„Die ganze Gewalt, emotional und körperlich, macht mir großen Spaß“

„Dies ist eine Geschichte über Tod — und Wiedergeburt. Eine Geschichte über Auferstehung. Die Geschichte eines rätselhaften Mannes, der uns immer wieder seine Seele geöffnet und uns eingeladen hat, seinen Geist zu erforschen.“

Statt Keanu Reeves, der Rätselhafte könnte die ARTEDokumentation, deren Ausstrahlung auf arte am morgigen Freitag um 22:10 Uhr wohl nicht zufällig so gut wie mit dem Kino-Starttermin des Actionreißers John Wick: Kapitel 4 zusammenfällt, auch „Keanu Reeves, das rätselhafte Phänomen“ heißen. Das wäre zwar irgendwie eine Doppelung, würde den 52 Minuten der Dokumentation, die aus (seltenem) Archivmaterial sowie Ausschnitten aus Reeves‘ cineastischem Schaffen und manch Kommentar von Weggefährt*innen besteht, aber durchaus entsprechen. Wie auch der Herangehensweise von Regisseur Julien Dupuy, der vom manches Mal ein wenig objektiviertem Subjekt seines Films so fasziniert wie kindlich begeistert scheint. 

Unermüdlich neu erfinden

Passend zu den Filmen, die Keanu Reeves zweieinhalb Generationen in Folge immer wieder als unkaputtbaren, aber nicht unverwundbaren, Helden gezeigt haben, geht es auch in dem Portrait des 1964 geborenen Schauspielers nur selten ohne gewisse Superlative zu. Ob zu Beginn seiner Karriere, als fleißiger Schauspielschüler und in Rollen in Filmen von Stephen Frears (in Gefährliche Liebschaften; auch hierzu gibt es eine Doku auf arte – die Besprechung folgt), Francis Ford Coppola (in Dracula) und Kenneth Branagh (in Viel Lärm um Nichts) – diese großen Regisseure sahen ihn wohl nur als idealisiertes Opfer und seine instrumentalisierten Schönheit und den kindlichen Blick – oder als Actionheld in neuem Gewand in Gefährliche Brandung und Speed

Im Action-Blockbuster „Speed“ spielte Keanu Reeves den menschlichen Helden Jack Traven. // © The Mark Gordon Company/Twentieth Century Fox/ChristopheL Foto: ARTE F

So sahen es wohl allerdings auch oft die Filmkritiker*innen und Zuschauer*innen: Entweder Reeves habe nahezu in Gänze versagt oder die Figur gelebt, wie kein anderer. Was seine Action-Karriere beginnend mit Kathryn Bigelows genanntem Surfer-Kracher angeht, mögen manch Superlative allerdings zutreffen. Reeves, so heißt es und so ist es, war der erste Schauspieler, der dem typischen 1980er-Jahre Actionhelden mit kalter Stahlmiene und immer glänzendem Bizeps im neuen Jahrzehnt etwas entgegensetzte. Wenn er nun noch Jahre später sagt: „Danke nochmal, Kathryn! Denn das hat mein Leben verändert“, fällt es uns leicht dies zu glauben.

Epochen überdauern

So beschreibt der Film durchaus eindrücklich die Entwicklung, die nie ein gerader Weg, sondern ein sich immer wieder neu schlängelnder Pfad gewesen war und es noch ist. Dupuy hebt auch die Abwechslung von Hits und Flops, Mega-Budget-Produktionen und B-Movies als ein positives Merkmal von sowohl Reeves’ geheimnisvollem Wesen wie auch seiner Standhaftigkeit hervor. Nun mag mensch sich hier fragen, ob jedes Down immer als Schritt nach vorn gewertet werden kann, ob Reeves dies tat und tut. Soweit wollen wir aber gar nicht spekulieren. Wenn aber der Verlust des ungeborenen Kindes und kurz darauf der Tod seiner Ex-Partnerin mehr als Randnotiz im Kontext des Verlustes der Gattin John Wicks stattfindet, hat das durchaus ein Geschmäckle.

