Ein großes, schwarzes, vielleicht auch böses Nichts. Klassische Blackbox. So sehen viele von uns Nordkorea, das Land der fehlgeschlagenen Atomtests und der permanenten Hungersnot, den Paria der Weltgesellschaft – dem sich Wladimir Putin auf seiner Suche nach Freunden kürzlich annäherte. Wie romantisch, mögen manche denken…
Romantik wiederum dürften die wenigsten mit Nordkorea in Verbindung bringen. Das Universum, in dem Andreas Stichmann also seine Erzählung Eine Liebe in Pjöngjang ansiedelt, könnte nach unserer Vorstellung also kaum anachronistischer sein. Das gerade einmal etwa 160 Seiten fassende Buch ist im Frühjahr bei Rowohlt erschienen und für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert.
Literatur im Dienste der Völkerverständigung
Die 50-jährige Claudia Aebischer ist im Auftrage des Auswärtigen Amts in Pjöngjang, um dort eine deutsche Bibliothek aufzubauen. Dabei lernt sie die Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin Sunmi kennen und unter den stetigen Augen und Ohren des nordkoreanischen Geheimdienstes entwickelt sich zwischen den beiden Frauen die titelgebende Zuneigung.
Die Frage ist nur, wie sie diese Beziehung zwischen dem liberalen Berlin und dem autoritären Pjöngjang wirklich leben können, zumal auch Sunmis Mann Wi auch noch am Leben ist. Claudia soll jedoch in einer vom Regime instrumentalisierten Rede einen Beitrag zur Staatspropaganda leisten. Eigentlich undenkbar, aber vielleicht bietet der Termin eine Gelegenheit zur Flucht…
Romantisch
Die Romantik steht trotz der widrigen Umstände doch immer im Zentrum von Eine Liebe in Pjöngjang, einerseits in Form der uns allen bekannten künstlerischen Epoche, andererseits natürlich durch die Annäherung zwischen den beiden Frauen. Sunmi hat eine starke Vorbildung über deutsche Literatur, vor allem die Epoche der Romantik. Nicht umsonst tauchen immer wieder Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus jener Ära oder Anspielungen auf sie auf. Und auch so manche Symbolik dieser Kunstphase – vor allem die so geliebte Farbe Blau – ist immer wieder Gegenstand von Stichmanns Erzählung.
Dem entgegen steht wiederum die schnörkellose Sprache, die Stichmann für seine Erzählung gewählt hat. Fast nur mit kurzen und prägnanten Hauptsätzen oder Satzfragmenten bestreitet er seine Geschichte. Die Form steht hier völlig konträr zur Story, genau wie die bisherigen Lebensentwürfe der beiden Frauen eigentlich nicht zueinander passen. Claudia ist ihrer Arbeit eher überdrüssig, will sich aus ihrem Beruf verabschieden. Sunmi jedoch, fast 20 Jahre jünger, steht im Leben, ist von der Staatspropaganda indoktriniert, aber dennoch klug genug, um eine kritische Distanz zu ihr aufgebaut zu haben – ja, offenbar sogar Fluchtgedanken zu entwickeln. Diese beiden Frauen mit ihren jeweiligen Geschichten lässt der Autor in seiner Geschichte aufeinanderprallen.
Sehen und laufen
Gleichzeitig schafft Stichmann es, sich gerade die schnörkellose Sprache zunutze zu machen und Situationen klar und anschaulich zu beschreiben. Wie er über die plötzliche Dunkelheit beim Passieren der koreanischen Grenze schreibt oder einen vernebelten Besuch der beiden Damen in der Dampfsauna. Wer nicht unter Konjunktivitis leidet, hat direkt ein Bild der jeweiligen Situation vor Augen.
Und Augen ist auch ein gutes Stichwort: Diese spielen – ganz romantisch – eine wichtige symbolische Rolle im ersten Teil seines Romans, im zweiten hingegen sind es vor allem die Füße. Während der Anfang also noch der Beobachtung dient, dem leisen Abtasten der Situation und der Gefühle der beiden Frauen, stehen in der zweiten Hälfte Aktivität und Handlung im Zentrum. Und das gilt gerade für eine so verbotene Liebe wie die zwischen Claudia und Sunmi.
Viel mehr soll an dieser Stelle gar nicht über Eine Liebe in Pjöngjang gesagt werden. Die Geschichte von Andreas Stichmann ist nicht nur wegen der prägnanten Sprache wunderbar einnehmend, voll von kleinen romantischen Anspielungen und einer lesbischen Liebe im Konjunktiv, die sein kann, aber vielleicht nicht sein darf.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang; März 2022; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 160 Seiten; ISBN 978-3-498-00293-0; Rowohlt Verlag; 20,00 €
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