Chapeau, Herr Fox!

Wenn ich einen Eröffnungsknaller für die sechste Edition des Seret Filmfestivals hätte aussuchen sollen, ich wäre vermutlich auch direkt bei Sublet von Eytan Fox gelandet. Dieses Festival zeigt ausgesuchte israelische Filme in den drei deutschen Städten Berlin, Hamburg und Köln (einige davon in Kooperation mit dem Jewish Film Festival Berlin & Brandenburg, JFBB). Die Besonderheit in diesem Jahr? Man muss nicht in die entsprechende Stadt reisen, einige Filme stehen auch online zur Verfügung. Und so kann man sich mit ein paar Klicks Festivalfeeling nach Hause holen. Nicht neu, aber empfehlenswert, hier mit dem Eröffnungsfilm sogar sehr empfehlenswert.

Eytan Fox ist bekannt. Fakt.
Eytan Fox macht Filme, die unter die Haut gehen, berühren, verstören und mitnehmen. Fakt.
Eytan Fox kanns immer noch? FAKT!

Ein Guide und Gentleman

Michael Green, amerikanisch jüdischer Schriftsteller über 50 (zauberhaft dargeboten von John Benjamin Hickey) reist nach Tel Aviv. Er recherchiert für eine Kolumne in der New York Times – Tel Aviv in 5 Tagen – und hat sich dafür gleich mal ein Appartement zur Untermiete in einer der most sexy Nachbarschaften der Welt reserviert. So trifft er auf Tomer (Niv Nissim), Filmstudent, Anfang 20 und Hauptmieter des Apartments.
Michael platzt mitten in eine Fotosession. Tomer hat die Tage vertauscht und erwartet Michael eigentlich erst morgen. Er hat weder das Apartment aufgeräumt, geschweige denn geputzt, noch für sich selbst einen Ausweichschlafplatz organisiert. Und das ist erst der Anfang der skurrilen Missgeschicke. 

Michael und Tomer // © Greenwich Entertainment

Während Michael ganz Gentleman anbietet in ein Hotel zu gehen, erleben wir ungebremst den ersten komplett offenen Moment von Tomer, als er ganz direkt zugibt, dass er das Geld für die Vermietung braucht. Aber als Geschenk will er es auch nicht annehmen. So nonchalant gebeten bleibt Michael.
Als Tomer am nächsten Tag etwas aus der Wohnung holen will, wird schnell klar, dass diese beiden Männer wohl doch mehr miteinander zu tun bekommen werden. Tomer bekommt Michaels „Must see“ Liste zu sehen und ist mehr als amüsiert. Und zack, verpflichtet ihn Michael als Guide durch sein Tela Aviv. Zum letzten Mal war Michael zu seiner eigenen Bat-Mizwa in Israel, was er mit eher unangenehmen Erinnerungen verbindet. So macht Tomer sich daran, neue, wunderbare und positive Erinnerungen zu schaffen.
Was nun beginnt kann man unbesehen als tiefempfundene Liebeserklärung an Tel Aviv, das Leben, die Liebe und den Lifestyle bezeichnen. Am Ende des Films hallt eine tiefe Sehnsucht im Betrachter nach, die vermutlich nur durch einen Trip nach Tel Aviv endgültig ganz gestillt werden kann.

Just another Feelgoodmovie?

Auf gar keinen Fall. Dieser Film vereint Tiefgang und Leichtigkeit in sich, ohne jemals in die Belanglosigkeit zu driften oder seine Charaktere aus dem Blick zu verlieren, was ja im neueren Kunstkino doch allzu gern passiert.

Eytan Fox lässt seinen Charakteren den Raum ihr Leben in voller Bandbreite zu durchleben, ohne sie bloßzustellen. Das hat er in seinen – inzwischen zu Klassikern des queeren Kinos gewordenen – früheren Produktionen wie Yossi & Jagger, The Bubble und Yossi schon bewiesen, führt dies hier jedoch mit einem anderen Schwung.

Tomer und Michael // © Greenwich Entertainment

Michael und Tomer könnten unterschiedlicher nicht sein. Der bekannte Autor aus Amerika, der mitten in seinem gesetzten Leben steht, verheiratet, mit einem liebenden Ehemann, wirkt manchmal angesichts der Überportion Lebensfreude und Liebeshunger, der er sich gegenüber sieht, nahezu überfordert und doch verloren auf der Suche. Dem Publikum ist aber auch schon seit der Eröffnungssequenz klar, dass der ungestüme Tomer eine ganze Portion mehr Ordnung in seinem Leben brauchen könnte.

Und doch lässt Fox beide Protagonisten von den scheinbar vorhersehbaren Pfaden abweichen und so beeindrucken sie einander und die Zuschauenden. Während man in manchen Situationen Micheal anfeuern möchte, endlich mal aus sich herauszugehen, ist es doch er, der Tomer genau dazu auffordert. So setzt dieser den gewandten Worten manche halsbrecherische Tat entgegen, um seinen Untermieter doch mal aus der Reserve zu locken. Schlussendlich muss er dazu auch den Mund ganz schön voll nehmen.

Dabei vergisst Fox aber auch das Umfeld nicht. Sämtliche Nebenrollen sind ausgefeilt und wenn sie nicht greifbar sind, dann weil ihre Charaktere auch ihr Leben nicht greifen können. So tanzt sich die beste Freundin ganz unbedarft in unser Herz, gibt sich der per Handy georderte Sexkontakt der unerwarteten Situation hin (ja das mit dem vollen Mund stammt genau daher) oder tappt die liebevolle Mutter mit Bravour in das klaffende Fettnäpfchen von der Größe eines Schwimmbeckens.

Bis zur letzten Sequenz lässt Fox dann offen, was aus der Kollision dieser beiden konträren Universen nun werden wird. Nur über eines lässt er niemanden im Unklaren: Spuren haben beide im Leben des Anderen hinterlassen. Fakt.

Fazit: Gucken müssen! Fakt!

Frank Hebenstreit

PS: Eine Videobesprechung findet ihr hier.

Sublet wird am 24.8. und am 26.8. in Berlin im Kino Babylon und am 1.9. in der FilmPalette in Köln gezeigt; außerdem ist er digital im Rahmen des Festivals zu sehen.

Sublet; Israel, USA, 2020; Regie: Eytan Fox; Drehbuch: Eytan Fox, Itay Segal; Musik: Tom Darom, Assa Raviv; Kamera: Daniel Miller; Darstellende: John Benjamin Hickey, Niv Nissim, Lihi Kornowski, Miki Kam, Peter Spears, Tamir Ginsburg, Gabriel Omri Loukas; Laufzeit: 89 Minuten

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