie spart nicht an Kritik, wenn sie beispielsweise das Gefühl beschreibt, sich „in einem Karussell mit regelmäßigem Halt in Outing-Szenarien“ zu befinden. Das macht sie wütend. Sie ist dann genervt, sich unentwegt erklären zu müssen und immer wieder zu spüren, dass sie von ihrem Gegenüber nicht als Frau wahrgenommen wird. Doch dann kommt die richtige Erkenntnis: „Ist doch scheißegal, was andere Menschen denken. Und wenn jemand denkt, ich sei ein Mann, dann denkt jemand, ich sei Mann. Das ändert nichts an mir […]. Ich bin ich.“ Applaus!
Phenix zog es nach dem Abitur nach Berlin. Sie nennt es eine Flucht, die wie ein Befreiungsakt wirkte. Bloß weg aus der Spießer-Provinz. In Berlin entdeckt sie endlich ihr trans*Sein nach Jahren vermeintlichen Schwulseins und Erfahrungen als Drag Queen. Es ist wie ein Herantasten an die eigene Wahrheit, die ständig im Raum steht wie jener berühmte Elefant und trotzdem lange unsichtbar bleibt.
Sie bezeichnet sich heute als Aktivistin und verdient ihr Geld als Model. Sie will in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken, „um Berührungsängste abzubauen“, lautet ihr Bekenntnis. Gewidmet hat sie ihr Buch all jenen Menschen, „die ebenfalls angestarrt werden“. Sie besitzt ein unbeirrbares politisches Bewusstsein. Deshalb weiß sie genau zu benennen, wo und wie immer die große weite Cis-Welt in Sachen trans* jämmerlich versagt. Ja, sie besitzt diesen aufklärerischen Impetus. Da kommt sie schon mal ins altkluge Dozieren vor lauter Eifer, aber was sie zu sagen hat, hat Gewicht. Und ja, dieser Impetus ist offenkundig auch Teil ihrer Selbstinszenierung.
Phenix scheut sich nicht, über ihre Beziehungen zu Männern und damit über ihre Sexualität zu erzählen, und sie tut es geradezu gewissenhaft. Sie steht auf Männer, was ich gut begreife, aber die Problemfälle scheinen mit Blick auf trans* in den letzten fünfzig Jahren nicht weniger geworden zu sein. Was sich verändert hat, das ist der offenbar nahezu komplette Wechsel von analog auf digital. Man braucht heute Tinder und dergleichen und all das, was wir Social Media nennen, um zu Datings zu kommen. Und wenn es dann endlich menschlich und intim wird, dann stellt sich heute wie damals die Frage, wieviel Mut der Typ aufbringt, sich zu einer Transfrau in der Öffentlichkeit zu bekennen. Die Lust ist da und die Feigheit nennt man heute „Ghosting“, so habe ich jetzt gelernt.
Eine Never Ending Story ist für uns Transmenschen die Frage, wie und als was wir wahrgenommen werden. Das Problem: Sobald die Cis-Welt uns als trans* identifiziert mag sie zwar die Freundlichkeit aufbringen (oder auch nicht), uns Transfrauen als Frau anzusprechen, aber mit der Einschränkung: Wir nennen dich so, aber du bist keine. Die geschlechtliche „Echtheit“ wird stets als erstes in Frage gestellt. Phenix beklagt sich zu Recht, dennoch sehe ich die Anrede Frau für mich längst nur noch als sprachliche Eselsbrücke. Denn soll die Binarität wirklich das letzte Wort über uns haben, indem wir uns ihr anpassen? Das Passing sehe ich inzwischen als einen subversiven Akt, der die Binarität mit seinen eigenen Waffen schlägt.
Zum Schluss ein sehr spezielles Thema, das ich nicht aufgreifen würde, wenn ich nicht bei Phenix darauf gestoßen wäre. Es geht um die Frage, wer darf Transmenschen darstellen – im Film etwa? Das erinnert an das Thema kulturelle Aneignung. Eine für mich seltsame Debatte, und noch befremdlicher dieser Furor der Tabuisierungen. Phenix greift sich den Film „The Danish Girl“ heraus, in dem es um die Geschichte von Lili Elbe geht. Die Hauptrolle wurde von Eddie Redmayne, einem cis-Mann gespielt. Der Vorwurf: „In unserer Gesellschaft ist bewusst oder unbewusst die Annahme weit verbreitet, trans Frauen seien keine richtigen Frauen, sondern eher so ‚etwas‘ wie verkleidete Männer. Und genau dieses Narrativ wird damit befeuert.“
Aber stimmt das mit Blick auf den Film? Wer im Film oder auf der Bühne umgebracht wird, steht anschließend wieder auf und verbeugt sich zum Applaus. Nirgendwo wird deutlicher, dass wir Rollen spielen, bei der es nicht um die Frage von Authentizität geht, sondern beispielsweise um schauspielerisches Talent. Und da war für mich Redmayne absolut überzeugend.
Zwei Jahre später, nämlich 2018, gab es eine weitere Verfilmung einer trans*Biografie, die unter dem Titel „Girl“ erschien und in der Victor Polster die Hauptrolle der Lara spielte. Übrigens genauso überzeugend wie sein Kollege Redmayne im Fall von Lili Elbe. Der gravierende Unterschied zwischen beiden Filmen war die Botschaft, die ich im Fall von „Girl“ für katastrophal hielt, ohne das hier näher ausführen zu wollen.
Worum es mir geht: Ich plädiere für die Freiheit der Kunst, die ihr lebensnotwendiges Privileg ist. Als theateraffiner Mensch habe ich schon weibliche Hamlets und Lears gesehen, habe Männer erlebt, die Frauenrollen spielten. Wo ist das Problem? Muss ich den Blick der Mehrheitsgesellschaft übernehmen, die zumindest in Teilen in mir einen verkleideten Mann sieht? Nein. Wenn Transmenschen nur von Transmenschen verkörpert werden dürfen, darf dann Shylock nur mit einem Juden besetzt werden? Manchmal freilich kommt in der Kunst alles Gute zusammen und dann entsteht ein Film wie „Una mujer fantastica“ und eine Transfrau spielt tatsächlich sich selbst – wie dies Daniela Vega vollbrachte. Ein Glücksfall.
Nun bin ich mit meiner Besprechung von „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ tatsächlich aus der Spur geraten, aber die Sache mit der Darstellbarkeit von trans* reizte mich zur Gegenrede. Was das übrige Buch angeht, das ich mit großer Neugierde verschlang, kann ich ihm nur ein großes Lesepublikum wünschen. Und ja, wir brauchen Vorbilder, denn kaum dass wir auf der Welt sind, beginnen wir auch schon, nachahmend zu lernen und wenn alles gut geht, sind wir irgendwann zu unverwechselbaren Persönlichkeiten geworden. Dann lässt sich so wie Phenix antworten: „Ich weiß, wer ich bin: Ich bin Phenix.“
Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.
Hinweis: Am morgigen Mittwoch stellt Phenix Kühnert ihr Buch bei shesaidbooks vor, moderiert von Linus Giese. Alle Infos zur Veranstaltung (für die es nur noch Wartelisten-Tickets gibt) findet ihr hier.
Phenix Kühnert: Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau – über trans Sein und mein Leben; Hardcover, gebunden; 220 Seiten; ISBN 978-3-7099-8152-8; Haymon Verlag; 19,90 €; auch als eBook erhältlich
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