Zu vertilgendes Unkraut

China leidet seit einer Weile unter einem Männerüberschuss, der in den nächsten Jahren vermutlich noch schlimmer werden dürfte. Das Leben eines Jungen ist für viele Paare traditionell mehr wert, als das eine Mädchens und aufgrund der lange vorgegebenen Ein-Kind-Politik des Regimes in Beijing wurden Mädchen vielfach in deutlich größerer Zahl abgetrieben. Nach dem Motto: Wenn schon nur ein Kind, dann soll es wenigstens ein Junge sein.

Das führt nun zu dem ansteigenden Männerüberschuss. Viele drohen leer auszugehen. Mensch möchte also meinen, dass Mädchen und Frauen deshalb zunehmend besser behandelt werden, denn wenn sie schon „knapp“ sind, dann sollten doch die Frauen sich einen Mann aussuchen können – und zwar den, der ihnen am meisten bieten kann und sie am besten behandelt.

Das Feuer entflammt

Dass dies westliches Wunschdenken ist, offenbart Wütendes Feuer, der zweite Roman der chinesischen Autorin Fang Fang, der von Michael Kahn-Ackermann für Hoffmann und Campe ins Deutsche übersetzt wurde. Zu der Zeit nämlich, zu der Wütendes Feuer in Wuhan entstand, 2001, schien das Leben einer jungen Frau auf dem chinesischen Lande alles andere als erstrebenswert zu sein.

Denn selbst wenn Fang Fang in ihrem Roman keine Zeitangaben macht, die zeitliche Einordnung um die Jahrtausendwende dürfte auch laut Nachwort des Übersetzers mehr oder weniger zutreffen. Hauptcharakter ist die junge Frau Yingzhi, die nach dem Schulabschluss mit ihrem Gesangstalent Mitglied in einer Band wird und regelmäßig auf Hochzeiten, Beerdigungen oder sonstigen Anlässen singt und mit taiwanesischen Schlagern gutes Geld verdient.

Erstickungserscheinungen

Bei einem ihrer Auftritte lernt sie ihren späteren Mann Guiqing kennen. Sie lässt sich auf eine kurze Liebschaft mit ihm ein, wird schwanger und fordert ihn auf, sie zur Frau zu nehmen. Nach der Hochzeit ziehen sie ins Haus seiner Eltern und damit beginnt das Drama ihres Lebens. Die Schwiegereltern nämlich halten nicht viel von Yingzhi, erwarten von ihr fast Fronarbeit, behandeln sie ungerecht und ihr Mann springt ihr nicht bei.

Im Gegenteil, er ist ein Taugenichts, trinkt und verspielt wiederholt das Geld, das Yingzhi bei ihren Auftritten verdient. Die vorherrschenden patriarchalen Denkmuster sehen jedoch vor, dass Yingzhi sich als gute Schwiegertochter um alle(s) zu kümmern habe, während Guiqing seine Jugend genießen solle, solange er noch könne. So zumindest die Position der Familie, in die Yingzhi eingeheiratet hat. Dass eine moderne Frau, die durchaus auf Gleichberechtigung setzt, dies nicht unwidersprochen erdulden will, versteht sich für uns wie von selbst, aber im Alte-Tempel-Dorf stößt sie damit auf ähnlich wenig Verständnis wie auch bei ihren Eltern.

Festgekettet

Fang Fang beschreibt in diesem dritten hierzulande erschienenen Buch das Drama einer jungen Frau, die sich viel zu früh in den Hafen der Ehe einschiffen musste. Sie hatte eine erfolgreiche, wenn auch noch junge, Karriere und ein Schwangerschaftsabbruch hätte ihr viel Leid erspart. So jedoch war sie ihrem Mann, ihren Schwiegereltern und den althergebrachten Traditionen ausgeliefert, die sie und ihr Schicksal an ihre neue Familie und ihr neues Heim gekettet haben.