Keanu Reeves in „Matrix Reloaded“: In der „Matrix“-Reihe verkörperte er den Computerhacker Neo // © Warner Bros/ChristopheL Foto: ARTE F

Viel Zeit nimmt die Doku sich für die Anfänge, so dass es im letzten Drittel dann schnell und viel um Matrix, Keanu Reeves, wie er diverse Medien ergründet und sich mit dem eigenen Dokumentarfilm Side By Side in die digitalen Welten des (Hollywood-)Films begibt, selber zum Internet-Hype und Lebenslinien-Guru für… sehr, sehr viele Menschen wird und mit der John Wick-Reihe nochmals ein neues Kapitel aufschlägt. Diese Rolle als „unbesiegbarer Profikiller“ wird als „vorläufiger Höhepunkt der körperlichen Einsätze“ in seiner Karriere beschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Den Jahren die Stirn bieten

Der Mann, der gemeinsam mit seinem besten Freund River Phoenix in Gus van Sants My Own Private Idaho zumindest mich nach wie vor beeindrucken kann, ist in der Tat recht mysteriös. Wenn wir auch schon vor seinem Sein als „Lichtgestalt für das gesamte Internet“ wussten oder wissen konnten, dass ihm Freundschaften und ein Begegnen auf Augenhöhe wichtig sind. (Der Verlust von Phoenix wird in der Dokumentation „Ende der Unschuld“ genannt; was etwas irritiert, denn im Grunde wollte Reeves sich ja bereits mit dieser zur damaligen Zeiten gewagten Rolle von jener Unschuld verabschieden, allein es wurde ihm vonseiten der vor allem amerikanischen Kritiker*innen verwehrt.) 

Keanu Reeves im Film „John Wick II“: In dieser Filmreihe brilliert Keanu Reeves als virtuoser Ex-Auftragskiller, der einfach nicht zur Ruhe kommt // © Summit entertainment/Thunder road pictures/ChristopheL Foto: ARTE F

Worte wie und Umschreibungen von Demut, Altruismus, Loslassen, Durchhaltevermögen, Liebe, Kampfeswille, Bescheidenheit, Widerstandsfähigkeit, etc. sind immer wieder zu vernehmen. Das mag manchen ein wenig viel sein. Auch ich empfand es insofern als aufdringlich, als dass Keanu Reeves, der Rätselhafte es bei allem Material über weite Strecken nicht schafft, über Spekulationen hinauszukommen. 

Sehenswert und unterhaltsam ist die augenscheinliche Fan-Dokumentation dennoch, da sie uns nochmals mit durch seine Karriere nimmt und vor allem dem jüngeren Publikum noch manch einen Titel aus der Prä-MatrixWick-Ära aufzuzeigen vermag. Ob die Reise zum ungewissen Ziel so fantastisch zu werden verspricht, wie der Film von Julien Dupuy abschließend behauptet — das werden die Zeit und unsere Zuneigung zeigen. 

AS

PS: Im Auftrag des Teufels finde ich noch immer unterschätzt und solltet ihr Knock Knock noch nicht gesehen haben, so holt das mal nach.

PPS: Gefährliche Brandung, John Wick und John Wick: Kapitel 3 sind derzeit alle auf joyn verfügbar. Zu finden unter „Filme“.

Hey, John // © Summit Entertainment/Ambi Distribution/ChristopheL Foto: ARTE F

Die Dokumentation Keanu Reeves, der Rätselhafte ist in der arte-Mediathek verfügbar und wird am 24. März 2023 um 22:10 Uhr in deutscher Erstausstrahlung auf arte gezeigt und im Laufe des April dreimal wiederholt.

Keanu Reeves, der Rätselhafte; Frankreich 2022; Regie: Julien Dupuy; Laufzeit ca. 52 Minuten; bis einschließlich 21. Juni 2023 in der arte-Mediathek verfügbar

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