Geld bedeutet ihr viel, ihre Souveränität und Eigenständigkeit auch. Und hier sehen wir direkt die Parallele zur chinesischen Gesellschaft im Ganzen und zur Politik der Kommunistischen Partei im Speziellen. Früher noch vom Maoismus durchsetzt, hat das Land unter Deng Xiaoping sich für Interaktion mit und vor allem Geldströme aus dem Westen geöffnet und das hat natürlich Erwartungen geweckt.

Archaisch-patriarchal

Die Aussicht auf eine eigene Karriere als Sängerin mit eigenen Einkommen, aber auch dem Recht, selbst hierüber zu bestimmen zum Beispiel. Zuvor wäre das undenkbar gewesen und dass Yingzhi ihrem Umfeld damit voraus war, sehen wir in dieser Geschichte immer wieder. Fang Fang führt uns also an dieser Stelle die archaischen Denk- und Handelsmuster einer patriarchal strukturierten Gesellschaft vor Augen.

Dazu gehören auch die teils vulgäre und ungehübschte Sprache des ländlichen China, die Kahn-Ackermann ebenso gut ins Deutsche überträgt wie die vielen blumig-bildlichen und vermutlich traditionellen Metaphern (und das Unkrautvertilgungsmittel – wer bitte nutzt solche Begriffe?). All das illustriert uns, welche Diskrepanz zwischen den verschiedenen Polen der Gesellschaft und den Denkmustern von Yingzhi und ihren (Wahl-)Familien liegt.

Befreiungsschlag(?)

Dazu zählt auch die toxische Beziehung, in der sie sich wiederfindet. Ihr Mann ist ein Taugenichts, er verspielt und versäuft das von ihr erarbeitete Geld und nimmt sich jedes Recht heraus, sie zu demütigen. Wenn sie – durchaus an vielen Stellen etwas naiv und idealistisch – versucht mit Argumenten gegenzuhalten, wird sie nicht nur nicht erhört, sondern Guiqing oder andere Akteure schaffen es immer, sie in die Verantwortung zu nehmen. Vor Victim Blaming schrecken sie dabei nicht zurück.

Yingzhis Ausweg ist auch keine Lösung (zumal die Route nach Süden und somit in die vermeintliche Freiheit eigentlich auf der Hand liegt, auch wenn Yingzhi sie lange nicht erkennt), vor allem, da die Polizei drauf und dran ist, sie aus ihrer Lage zu befreien. Die Frau, mit der wir an der Stelle schon knapp 200 Seiten mitgelitten haben, am Ende als Opfer ihrer unkontrollierten Empfindungen darzustellen, wird ihr zumindest aus einer westlichen Perspektive jedoch nicht gerecht.

In Schutt und Asche

Die Frage, die daher am Ende bleibt, ist, ob ein Mensch, der sich in einer Situation der himmelschreienden Ungerechtigkeit wiederfindet, das Recht hat, emotional zu werden und sich über die Regeln des Systems hinwegzusetzen. Moral trifft hier auf permanent durchlittenes (Un-)Recht und das fesselt uns bis zur letzten Seite an Wütendes Feuer.

Fang Fangs zweiter auf Deutsch vorliegender Roman ist also die Geschichte einer jungen Frau in China, die – viel zu früh im Leben vor die Wahl gestellt – nach Souveränität, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung strebt, aber in einer patriarchalen Gesellschaft mit archaischen Rollenverständnissen an ihrer eigenen, fortschrittlichen Denkweise scheitert. Das Leid und die Ungerechtigkeit, mit der Yingzhi konfrontiert ist, sind herzzerreißend und machen Wütendes Feuer zu einer traurigen und dennoch fesselnden Lektüre.

HMS

Fang Fang: Wütendes Feuer; Aus dem Chinesischen von Michael-Kahn Ackermann; Mai 2022; 208 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-455-01384-9; Hoffmann und Campe; 22,00 €

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